Studie zu rechtsextremen Einstellungen:
Antisemitismus nimmt im Westen stark zu
Vergangene Woche wurden an der Universität Leipzig die Ergebnisse einer Studie
zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland veröffentlicht. Nach der auf
Umfragen eines Meinungsforschungsinstituts basierenden Untersuchung sind von den
verschiedenen Formen rechtsextremer Einstellungen in der Bevölkerung der
Bundesrepublik die Ausländerfeindlichkeit, der Chauvinismus und der
Antisemitismus am stärksten verbreitet. Im Zeitverlauf haben antisemitische und
den Nationalsozialismus verharmlosende Einstellungen in den alten Bundesländern
deutlich zugenommen, während die Ausländerfeindlichkeit in West und Ost auf
relativ hohem Niveau verharrt.
Die Studie wurde von Prof. Dr. Elmar Brähler, Medizinische
Psychologie und Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Leipzig, und
von Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Otto - Stammer Zentrum, Freie Universität
Berlin, durchgeführt und untersucht Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus,
Antisemitismus, Befürwortung einer Diktatur, Sozialdarwinismus und die
Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Insgesamt 43% der Befragten stimmen der Aussage zu "Wir
sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben". Dabei stimmen
Personen mit niedrigem Bildungsstand wesentlich mehr zu, vor allem in den alten
Ländern. Hier zeigt sich auch eine starke Altersabhängigkeit, die 65-Jährigen
stimmen sogar zur Hälfte zu. In diesen Ergebnissen gibt es allerdings keine
Veränderung zu Umfragen des Meinungsinstitutes Falter von 1994 und 1998.
Bei den Fragen nach Ausländerfeindlichkeit zeigt sich ein
leichter Rückgang im Vergleich zu 1998. Waren beispielsweise damals im Osten 48%
und im Westen 42% der Deutschen der Ansicht, die Bundesrepublik wäre durch die
vielen Ausländer überfremdet, waren es in der Leipziger Studie im Osten 42% und
im Westen 37% der Befragten.
Ganz anders dagegen die Situation im Bereich des
Antisemitismus. Hier macht sich im Vergleich zu den Befragungen von 1994 und
1998 ein erschreckender Anstieg deutlich: "Auch heute noch ist der Einfluß der
Juden zu groß" fanden 1994 im Osten nur 7%, im Westen 17%. 1998 waren im Osten
12% und im Westen 14% dieser Ansicht. Heute dagegen sind es im Osten 14% und im
Westen 31% der Befragten, eine "dramatische Veränderung in Westdeutschland" wie
die Studie deutlich betont. Der Aussage "Die Juden haben einfach etwas
Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns" stimmen
in Ostdeutschland 8%, in westdeutschland dagegen 22% voll zu.
Ein ähnliches Gefälle zeigt sich auch in Bezug auf die
Verharmlosung des Nationalsozialismus. Der Aussage "Ohne Judenvernichtung würde
man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen" stimmen beispielsweise im Osten
8% im Westen dagegen 19% der Befragten zu. 1998 waren es im Vergleich dazu im
Osten 9% und im Westen nur 10%.
Zusammenfassend zeigt die Untersuchung, daß in Ostdeutschland
die Ausländerfeindlichkeit wesentlich höher ist, aber auch der Glaube an
Diktaturen und der Wunsch nach einem starken Führer ist im Osten stärker
ausgeprägt. Dagegen ist in Westedeutschland ein gravierender Anstieg des
Antisemitismus zu verzeichnen, was dazu führt, daß erstmals die Zahl der
Personen mit rechtsextremen Einstellungen in Westdeutschland höher ist als in
Ostdeutschland.
Laut Prof. Brähler sind die Ergebnisse stark bildungsabhängig:
Personen mit Abitur sind "in weit geringerem Maße" anfällig für rechtsextreme
Einstellungen als diejenigen mit niedriger Bildung. Auch zeigte sich, daß Frauen
für diese Einstellungen "weniger empfänglich sind als Männer". Bei der
Befürwortung einer rechten Diktatur, dem Chauvinismus, der
Ausländerfeindlichkeit und der Verharmlosung des Nationalsozialismus findet sich
außerdem eine deutlich größere Verbreitung bei den über 60- Jährigen als bei den
mittleren Altersgruppen und den 14- bis 30-Jährigen.
Die Politik hat auf die Präsentation der Studie bisher noch
nicht reagiert. Lediglich Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der
PDS-Bundestagsfraktion, erklärte, daß darin ihre Befürchtungen und Erfahrungen
bestätigt wurden. Denn auch "die offizielle Politik leistet antisemitischen und
fremdenfeindlichen Positionen in der Bevölkerung wieder zunehmend Vorschub. Wenn
Leute wie Schill, Stoiber und Möllemann die Backen so mit fremdenfeindlichen und
antisemitischen Sprüchen aufblasen wie in den letzten Wochen und Monaten,
wundert es mich nicht, wenn sich auch in der Bevölkerung offener Antisemitismus
breit macht."
Gründe für den enormen Anstieg des Antisemitismus im Westen
hatte Prof. Brähler von der Universität Leipzig übrigens nicht genannt. Er
verwies lediglich auf "dramatische Sprünge" bei "existenziellen Angstgefühlen",
die andere Untersuchungen ergeben hätten und ihre Wurzeln in den
Terroranschlägen des 11. Septembers haben.
aue /
hagalil.com
10-09-02 |