"Die Antwort
auf braune Wahlerfolge"
Interview von Christian Rath
Der
Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, fordert ein
Antidiskriminierungsgesetz noch vor der Bundestagswahl. Antisemitismus
dürfe dabei nicht ignoriert werden. Warnung an CDU: Keine Kampagne
starten
taz: Herr Friedmann, die
Bundesregierung will das geplante Antidiskriminierungsgesetz nicht mehr
vor der Wahl umsetzen. Ist das politisch klug?
Michel Friedman: Nein, das
finde ich überhaupt nicht. Dieses Gesetz sollte jetzt verabschiedet
werden. Es ist die richtige Antwort darauf, dass es immer mehr braune
Punkte auf der europäischen Landkarte gibt.
Sie denken dabei an die Wahl
in Frankreich?
Nicht nur. Wir haben bereits
einige Regierungen, an denen fremdenfeindliche Parteien beteiligt sind:
in Österreich, Italien und Dänemark.
In Regierungskreisen heißt es,
das Gesetz sei mit heißer Nadel gestrickt. Ist eine Vertagung dann nicht
sinnvoll?
Es gibt überhaupt keinen Grund,
das Gesetz weiter zu verschieben. Das Vorhaben ist lange bekannt,
sollten noch Korrekturen nötig sein, könnten diese in den nächsten
Wochen durchgeführt werden.
Aus der SPD hört man, dass das
Gesetz vor der Wahl nur kommen könne, wenn das umstrittene Merkmal
"Religion" gestrichen wird. Ist das ein gangbarer Kompromiss?
Der Zentralrat der Juden besteht
ausdrücklich darauf, auch die Diskriminierung wegen der Religion zu
ächten. Gerade der Antisemitismus, also die religiöse Verfolgung des
Judentums über Jahrhunderte in Europa und auch in unserer Gegenwart,
beweist wie dringlich die Religion als Merkmal dieses Gesetzes
beibehalten werden muss. Insbesondere Deutschland mit seiner Geschichte
muss sich hier eindeutig positionieren. Wenn das Gesetz den
Antisemitismus ignoriert, wäre es schlichtweg unglaubwürdig.
Aber legen nicht auch jüdische
Gemeinden Wert darauf, gezielt jüdische MitarbeiterInnen einstellen zu
können oder ihre Sozialeinrichtungen vorrangig für die eigenen
Mitglieder offen zu halten?
Selbstverständlich.
Religionsgemeinschaften sind Tendenzbetriebe, die im Kernbereich ihrer
Tätigkeit nicht beliebig sein können. Hierzu liegen aber vernünftige
Kompromissvorschläge auf dem Tisch. Worüber jetzt noch gestritten wird,
ist die Diskriminierung im Alltag, zum Beispiel bei der privaten
Vermietung von Wohnungen.
Das Gesetz könnte stark in die
Privatautonomie der BürgerInnen eingreifen. Sehen Sie als Rechtsanwalt
das nicht mit zwiespältigen Gefühlen?
Aus dem Grundgesetz ergibt sich
eine klare Ablehnung der Diskriminierung auch im Alltag, dort wo
Menschen wegen Hautfarbe, Religion oder sonstiger sinnloser Kriterien
benachteiligt werden. Der Staat muss zeigen, dass das nicht akzeptabel
ist.
Fürchten Sie nicht, dass Ihre
Partei, die CDU, ein Antidiskriminierungsgesetz der rot-grünen Regierung
im Bundestagswahlkampf gnadenlos angreifen würde?
Ich warne alle Beteiligten davor,
mit einer solchen Kampagne um Stimmen zu werben. Rassismus und
Diskriminierung dürfen nicht hingenommen werden. Das gilt für alle
Parteien.
hagalil.com / 06-05-2002 |