Vor 50 Jahren, am 31. März 1948, starb in Prag eine der
schillerndsten Persönlichkeiten aus der Welt des Journalismus: Egon Erwin Kisch. In der
Zeit des Kalten Krieges im Westen weitgehend totgeschwiegen, im Osten hoch gelobt, nimmt
das Jüdische Museum Wien diesen Jahrestag zum Anlaß, das Leben und Werk des
"rasenden Reporters" von 15. Mai bis 9. August 1998 mit einer Ausstellung
kritisch zu würdigen.
Der 1885 in Prag geborene Egon Erwin Kisch gilt als Schöpfer und Meister der
literarischen Reportage. Er unternahm zahlreiche Reisen durch Europa, Nordafrika, die USA,
die damalige UdSSR und China, bei denen jene Reportagen entstanden, die ihn berühmt
machen sollten. Sie sind exakte Milieuschilderungen, die Sprache und Zeitkolorit in die
Berichterstattung einbeziehen. Seine unstete Lebensweise ließ den Buchtitel "Der
rasende Reporter" zum Synonym für den Autor werden. Doch Kisch war alles andere als
ein Kaffeehausliterat oder Sensationsreporter. Vielmehr suchte er in seinen Reportagen
politische und ökonomische Prozesse mit den dahinter stehenden Schicksalen in ihrer
historischen Bedingtheit literarisch zu gestalten.
Mit seiner Arbeit in der Zwischenkriegszeit und später auch im Exil war Kisch vom
deutschen Sprachraum ausgehend in der ganzen Welt ein Multiplikator und Vernetzer der
linksbürgerlichen Intelligenz. Seine vielfältigen literarischen und politischen
Aktivitäten lassen sich nur durch das Streben erklären, Gegensätze zu vereinen: Als
Schriftsteller deutscher Sprache legte er Wert auf seine tschechoslowakische
Staatsangehörigkeit; gegenüber bürgerlichen Freunden war er ein linientreuer Kommunist,
den kommunistischen Genossen ein kritischer Querdenker; das orthodoxe Judentum lehnte er
ab, doch die Schoa weckte in ihm Sympathien für den Zionismus.
Kisch wollte alles zugleich sein: Kommunist, Bürgerlicher, Jude, Tscheche, Deutscher,
Internationalist, Weltbürger. Ein Österreicher war Kisch gewesen, nach dem Zerfall der
Habsburgermonarchie 1918 wollte er es nicht mehr sein dennoch hat er sich unabänderlich
in die Historie dieses Landes eingeschrieben: im Mai 1913 bei der Aufdeckung der
SpionageAffäre um Oberst Redl und im November 1918 als Rotgardist bei der Gründung der
Republik. Zu beiden Ereignissen sind zahllose Legenden im Umlauf, seine Reportagen zum
Fall Redl sind Ausgangspunkt für mehrere Verfilmungen des Stoffs geworden. 1921 ließ er
sich in Berlin nieder, wo er bis 1933 seinen Hauptwohnsitz hatte. Am Morgen nach dem
Reichstagsbrand (28. Februar 1933) wurde er in Berlin verhaftet und nach Prag abgeschoben,
seine Bücher wurden von den Nazis öffentlich verbrannt. Die ersten Jahre des Exils
verbrachte er in Prag, Paris und den Beneluxstaaten, unterbrochen von politischem
Aktivismus in England, Australien und im Spanien des Bürgerkriegs (1937/38). 1940 konnte
er über New York nach Mexiko entkommen. 1946 kehrte er nach Prag zurück, wo er bis zu
seinem Tod lebte.
Durch die Öffnung der Grenzen nach Osteuropa kann die Ausstellung im Jüdischen Museum
erstmalig Exponate aus dem Prager Nachlaß Egon Erwin Kischs zeigen: Notizbücher,
Matrikelschein, Mitgliedsbücher von KPD, PENKlub und dem Schutzverband deutscher
Schriftsteller, seine Heiratsurkunde, französische, sowjetische, amerikanische und
mexikanische Dokumente. Hinzu kommen Originale von Manuskripten mit Kischs
verschnörkelter Handschrift, Briefe von und an Alfred Döblin, Arnold Zweig, Leo
Perutz,
John Heartfield u.a. sowie seltene Erstausgaben seiner Bücher, Zeitungsausschnitte aus
aller Welt und Kopien aus den KischAkten von deutschen und amerikanischen Geheimdiensten.
Aus heimischen Beständen sind Dokumente aus Kischs Militärakte zu sehen, oder auch zwei
Wiener Meldezettel und seltene ExilDokumente aus dem Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstandes und zahlreiche bislang unbekannte Fotografien. Alle
Abschnitte des abenteuerlichen Lebens von Egon Erwin Kisch können somit reich belegt
werden.
Eines der interessanten Stücke der Ausstellung ist die großformatige Reproduktionen
des Portraits von Christian Schad, das Kisch mit entblößtem Oberkörper und all der
Pracht seiner bunten Tätowierungen zeigt. Das Portrait beeindruckt auf dem
Ausstellungsfolder und dem Plakat. Hinzu kommen eine großformatige Kopie des Portraits
von Rudolf Schlichter, das Kisch vor dem Romanischen Café in Berlin zeigt, sowie ein
Originalportrait von E. Ascher, die KischBüste einer unbekannten Künstlerin,
avantgardistische KischCollagen von Heinrich Sußmann und Umbehr, KischPortraits von Bil
Spira, Erik Saunders, Fritz Janschka und anderen. Einen starken Eindruck vermitteln die
Totenmaske und ein Gipsabdruck seiner rechten, schreibenden Hand. Hinzu kommen etliche von
Kischs Zeichnungen und Kritzeleien, seine letzte Taschenuhr und einige Filmdokumente sowie
eine Runfunkreportage mit Egon Erwin Kisch im OTon.
Die Ausstellung wurde von Marcus Patka erarbeitet und von Oliver Kaufmann gestaltet,
die Grafik zu Folder, Plakat und Ausstellung stammt von MariaAnna Friedl. Ausgangspunkt
für diese umfassende KischPräsentation ist ein umfangreicher Bildband, der auch in der
Literaturhandlung des Museums aufliegt: Marcus G. Patka (Hg.): Der rasende Reporter Egon
Erwin Kisch. Eine Biographie in Bildern (Berlin: Aufbau 1998; 304 S. 291 Abb.). "Egon
Erwin Kisch. Der rasende Reporter" ist von 15. Mai bis 9. August im Jüdischen Museum
Wien (Wien 1., Dorotheergasse 11) zu sehen. Das Museum ist während der Sommermonate
Sonntag bis Freitag von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Kostenlose Führungen in deutscher
Sprache: Jeden Sonntag um 11 und um 14 Uhr durch die aktuellen Sonderausstellungen, um 16
Uhr durch die ständigen Ausstellungen des Museums. Jeden Donnerstag um 19 Uhr gibt es
eine Führung durch die aktuelle Sonderausstellung. Eintritt: 70, öS/40, öS ermäßigt.
Anmeldung für Sonderführungen: Tel. +43/1/535 04 31.
Die Ausstellung
Die Ausstellung folgt in ihrem Aufbau Leben und Werk Egon Erwin Kischs. Sie ist in
fünf Teile gegliedert, die den Hauptabschnitten im Leben des rasenden Reporters
entsprechen:
Jugend in Prag 1. Weltkrieg, Weimarer Republik, Exil: Paris Australien Spanien USA,
Exil in Mexiko, Heimkehr Tod 1948.
1. Jugend in Prag - 1. Weltkrieg
Egon Kisch wurde 1885 als zweiter von fünf Söhnen einer Prager jüdischen
Patrizierfamilie geboren. Den Zwischennamen "Erwin" hat er sich selber gegeben.
An der Universität hielt es ihn nur zwei Semester, der Militärdienst als
"EinjährigFreiwilliger" verhieß größere Abenteuer. Das journalistische
Handwerk erlernte er in Berlin und beim "Prager Tagblatt", 1906 engagierte ihn
die bürgerlichnationalistische "Bohemia" als Lokalreporter. Schnell avancierte
der begabte Newcomer zum Autor der FeuilletonReihe "Prager Streifzüge", wo er
das Prager Arbeits und Nachtleben thematisierte. Zwar erschienen diese Feuilletons bald
auch in Buchform, doch erst nach seinem Mitwirken an der Aufdeckung der Spionageaffäre
Redl wagte Kisch den Sprung als Schriftsteller nach Berlin. Die Bohème im Café des
Westens um Erich Mühsam und Else LaskerSchüler fand schnell Gefallen am Prager
Wirbelwind, doch die Schüsse von Sarajevo bereiteten dieser Karriere ein schnelles Ende.
Als loyaler Untertan zog er mit seinem Prager Hausregiment an die Front gegen Serbien.
Obwohl Kisch den Krieg anfangs noch als Abenteuer auffaßte, verfiel er keine Sekunde dem
HurraPatriotismus von 1914. Mit den täglichen Leiden als Frontsoldat und dem Tod seines
Bruders Wolfgang in Rußland verschwanden die letzten Illusionen. Nach einer schweren
Granatenverletzung im März 1915 erfolgte eine zweijährige Versetzung in die Etappe. Auf
eigenes Verlangen wurde Kisch im Mai 1917 ins k. u. k. Kriegspressequartier nach Wien
abkommandiert, hier traf er u.a. auf Robert Musil, Franz Werfel, Franz Blei, Albert Paris
Gütersloh, Albert Ehrenstein, Leo Perutz und den SchriftstellerKreis um die Zeitschriften
"Der Friede" und "Summa". Abends traf man sich im Café Central. Im
Kreis um Joseph Roth lernte er seine spätere Frau, die gebürtige Wienerin Gisela
Lyner,
kennen.
Am 12. November 1918 war Kisch als Offizier der Roten Garde bei der Gründung der
Ersten Republik vor dem Parlament in Wien dabei. Mit dem Herausreißen des weißen
Streifens aus der neuen österreichischen Flagge und dem Sturm auf die Redaktion der
"Neuen Freien Presse" hatte er nachweislich nichts zu tun, auch wenn
gegenteilige Legenden im Umlauf sind. Dennoch wurde Kisch wegen seiner Popularität das
Opfer einer antikommunistischantisemitischen Pressekampagne. 1919 trat er der
Kommunistischen Partei DeutschÖsterreichs bei, doch aus der aktiven Politik zog er sich
zurück. Im Juni 1920 war Kisch bereits von Wien nach Prag übersiedelt, wo er für die
Bühne von Emil Artur Longen etliche Burlesken verfaßte, die auf Tourneen in deutscher
und tschechischer Sprache aufgeführt wurden.
2. Weimarer Republik
Auch Egon Erwin Kisch zog es in die neue Metropole moderner Kunst, nach Berlin. Als
"rasender Reporter" sollte er von hier aus weltberühmt werden, jährlich kam
mindestens ein neues Buch mit reißerischem Titel auf den Markt. Doch dahinter verbarg
sich weder ein Sensationsreporter noch ein Kaffeehausliterat. Vielmehr suchte Kisch in
seinen Werken ökonomische Prozesse und dahinter stehende menschliche Schicksale in ihrer
historischen Bedingtheit literarisch zu gestalten.
Seine Reportagen erschienen in der bürgerlichen und kommunistischen Presse, im
"Berliner Börsen Courier" sowie in der "Roten Fahne", in der
"Frankfurter Zeitung", in der "Welt am Abend". Zum Star wurde Kisch in
der "ArbeiterIllustriertenZeitung", dem medialen Flaggschiff des charismatischen
kommunistischen Funktionärs Willi Münzenberg. Dieser stand im Begriff, ein
Medienimperium aufzubauen, das Tageszeitungen, Illustrierte, Filmverleih und Verlage
umfaßte, darunter die "UniversumBücherei". In seinem Umfeld bewegten sich
Erwin Piscator, John Heartfield und Wieland Herzfelde. Nach dem Erfolg des Buches
"Der rasende Reporter" wechselte Kisch 1925 zur KPD, mit deren Kulturdirektiven
er sich jedoch nicht identifizieren konnte. Weder huldigte er ihren wechselnden Führern,
noch verwendete er die Phrasen ihrer jeweiligen Propaganda. Er war niemals das, was man
einen Parteischriftsteller nennt, denn seine neue kulturelle Sozialisation erhielt er
anderswo: Kisch fand Anschluß an den "Schutzverband deutscher Schriftsteller",
wo er sich mit Arnold Zweig hitzige Debatten lieferte, und an die "Gruppe 1925"
um Alfred Döblin, an die Zeitschrift "Das Tagebuch" um Stefan Großmann und an
die "Weltbühne" um Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky. Hier fand Kisch
Gleichgesinnte für eine "Litterature engagée". Er war überall dabei, wo sich
Künstler, Gelehrte und andere Intellektuelle vereinigten, um publizistisch und bei
Versammlungen gegen den Militarismus sowie gegen die Willkür von Polizei, Justiz und
Verwaltung aufzutreten. 1928 wurde er Gründungsmitglied im "Bund
proletarischrevolutionärer Schriftsteller" und versuchte, in den Statuten auch für
Autoren bürgerlicher Herkunft ein Mitgliedsrecht zu verankern, was aber am Widerstand der
Gruppe um Johannes R. Becher scheiterte. In Berlin und Prag führte er ein international
offenes Haus und bildete eine zentrale Schaltstelle der linksbürgerlichen Intelligenz. Er
fungierte vom deutschen und tschechischen Sprachraum ausgehend als
Multplikator,
kultureller Vernetzer und Werber seiner Weltanschauung in aller Welt.
Ausgedehnte Reisen führten ihn durch ganz Europa, Teile Nordafrikas, in die
europäische Sowjetunion, die USA, schließlich Anfang der dreißiger Jahre nach
Usbekistan, Tadschikistan, Afghanistan, China und Japan. Nach Europa zurückgekehrt, wurde
ihm als "gefährlicher Ausländer" im November 1932 die Einreise nach
Österreich verweigert. Seine Anwesenheit in Berlin nach der Machtergreifung Adolf Hitlers
beweist seinen Mut.
3. Exil: Paris Australien Spanien USA
Zu lange hatte Kisch den Nationalsozialismus und dessen Hetzartikel gegen ihn
persönlich unterschätzt. Am Morgen nach dem Reichstagsbrand wurde er aus dem Bett heraus
verhaftet, nur sein tschechischer Paß rettete ihn vor dem Schicksal Erich
Mühsams, zu
Tode geprügelt zu werden. Nach Prag abgeschoben, engagierte er sich vom deutschen
Geheimdienst argwöhnisch beobachtet unermüdlich in verschiedenen Komitees der
Flüchtlings und Gefangenenhilfe, in Paris war er im Kreis um Willi Münzenberg um die
Schaffung einer breiten Front aller HitlerGegner bemüht. Per Schiff ging es im Rahmen
seiner AntiNaziAgitation Ende 1934 nach Australien. Trotz eines gültigen Visums
verweigerte ihm die dortige Regierung die Einreise, daraufhin sprang er kurzerhand (mit
inzwischen fast 50 Jahren!) vom Schiff auf den Kai und brach sich ein Bein. Zahlreiche
Prozesse und großes Medienecho waren die Folge, sogar das australische Parlament war mit
der Causa befaßt. Letztendlich mußte die Regierung nachgeben und Kisch verließ
Australien als freier Mann.
Den Höhepunkt seiner ExilTätigkeit brachte der "1. Kongreß zur Verteidigung der
Kultur" im Juni 1935 in der Pariser Mutualité, wo er durch seine Funktion als
stellvertretender Vorsitzender des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller im Präsidium
vertreten war. Doch die stalinistische Politik beendete die Zusammenarbeit zwischen
bürgerlichen und sozialdemokratischen mit den kommunistischen HitlerGegnern, auch wenn
Kisch das nicht wahrhaben wollte. Die später von den Kommunisten als
"Renegaten" verfemten Manès Sperber und Arthur Koestler beschreiben in ihren
Autobiographien, wie Kisch ihnen Vaterfigur und nicht zuletzt durch seine ideologische
Undiszipliniertheit Bereiter rarer heiterer Stunden wurde. An den Fronten des Spanischen
Bürgerkriegs leitete Kisch für mehr als ein halbes Jahr die Kulturarbeit in
Benicasim,
einer Ferienkolonie am Mittelmeer, die zu einem Lazarett für die Soldaten der Spanischen
Republik umgewandelt worden war.
Die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Wehrmacht erlebte er völlig gebrochen in
Frankreich, doch seine Antwort war die Leitung der deutschen Delegation bei einem Kongreß
exilierter Tschechen und Slowaken Ende April 1939 in Paris. Der
HitlerStalinPakt, der den
Angriff Hitlers auf Frankreich ermöglichte, brachte Kisch an den Rand eines Bruches mit
der Partei, doch es soll Ernst Bloch gewesen sein, der ihn davon abhielt. Nach dem
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden deutsche Exilanten in Frankreich unter
menschenunwürdigen Zuständen interniert und teilweise an die Gestapo ausgeliefert.
Wieder rettete Kisch sein tschechischer Paß, mit Hilfe zahlreicher Freunde gelang die
Flucht nach New York. Dort angekommen, wurde er für einige Tage in Ellis Island
interniert, bald interessierte sich auch das FBI für ihn. In den USA war er einmal mehr
in der Fluchthilfe tätig, doch sein Aufenthaltsvisum wurde nicht verlängert.
4. Exil in Mexiko:
Die USA suchten die kommunistischen Exilanten abzuschieben, viele fanden in Mexiko
Asyl. Mexikos Präsident Lázaro Cárdenas hatte von 1934 bis 1940 eine unabhängige
Außenpolitik im Zeichen internationaler Solidarität verwirklicht, so am 19. März 1938
in Form des Protestes gegen den "Anschluß" Österreichs. Er gewährte
zahlreichen Flüchtlingen politisches Asyl, darunter Egon Erwin Kisch und Anna Seghers.
Auch sein Nachfolger Avila Camacho förderte die zahlreichen kulturellen und
politischen Aktivitäten der internationalen ExilantenSzene. Nach dem Angriff Hitlers auf
die Sowjetunion im Juni 1941 wurden aus den geächteten Kommunisten wieder Alliierte.
Unter der verklärenden Sonne Mexikos kam es sogar zu einer Annäherung zwischen deutschen
Kommunisten jüdischer Herkunft und jüdischen ExilOrgansationen, wofür Kisch erneut die
Vermittlerrolle übernahm. Es entstanden der ExilVerlag "El Libro Libre" und als
gemeinsames kulturelles Forum der "Heinrich HeineKlub". In der Zeitschrift
"Freies Deutschland" wurde offen über Wiedergutmachung und Restitution des
jüdischen Eigentums diskutiert. Fast alle involvierten Genossen fielen nach ihrer
Rückkehr in der DDR in Ungnade. Kischs Freund André Simone, der 1952 im Zuge des
antisemitischen SlánskýProzesses in Prag hingerichtet wurde, fungierte 1945 als anonymer
Chefredakteur der "Tribuna Israelita", in der neben Kisch vor allem der
österreichische Schriftsteller Leo Katz publizierte.
Auf den Reisen durch das Land voll exotischer Reize "interviewte" Kisch die
Pyramiden in Teotihuacan und Chichen Itza, besuchte den geheimnisvollen Monte Alban, wurde
Zeuge der Geburt eines Vulkans und identifizierte das Gift, welches Carlotta, die Witwe
Maximilians von Habsburg, in den schleichenden Wahnsinn getrieben hatte. Nahe der
Hauptstadt entdeckte er ein "Indiodorf unter dem Davidstern". Zu seinem 60.
Geburtstag im Jahr 1945 wurden etliche Feiern organisiert.
5. Heimkehr Tod 1948:
Im Frühling 1946 in Prag angekommen, wurde Kisch noch überschwenglich begrüßt.
Doch ein Großteil seiner Familie und fast alle seiner Freunde waren verschleppt und
ermordet worden. Die vielfach besungene und heiß ersehnte Heimatstadt Prag war nicht mehr
Metropole, auf ihren Straßen war jedes deutsche Wort verpönt. Zum Nationalismus gesellte
sich der Antisemitismus, doch Kisch übernahm den Ehrenvorsitz einer jüdischen
Organisation. Ein geplanter Besuch bei Leo Perutz in Palästina zerschlug sich. Eine
letzte Reise führte ihn nach Skopje und Belgrad, wo er von Josip Broz Tito empfangen
wurde. Neben der Tschechoslowakei war das Judentum das letzte große Thema seines
Schaffens. Sein letztes BuchProjekt war die erweiterte Neuausgabe von "Geschichten
aus sieben Ghettos", das posthum aber nur in englischer Übersetzung erscheinen
konnte, ein deutschsprachiger Verleger hatte sich nicht gefunden. Einleitend entstand
hierfür mit "Mörder bauten dem zu Ermordenden ein Mausoleum" eines
überzeugten Atheisten Huldigung der Bibel. Zwei Jahre nach der Heimkehr erlag Egon Erwin
Kisch seinem zweiten Schlaganfall, die neue kommunistische Regierung bereitete ihm ein
feierliches Begräbnis.
Egon Erwin Kisch ist der Paradefall einer Generation von kommunistischen
Intellektuellen jüdischer Herkunft, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den
allzu engen Ghettomauern ihrer Väter in die Weiten des Internationalismus entfliehen
wollten, die aber fatalerweise ihre persönlichen, humanistischen Ziele auch für die
Ziele Moskaus hielten. Sie brachen nicht mit ihrer Organisation, in der Hoffnung, daß
nach der Periode der Generäle wieder ihre Stunde schlagen würde. Kischs politischer
Irrtum war es, die Weltgeschichte mit den Augen eines Dichters zu sehen. Auch wenn seine
sozialistische Utopie zu einem "Sozialistischen Surrealismus" pervertiert und
1989 von der Geschichte verschluckt wurde, so hat sich an den realen Konflikten der
westlichen Welt nicht viel geändert, und genau diese sind bei Egon Erwin Kisch
meisterhaft erzählt nachzulesen, sind sie doch allzumenschlichallgegenwärtiggemeinsam.
Biographisches
1885 |
Am 29. April als zweites Kind des Tuchhändlers
Hermann Kisch und seiner |
|
Frau Ernestine, geb. Kuh in Prag geboren. |
1890 1903 |
Besuch einer Klosterschule und der I. deutschen
Staatsrealschule in Prag |
1901 |
19. Januar: Tod des Vaters |
1903/04 |
zwei Semester Universität, danach
Militärdienst als EinjährigFreiwilliger |
1905 |
Besuch der "Journalistenhochschule"
von Richard Wrede in Berlin |
1906 |
Lokalreporter und Feuilletonist der Bohemia
in Prag |
1912 |
Aus Prager Gassen und Nächten |
1913 |
Prager Kinder. Aufdeckung der
Spionageaffäre Redl, Übersiedlung nach Berlin |
1914 |
Der Mädchenhirt. August: Mit seinem
Prager Hausregiment an die Front in Serbien |
1915 |
18. März: Verwundung an der russischen Front,
Spitalaufenthalt |
1916 |
Februar: Versetzung in die Etappe nach Ungarn |
1917 |
Mai: Versetzung nach Wien in das k. u. k.
Kriegspressequartier |
1918 |
Juni bis Oktober: Dienstreisen an die Adria und
an die Westfront |
|
November: Mitbegründer der Roten Garde |
1920 |
Juni: Übersiedlung nach Prag |
|
Abenteuer in Prag. Theaterarbeit in der
Tschechoslowakei |
1921 |
Übersiedlung nach Berlin |
1922 |
Soldat im Prager Korps, Die gestohlene
Stadt. Reportagen für Lidové Noviny, Berliner |
|
Börsen Courier, Das Tagebuch. |
1923 |
Klassischer Journalismus |
1924 |
Der Fall des Generalstabchefs Redl.
Eintritt in den "Schutzverband Deutscher |
|
Schriftsteller" |
1925 |
Der rasende Reporter. Übertritt in die
KPD, Mitglied der "Gruppe 1925" um Alfred |
|
Döblin, Redaktionsmitglied der Neuen
Bücherschau, Reportagen für Rote Fahne, |
|
Arbeiter Illustrierte Zeitung und Welt
am Abend, Reise nach Moskau |
1926 |
Reportagefahrten in den Kaukasus, das
Donezbecken und nach Leningrad |
|
Hetzjagd durch die Zeit |
1927 |
Zaren, Popen, Bolschewiken; Kriminalistisches
Reisebuch und Wagnisse in aller Welt |
1928 |
Gründungsmitglied des Bundes
proletarischrevolutionärer Schriftsteller, |
|
Reise in die USA |
1929 |
April: Rückkehr nach Europa |
1930 |
Paradies Amerika und Schreib das auf,
Kisch! November: Teilnahme am Schriftsteller |
|
kongreß in Charkow, Professor an der
Universität Charkow |
1931 |
Prager Pitaval. Reise nach Moskau,
Usbekistan und Tadschikistan |
1932 |
März bis Juli: Reise nach Schanghai, Peking,
Nanking und Tokio. |
|
Asien gründlich verändert |
1933 |
China geheim |
1933 |
28. Februar: Verhaftung nach dem
Reichstagsbrand, Einlieferung in |
|
Spandau, Abschiebung nach Prag, Mitbegründer
des Gegen |
|
Angriff, Mitinitiator des Braunbuch
über Reichstagsbrand und Hitlerterror, |
|
Vortragsreise durch Europa |
1934 |
Geschichten aus sieben Ghettos, Eintritt
verboten |
|
November: Einreiseverbot in Australien, Sprung
vom Schiff, zahlreiche |
|
Prozesse und Agitation gegen den
Nationalsozialismus |
1935 |
Feiern zum 50. Geburtstag und Teilnahme am I.
Kongreß zur Verteidigung der |
|
Kultur in Paris |
1936 |
Abenteuer in fünf Kontinenten. Teilnahme
am Weltfriedenskongreß in Brüssel |
1937 |
Landung in Australien |
|
7. Mai. Tod der Mutter. Juni: Teilnahme am II.
Kongreß zur Verteidigung der |
|
Kultur in Valencia und Madrid, Aufenthalt in
Benicasim |
1938 |
Die drei Kühe. Mai: Rückkehr nach
Frankreich |
|
29. Oktober: Heirat mit Gisela Lyner in
Versailles |
1939 |
März April: Aufenthalt in Torlaque
(Südfrankreich), Teilnahme an einem |
|
Kongreß von Tschechoslowaken im Exil |
|
September: Übersiedlung in ein Dorf bei
Versailles unter Polizeiaufsicht |
|
Dezember: Mit Hilfe der League of American
Writers Flucht nach New York |
1940 |
Jänner: Nach Haft in Ellis Island Ankunft in
New York |
|
November: Übersiedlung nach Mexico Ciudad |
1941 |
Sensation Fair |
|
Mitbegründer von Zeitschrift und Bewegung
"Freies Deutschland", Heinrich |
|
HeineKlub und El Libro LibreVerlag |
1942 |
Marktplatz der Sensationen |
|
Arnold Kisch im Konzentrationslager Lodz
ermordet |
1943 |
Mitherausgeber des Libro Negro del Terror
Nazi en Europa |
1944 |
Paul Kisch in Theresienstadt ermordet |
|
Reisen nach Oaxaca, Chiapas und Yucatan |
1945 |
Entdeckungen in Mexiko |
1946 |
Februar/März: Über New York und London
Heimreise nach Prag, dort |
|
Teilnahme am 8. Parteitag der KPC. Juni: Reise
nach Belgrad und Skopje |
1947 |
Reisen durch die Tschechoslowakei |
|
November: Erster Schlaganfall |
1948 |
24. März: Zweiter Schlaganfall, Einlieferung
in eine Klinik |
|
31. März: Tod in Prag |
|
5. April: Beisetzung auf dem Prager
"Kolumbarium" |
Die Verwendung dieses Pressematerials ist honorarfrei. Ein Belegstück jedes Artikels
über das Museum und seine Ausstellungen wird erbeten. Für weitere Auskünfte,
Fotowünsche etc. steht Ihnen das Pressebüro des Jüdischen Museums jederzeit zur
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