"Geschichte läßt sich nicht ungeschehen machen,
erst recht nicht die Geschichte dieses Ereignisses,
das im Zentrum einer Erschütterung stand,
die die Welt verändert hat.
Diese Vergangenheit nicht zu kennen heißt,
sich selbst nicht zu begreifen."
Raul Hilberg
MASKEN
Versuch über die Schoa
Bereits 1920 erklärten die deutschen Professoren Karl Binding und
Alfred Hoche in ihrem Buch "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten
Lebens", daß es Menschen gebe, "die das furchtbare Gegenbild echter
Menschen bilden".
Wer das "Gegenbild" und wer der "echte
Mensch" sei, könnten nach Binding und Hoche Mediziner wie Psychiater eindeutig
entscheiden. Der Begriff vom "lebensunwerten Leben" war akademisch legitimiert.
Die Auseinandersetzung um das Thema hatte schon lange vor dieser Publikation begonnen und
war keineswegs auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Doch in Deutschland bekam diese
Diskussion eine weitere Dimension, als die Nationalsozialisten, geleitet von einer
"biologisch-medizinischen
Vision nationaler Gesundung" die Definition des "Lebensunwerten" über
die medizinischen Grenzen ausdehnten: "Lebensunwert" waren bald nicht mehr nur
die geistig, psychisch oder körperlich Behinderten und die unheilbar Kranken,
"lebensunwert" waren bald auch politisch Andersdenkende, Homosexuelle,
Kriminelle und vor allem die "nichtarischen Rassen".
Die Theoretiker des Nationalsozialismus haben diese Definition des
"Lebensunwerten" getroffen, der politische und juristische Apparat hat diese
Definition übernommen. Und auch aufgrund der pseudowissenschaftlichen Untersuchungen von
Erbbiologen, Anthropologen, Rassenhygienikern und im Forschungsbereich tätigen
Humanmedizinern wurde festgelegt, wer ein Recht auf Leben hatte und wer nicht, wer der
"echte Mensch" und wer das "Gegenbild".
Diese von den Nationalsozialisten, ihren Handlangern und Mitläufern
gemachten "Gegenbilder" stehen im visuellen Mittelpunkt der Ausstellung
"Masken. Versuch über die Schoa".
"Masken" ist keine historische Ausstellung zum Thema nationalsozialistischer
Vernichtungspolitik. Sie ist auch keine Dokumentation programmierter und organisierter
Massentötungen. Vielmehr zeigt sie die Reduktion des Individuums auf ein Materialobjekt,
an dem überprüft wird, ob die Definition als "Gegenbild" stimmt und was an
diesem Material sonst noch demonstriert werden könnte. Sie stellt die Frage nach der
Würde des Menschen und der Relativität ethischer Normen. Sie ist der Versuch, das zu
thematisieren, was die Schoa letztlich war: gemeiner Mord. Sie ist darüber hinaus der
Versuch nach unserem Umgang mit diesen Morden zu fragen, mit den Mordobjekten, mit
"Objekten", die vormals Menschen waren.
25. Juli bis 26. Oktober 1997
Jüdisches Museum Wien, Kuratorin: Felicitas Heimann-Jelinek
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