12.03.1938: Einmarsch der
deutschen Wehrmacht in �sterreich, Anschlu� an das Deutsche Reich
Filiale der Leopoldstadt
Das Ende der j�dischen Gemeinden im
Burgenland
In der Nacht vom 11. auf den 12. M�rz 1938 begannen im
Burgenland die nationalsozialistischen Vertreibungs- und
Verfolgungsma�nahmen, die den traditionsreichen j�dischen Kultusgemeinden
des Burgenlandes, allen voran den ehemaligen "Siebengemeinden" (hebr. Schewa
Kehilloth ), ein j�hes und ersch�tterndes Ende setzten.
Die Geschichte des burgenl�ndischen Judentums geht bis
ins 13. Jahrhundert zur�ck. Im 17. Jahrhundert entstanden unter dem Schutz
m�chtiger ungarischer Feudalherren, wie etwa den Esterh�zys, die
sogenannten "Siebengemeinden". Dazu geh�rten die j�dischen Gemeinden von
Frauenkirchen, Kittsee, Eisenstadt, Mattersdorf, Kobersdorf, Lackenbach
und Deutschkreutz. Im S�den des Landes �bte die westungarische
Magnatenfamilie B�tthyany ihre Schutz- und Grundherrschaft aus. Im Laufe
des 16., 17. und 18. Jahrhunderts entstanden in diesem Bereich f�nf gro�e
j�dische Gemeinden: in Gro�-Kanisza, K�rmend, Rechnitz, Schlaining und
G�ssing. Nur die drei letztgenannten befinden sich auf heute
burgenl�ndischem Gebiet.
Die Ansiedlung von Juden erfolgte durch die Ausstellung
von "Schutzbriefen", mittels derer sich die "Schutzherren" die dringend
erforderlichen Geldmittel, die mitunter f�r einen standesgem��en
Lebenswandel, aber auch f�r die Landesverteidigung gegen die T�rken
ben�tigt wurden, beschaffen konnten. Die Ansiedlung von Juden erfolgte
daher weniger aus humanit�ren, sondern ausschlie�lich aus wirtschaftlichen
Gr�nden. Die Perioden des friedlichen Zusammenlebens - oder besser gesagt
- des friedlichen Nebeneinanders mit der christlichen Umgebung wechselten
mit Zeiten der Verfolgung und Ablehnung je nach den Erfordernissen der
Obrigkeit.
Unter diesen Bedingungen entwickelten die j�dischen
Gemeinden ein reges, ungest�rtes und autonomes Kommunal-, Wirtschafts- und
Geistesleben mit einer spezifisch j�dischen Verwaltung und
Gemeindeorganisation (Notare, �rzte, Hebammen, Sch�chter, Nachtw�chter. .
.). Auch die lokale niedere Gerichtsbarkeit lag in den H�nden der
j�dischen Funktion�re, f�r gr��ere Vergehen waren weiterhin die
staatlichen Stellen zust�ndig. Besondere Bedeutung kam auch dem eigenen
Schulwesen zu. Daneben verf�gte jede Gemeinde �ber einen eigenen Friedhof
und eine Synagoge sowie �ber andere religi�se Einrichtungen. Die Juden
siedelten meist in einem dazu bestimmten Ortsteil, der Judengasse, die oft
nur aus einer oder mehreren H�userzeilen bestand.
Nach 1848 wurden aus den sogenannten "Schutzjuden"
ungarische Staatsb�rger, die im Laufe des 19. Jahrhunderts die volle
b�rgerlich-politische Gleichberechtigung erhielten. Obwohl das K�nigreich
Ungarn mit der �sterreichischen Reichsh�lfte durch eine Real- und
Personalunion verbunden war, herrschte im Bezug auf die Aus�bung des
j�dischen Glaubens doch eine andere rechtliche Situation vor. In
�sterreich galt das "�sterreichische Israelitengesetz" aus dem Jahr 1890,
nachdem f�r die j�dischen Kultusgemeinden keine finanziellen
Unterst�tzungen vorgesehen waren. In Ungarn allerdings wurde der j�dische
Glaube den christlichen Konfessionen gleichgestellt (1895), wodurch die
Juden ebenfalls in den Genu� von staatlichen Subventionen f�r j�dische
Religions- und Erziehungseinrichtungen kamen. Als das Burgenland zur Zeit
der Ersten Republik zu �sterreich kam (1921), erhielten sie auch weiterhin
staatliche Unterst�tzung f�r ihre Institutionen.
"Reise durch das Heinzenland"
Die Entwicklung der j�dischen Gemeinden nach dem Ersten
Weltkrieg war weniger durch den Wechsel von einem Staatsverband zum
anderen, als vielmehr durch die allgemeinen politischen und wirtschaftlich
Ver�nderungen nach dem Ersten Weltkrieg gekennzeichnet. Als autonome
orthodoxe israelitische Kultusgemeinden in den Jahren 1921 bis 1938 galten
die Gemeinden von Frauenkirchen, Kittsee, Unterberg-Eisenstadt (die bis
1938 auch politisch autonom war), Mattersdorf (ab 1924: Mattersburg),
Kobersdorf, Lackenbach, Deutschkreutz, Rechnitz, Schlaining (ab 1930 wegen
Abwanderung der Juden aufgel�st; Nachfolgegemeinde: Oberwart) und G�ssing.
Sie sind aus den Siedlungsgebieten des Nord- und Mittelburgenlandes und
den Siedlungsgebieten im S�dburgenland hervorgegangen.
Unter dem Titel "Reise durch das Heinzenland" erschien
am 9. August 1919 in "Der Neue Tag" ein Artikel, in dem Joseph Roth den
Rabbiner von Deutschkreutz die Geschichte und den Alltag der Juden von
Deutschkreutz und der "Siebengemeinden" schildern l��t: "Mitten in
Deutschkreutz eine Filiale der Leopoldstadt. 70 j�dische Familien wohnen
seit 1.000 Jahren im Deutsch-Kreutzer Getto. Denn sie wohnen alle
zusammen, in einer gro�en H�usergruppe hinter den weiten Geh�ften der
reichen Bauern und f�hren ein eigenes Leben . . .
Die Juden von Deutsch-Kreutz und den Schweh-Khilles
besch�ftigen sich nur mit ehrlichem Handel und werden von der christlichen
Bev�lkerung sehr gesch�tzt. Sie haben sich rein und unvermischt erhalten,
und aus ihren Gesichtern klagte das jahrtausendealte Leid Ahasvers. Sie
kennen keinen Tanz, kein Fest und kein Spiel. Nur Beten und Weinen und
Fasten . . ."
Der Verfolgung und Vertreibung der burgenl�ndischen
Juden im Jahr 1938 ist ein sehr reges und dem Burgenland sehr verbundenes
Leben vorausgegangen. In den j�dischen Vierteln bestanden bis 1938 alle
Institutionen, die f�r ein j�disches Gemeindeleben notwendig waren:
Gemeindesynagogen, rituelle B�der, koschere Restaurants, Sch�chter,
j�dische Schulen, j�dische Armenh�user, Spit�ler sowie verschiedene andere
Einrichtungen der Wohlt�tigkeit. Das religi�se und kulturelle Leben der
j�dischen Bev�lkerung des Burgenlandes �u�erte sich in der
Zwischenkriegszeit auch in einer Reihe von religi�sen und
gesellschaftlichen Vereinen: Bet-, Frauen-, Wohlt�tigkeits-, Jugend-,
Spar- und Fortbildungsvereine.
Der "Verein der israelitischen freiwilligen Feuerwehr"
in Mattersdorf stellte innerhalb der j�dischen Gemeinden des Burgenlandes
eine Besonderheit dar und war gewisserma�en auch Konkurrenz der
christlichen Feuerwehr desselben Ortes, wodurch regelrechte Wettk�mpfe
entstanden.
Zahlreiche Pers�nlichkeiten
W�hrend in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet
des heutigen Burgenlandes �ber 8.000 Judens lebten, betrug der j�dische
Bev�lkerungsanteil in manchen Gemeinden (etwa in Lackenbach) �ber 50
Prozent. Im Jahr 1934 wohnten im Burgenland noch etwa 4.000 Juden.
Zahlreiche j�dische Pers�nlichkeiten sind �ber die Grenzen ihrer Gemeinde
hinaus bekannt geworden: wie etwa der Sozialist Dr. Julius Deutsch (1884
bis 1968) aus Lackenbach, der Komponist Karl Goldmark (1830 bis 1915) aus
Deutschkreutz, der Geiger Joseph Joachim (1831 bis 1907) aus Kittsee, der
Weinh�ndler und Kunstsammler S�ndor Wolf (1871 bis 1946) aus
Unterberg-Eisenstadt, auf dessen Sammlert�tigkeit und Anregung u. a. die
Gr�ndung des Burgenl�ndischen Landesmuseums und die Errichtung des
J�dischen Zentralarchives in Zusammenarbeit mit dem Archivar und
Bibliothekar der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Leopold Moses
(1888 bis 1943), zur�ckgeht.
"Bei uns im Burgenland herrschte immer Eintracht unter
der Bev�lkerung, welcher Konfession dieselbe auch angeh�rte. Die
religi�sen Juden des j�ngsten Bundeslandes lebten mit der nichtj�dischen
Bev�lkerung in musterhaften Einvernehmen, weil dieselbe eben auch treu zu
ihrer Religion, sei dieselbe nun evangelisch oder katholisch, stand" . So
wie in diesem Artikel, der 1933 in der j�dischen Zeitschrift "Misrachi"
erschienen ist, wurde auch nach 1945 in zahlreichen Publikationen die
pauschale Aussage �ber das friedliche Nebeneinander von j�discher und
nichtj�discher Bev�lkerung im Burgenland vor dem Jahr 1938 bekr�ftigt.
Der bodenst�ndige rassische, wirtschaftliche und
religi�se Antisemitismus im Burgenland vor 1938 ist daher nur anhand
weniger konkreter Beispiele nachweisbar und steht nach wie vor im Schatten
von idealisierten Vorstellungen und nostalgischer Verkl�rung des angeblich
einvernehmlichen Verh�ltnisses zwischen den verschiedensten
Bev�lkerungsgruppen des Burgenlandes. Mit dem Auftreten und der eher
langsamen Verbreitung des Nationalsozialismus im Burgenland nahm die
antij�dische Stimmung aber deutlich zu.
Aufl�sung der Kultusgemeinden
Unmittelbar nach dem "Anschlu�" �sterreichs an
Hitler-Deutschland setzten im Burgenland - dem Bundesland mit dem
drittst�rksten j�dischen Bev�lkerungsanteil - die antij�dischen Ma�nahmen
vehement ein: Einsch�chterung und Terror, Boykott, Enteignung, Ausweisung
und schlie�lich die direkte Vertreibung. In k�rzester Zeit gelang es der
Gestapo mit Hilfe �rtlicher Parteig�nger und Mitl�ufer, das Burgenland
"judenrein" zu machen.
Bereits im Oktober 1938 meldete die Israelitische
Kultusgemeinde in Wien an den Judenreferenten Adolf Eichmann, da� im
Burgenland s�mtliche Kultusgemeinden (sieben gr��ere und vier kleinere)
aufgel�st worden waren. Am 4. Dezember 1938 berichtete die
nationalsozialistische "Grenzmarkzeitung": "Zufolge der Ma�nahmen der
deutschen Beh�rden hat gleich nach der Angliederung an das Reich eine
Absonderung der Juden eingesetzt, die nun als abgeschlossen bezeichnet
werden kann. Die Reste der Juden sind in einzelnen Bezirken auf sechs bis
acht Personen zusammengeschmolzen, so da� auf dem Gebiete des ehemaligen
Burgenland kaum mehr als 40 Juden anzutreffen sein d�rften."
Mit dem 1938/39 entstandenen Romanfragement "Cella oder
die �berwinder" setzte Franz Werfel dem Untergang des burgenl�ndischen
Judentums ein bleibendes literarisches Denkmal. In der "wahren Geschichte
vom wiederhergestellten Kreuz" erz�hlt er das Schicksal der Parndorfer
Juden, die bei M�rbisch �ber die Grenze nach Ungarn abgeschoben und von
den ungarischen Grenzbeh�rden wieder nach �sterreich zur�ckgeschickt
wurden.
Vom 10. Mai 1938 bis 31. Dezember 1938 konnten von den
nach Wien gefl�chteten burgenl�ndischen Juden 1286 Personen auswandern.
Als 1939 die Auswanderung zu stagnieren begann, wurden die in Wien
verbliebenen Juden listenm��ig erfa�t und in gr��ere meist illegale
Auswanderungstransporte auf dem Donauweg eingereiht und so ihre Emigration
betrieben. Bis 1940 war die illegale Einwanderung nach Pal�stina, Shanghai
und in die USA m�glich. Die in Wien ohne jede Ausreisem�glichkeit
verbliebenen burgenl�ndischen Juden wurden von der Gestapo nach dem Osten
deportiert.
Burgenl�ndische Juden findet man in den Polentransporten
im Oktober 1939 und den Deportierungstransporten nach dem
Generalgouvernement im Fr�hjahr 1941. Als die gro�e Deportierungsaktion im
Herbst 1941 nach L�dz, Riga, Minsk und Lublin einsetzte, waren ohne jede
Fluchtm�glichkeit in Wien zur�ckgebliebene burgenl�ndische Juden die
ersten, die verschickt wurden.
Von jenen, die die nationalsozialistische Zeit �berlebt
haben, wollte bis auf wenige Ausnahmen niemand mehr ins Burgenland
zur�ckkehren. Die einstige vielf�ltige Kultur des burgenl�ndischen
Judentums zeigt sich heute sich nur mehr in ersch�tternden Resten
j�discher Friedh�fe (Deutschkreutz, Eisenstadt, Frauenkirchen, Gattendorf,
Kittsee, Kobersdorf, Lackenbach, Mattersburg, Rechnitz und Schlaining),
von Synagogen und Beth�usern (Eisenstadt, Kobersdorf, Rechnitz und
Schlaining) und in und bei Symposien, Ausstellungen und
Ausstellungskatalogen.
So beherbergt etwa das fr�here Wertheimer Haus in
Eisenstadt das �sterreichische J�dische Museum (1979 er�ffnet) oder die
1938 in Schlaining verw�stete Synagoge das �sterreichische Institut f�r
Friedensforschung. Auch einige Gedenktafeln sprechen von der langen
Geschichte der j�dischen Gemeinden des Burgenlandes, die im Jahr 1938 ein
j�hes Ende fanden.
Literatur:
- Widerstand und Verfolgung im Burgenland 1934 bis
1945. Eine Dokumentation. Hg. vom Dokumentationsarchiv des
�sterreichischen Widerstandes. 2. Auflage Wien 1983.
- Gold, Hugo (Hg.): Gedenkbuch der untergegangenen
Judengemeinden des Burgenlandes. Tel Aviv 1970.
- Kesten, Hermann (Hg.): Joseph Roth. Werke in vier
B�nden. 3. Bd. Amsterdam 1973.
- Die Ergebnisse der �sterreichischen Volksz�hlung vom
22. M�rz 1934, Heft 1. Bearb. vom Bundesamt f�r Statistik. Wien 1935.
- Neumann, David Ignatz: Ein Leben - Ein Werk.
Eisenstadt 1988.
WIENER ZEITUNG, Sabine Lichtenberger
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