Drei jüdische Museen in Österreich - ein viertes ist
in Planung
Übersicht: Die
jüdischen Museen in Österreich
Inventarisiertes Judentum
Modernisierende Strömungen innerhalb des europäischen Judentums um
die Jahrhundertwende machten es möglich und zugleich notwendig, jüdisches Leben zu
dokumentieren: Mit 24. Februar 1893 ist die erste Eintragung im Inventarbuch der
"Gesellschaft für Sammlung und Konservierung von Kunst- und historischen Denkmälern
des Judentums" datiert und als erstes "Objekt" das Buch von Johannes
Lundius "Die alten jüdischen Heiligthümer" eingetragen. Zwei Jahre später,
1895, wurde das weltweit erste jüdische Museum in Wien eröffnet. Heute gibt es drei
jüdische Museen in Österreich, ein viertes ist in der Konzeptionsphase.
Wien
Seit fünf Jahren gibt es wieder ein jüdisches Museum in
Wien, und das alte Inventarbuch wurde selbst Teil der neuen Sammlung, das Buch-Objekt Nr.
1 fehlt allerdings, ebenso wie die grosse Vielfalt der rund 170.000 Wiener Juden vor 1938.
Der Fundus des neuen Museums enthält noch etliche Objekte des alten Museums, die die
Beschlagnahme nach dem Anschluss 1938 zum Teil in anderen Wiener Museen überdauert haben,
und die sich heute grossteils im Schaudepot im letzten Stock des dreigeschossigen
Museumsgebäudes befinden. "Damit", so der seit Jahresbeginn amtierende Direktor
des Museums, Albrecht-Weinberger, "stehen wir in der Tradition des alten Museums,
wenngleich mit unterschiedlicher Zielsetzung". Im Bestand des heutigen Museums
befinden sich weiters Archivalienbestände der IKG als Dauerleihgaben, die
Judaica-Sammlungen Max Berger und Eli Stern sowie die Antisemitismus-Sammlung Martin
Schlaff.
Obwohl das jüdische Museum kein Museum der Schoa oder des
Holocaust sei, könne dieser wesentliche Aspekt nicht ausgespart bleiben, sei doch das
Museum durch seine Schliessung und Neugründung "per se Dokument der Schoa" und
- obzwar Judaica aus der Sammlung Max Berger im Erdgeschoss ausgestellt und erklärt seien
- könne man auch nicht von einem Religionsmuseum sprechen. In den jährlich
"mindestens vier" Wechselausstellungen werden religiöse Traditionen und die
Schoa ebenso thematisiert wie Werke und Persönlichkeiten jüdischer Künstler,
Architekten oder Journalisten. Die durchgängig abstrakte bzw. abstrahierende Gestaltung
des Museums durch Verfremdungen im Design - so ist die Geschichte der Juden in Wien im
zweiten Stock durch 21 grossformatige Transmissionshologramme und Zitate jeweiliger
Zeitgenossen dargestellt - ist eine Herausforderung für Besucher. Direktor
Albrecht-Weinberger: "Die Gegenstände, die von vertriebenen oder ermordeten Juden,
stammen, sollen nicht als Platzhalter für die Menschen dienen", weshalb eine
abstrahierende Ebene gewählt wurde. Das Museumsprogramm enthält weiters
Buchpräsentationen, Konzerte, Vorträge und Diskussionsabende. Das Café Teitelbaum und
die jüdische Literaturhandlung runden das Angebot des Museums ab und bieten Gelegenheit
für Begegnungen und Vertiefungen.
Im kommenden Jahr wird das Museum die vor wenigen Jahren
gefunden Überreste der mittelalterlichen Or-Sarua-Synagoge am Wiener Judenplatz als
Aussenstelle erhalten und museal betreuen (an der Strassenoberfläche wird, die JR
berichtete mehrmals, das Wiener Holocaust-Mahnmal entstehen). Für Albrecht-Weinberger
"eine gute Ergänzung für unser Museum".
Die in Ansätzen bereits bestehenden Kontakte zu den
jüdischen Museen im Bereich der ehemaligen österreichisch-ungarischen
Habsburgermonarchie sollen im nächsten Jahr einen Höhepunkt finden: Für den Herbst 1999
ist eine Ausstellung über Galizien geplant.
Hohenems
Am anderen, westlichen Ende Österreichs, unmittelbar an der
Grenze zur Schweiz wurde 1991 das jüdische Museum Hohenems eröffnet. Fünf Jahre zuvor
hatten sich Historiker und Politiker zu einem Verein zusammengeschlossen, um den
vertriebenen Hohenemser Juden, die einstmals den städtischen Charakter von Hohenems
begründet hatten, ein Denkmal zu setzen. Das Konzept sei demgemäss, so die mit
Jahresende scheidende Direktorin Esther Haber, "soziohistorisch", im Mittelpunkt
stehe die Darstellung und Vermittlung der lokalen jüdischen Minderheit in Hohenems als
ökonomisch und kulturell wesentlicher Teil der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft.
Durch Handelsbeziehungen Anfang des 19. Jahrhunderts kommt es zu einem Austausch mit St.
Gallen, einige jüdische Familien aus Hohenems siedeln sich in St. Gallen an und gründen
dort 1867 eine jüdische Gemeinde. St. Gallener zählen heute auch zu den Besuchern des
jüdischen Museums in Hohenems (Zu den Beziehungen zwischen Hohenems und St. Gallen siehe
Rundschau Nr. 19/1997 vom 7.5.1997, S 13 - 15.)
Die Dauerausstellung des jüdischen Museums Hohenems vor
allem auf die Dokumentation der ehemals in Hohenems ansässig gewesenen jüdischen
Familien ausgerichtet, wobei Salomon Sulzer (1804-1890) und seinem musikalischen Schaffen
ein eigener Raum gewidmet ist. Im August wird ein zentrales Anliegen der Museumsgründer
umgesetzt: etwa 170 über die ganze Welt verstreute Nachfahren von ehemals in Hohenems
ansässigen Juden - "die zweite bis fünfte Generation", so Esther Haber -
kommen zur Spurensuche nach Hohenems.
Die derzeitige Sonderausstellung thematisiert das Schicksal
der 1945 von der französischen Besatzungsmacht in Hohenems und Bregenz untergebrachten
jüdischen "Displaced Persons" (DPs), der heimatlosen Überlebenden des
Nationalsozialismus. Die Ausstellung ist zweigeteilt und findet sowohl im Museumsgebäude,
als auch in jenem Hotel "Einfirst" statt, das DPs beherbergte.
Die von archivarischem Charakter geprägte Dauerausstellung
des Museums - Besucher können je nach Interesse durch das Öffnen von Laden tiefer in die
Themen eindringen - wird durch eine Audioinstallation in Jiddisch, die ein wenig von der
Aura des vergangenen blühenden jüdischen Lebens in Hohenems ahnen lässt, ergänzt. Das
Angebot des Museums beinhaltet neben den regelmässigen Sonderausstellungen auch
Vorträge, Lesungen und Konzerte mit zeitgenössischen Inhalten. Zentrales Anliegen ist
die museumsdidaktische Vermittlung, eine entsprechende Planstelle wird vom
Unterrichtsministerium finanziert.
Das Museum verstehe sich - mangels einer jüdischen Gemeinde
im Ort - eher als Gedenkstätte, so Direktorin Haber, die das Verhältnis zur lokalen
Bevölkerung als schwierig bezeichnet, wenngleich die Akzeptanz zugenommen habe. Besucher
kommen hauptsächlich aus Vorarlberg, Schweiz und Deutschland.
Ortsunkundige Besucher wissen von einer ansässigen Passantin
zu erzählen, die ihre Frage nach dem "Weg zum jüdischen Museum" missverstanden
und mit: "Türkisches Museum ... ich weiss nicht?" beantwortet hat. Die
Passantin stammte offenbar selbst aus der Türkei, und obwohl viele der Häuser im
ehemaligen jüdischen Viertel von Migranten bewohnt werden, ist eine Verbindung der
Migranten zur lokalen jüdischen Geschichte noch nicht gelungen. Die alteingesessene
Bevölkerung hat diese Verbindung auf ihre Art gemeistert: die ehemalige Synagoge - einige
Minuten vom Museum entfernt - wird seit 1954 als Feuerwehrhaus verwendet.
Eisenstadt
Bereits 1972, und damit viel früher als in Wien oder
Hohenems, wurde das "österreichische jüdische Museum" in Eisenstadt
begründet. Seit 1982 ist das Museum im Wertheimerhaus im ehemaligen jüdischen Viertel
untergebracht. Das personell und finanziell kleinste und ein wenig baufällige Museum
präsentiert sich für den Besucher familiär und kommunikativ. Die
"dreieinhalb" Mitarbeiter, die selbst für die Ausstellungsgestaltung
verantwortlich sind, "weil wir uns einen Kurator einfach nicht leisten" können,
so Direktor Johannes Reiss, sind mit Herz und Seele bei der Sache.
Die Lage Eisenstadts 50 Kilometer südlich von Wien - fernab
der Touristenströme - und das Fehlen einer eigenen jüdischen Gemeinde machen für
Direktor Johannes Reiss die Zielgruppe seines Museums zu einer zentralen Frage: das Museum
werde fast ausschliesslich von nicht-jüdischen Besuchern, die oft überhaupt keine
Vorstellung oder Vorurteile vom Judentum hätten, fregmentiert. Das Museumskonzept
beinhaltet deshalb einen ausführlichen Einblick in jüdisches Leben, wobei das Design die
persönliche Involvierung der Besucher fördert. So dient ein für Pessach gedeckter Tisch
als Anschauungsmaterial: bei Führungen von Schulklassen werden Schüler aufgefordert die
Rolle des Familienvaters beim Seder zu übernehmen. Sogar Matzes liegt zur Kostprobe
bereit. An anderer Stelle können Schüler - was sie meistens mit Begeisterung und
lautstark machen - die Ausgelassenheit beim Purimfest nachspielen. Die ehemalige
Privatsynagoge der Familie Wertheimer hat die nationalsozialistische Judenverfolgung
überdauert und wurde im Zuge der Museumserrichtung revitalisiert und 1979 eingeweiht.
Die Besonderheit der "sieben Gemeinden"
("Scheva Kehillot": Eisenstadt, Mattersburg, Kittsee, Frauenkirchen,
Gattendorf,
Lackenbach und Deutschkreutz), deren politisches und geistiges Zentrum Eisenstadt war, und
deren Vordenker bis heute weltweit Beachtung finden (der als Kind mit seinen Eltern aus
Mattersburg geflüchtete Rabbiner Akiba Ehrenfeld gründete in Erinnerung an seine
Herkunft den Kiryat Mattersdorf in Jerusalem), ist ein wesentlicher inhaltlicher Faktor
des Museums und seiner Programme. So bestand eines der Projekte in der Bestandsaufnahme
der jüdischen Friedhöfe und Auswertung der - durchwegs - hebräischen Grabinschriften,
anhand derer nachvollzogen werden konnte, welche Bücher in den lokalen Jeschiwen gelesen
wurden.
Juden waren im Burgenland seit dem 13. Jahrhundert - mit
unterschiedlicher Akzeptanz ansässig, am 1. November 1938 vermeldete die Presse die
Zerstörung "sämtlicher Kultusgemeinden des Burgenlandes". Das ambivalente
Verhältnis zu Juden bzw. zu den Überresten jüdischen Lebens scheint fortzudauern: erst
im Mai 1996 wurde die Synagoge in Gattendorf
abgerissen.
Nicht zuletzt aus Finanzierungsgründen überlegt sich
Direktor Reiss über die "innerjüdischen Themen" hinaus
"Nischenprogramme", um Besucher aus Wien und dem sonstigen Österreich
"anzulocken". Die derzeitige Sonderausstellung über koscheren Wein hat er in
der Hoffnung auf Einnahmen durch den gleichzeitigen Verkauf von anlässlich dieser
Ausstellung aus aller Welt importierten koscheren Weinen im Museumsshop finanziert, weil
kein Ausstellungsbudget zur Verfügung stand. Stolz verweist Direktor Reiss auf seine
steigenden Besucherzahlen, die es ihm ermöglichen, sein - unzureichendes - Budget zu 20 %
aus den Einnahmen zu decken. Die Schwerpunktausstellung im nächsten Jahr
heisst:
"Kabbala. Geheime Traditionen im Judentum."
Die Frage, warum es in Österreich gleich drei jüdische
Museen gäbe, beantwortet Direktor Reiss mit einem fragenden "Schlechtes
Gewissen?". Die Direktoren aller drei Museen sind überzeugt, dass sie ihre
inhaltliche Unabhängigkeit voll ausschöpfen können. Obwohl die Institutionalisierung in
allen drei Fällen auf politischen Entscheidungen fusste, gehen die Museen auf engagierte
private Initiativen zurück, wobei das älteste Museum, das österreichische jüdische
Museum in Eisenstadt bisher am wenigsten von seiner Institutionalisierung profitieren
konnte und das geringste Budget (und die bei weitem geringste Mitarbeiterzahl) aufweist.
Der Halacha fühlen sich alle drei jüdischen Museen verpflichtet, im Zweifelsfalle - wie
etwa bei der Ausstellung der Totenmasken in Wien - wird der Oberrabbiner konsultiert.
Der Boom zur Einrichtung jüdischer Museen in Österreich ist
dabei ungebrochen: der Leiter des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich in
St. Pölten (Niederösterreich), Klaus Lohrmann, überlegt derzeit eine neue Form der
Vermittlung der wissenschaftlichen Erkenntnisse seines auf das mittelalterliche Judentum
spezialisierten Instituts und denkt dabei an die Nutzung der ehemaligen Synagoge von St.
Pölten. Zugleich möchte er eine digitale Vermittlungsform kreieren und sein Institut im
Internet plazieren.
Wien, Juli '98
Übersicht:
Die jüdischen Museen in Österreich
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