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Antisemitismus ohne Antisemiten?
Möllemann, Blüm et al. bedienen Ressentiments - ohne es zugeben oder wahrhaben zu wollen

Von Wolfgang Benz
Jüdische Allgemeine, 03.07.02

Die Debatte über den aktuellen Antisemitismus, kristallisiert an der Politik Israels und der Haltung des Zentralrats der Juden in Deutschland, dauert jetzt lange genug, daß Trends und Argumentationslinien erkennbar sind, daß der Schaden besichtigt werden kann, der bereits eingetreten ist.

Personalisiert ist die Debatte an den Politikern Jamal Karsli und Jürgen W. Möllemann, die sie entflammt haben, an Guido Westerwelle, der der Ausbreitung des Herdes zum Flächenbrand mit großer Gelassenheit und langer Geduld beiwohnte, bis er zur internen Schadensbegrenzung die Autorität des Parteichefs hervorkehrte, gestützt auf Veteranen des Liberalismus, die dem Zeitgeist mit Überzeugungen zu trotzen suchen. Personalisiert ist die Debatte im zweiten Schub am Schriftsteller Martin Walser, dessen Roman um den Literaturkritiker "Ehrl-König" alias Reich-Ranicki unter Antisemitismus-Verdacht geriet und dadurch Blitzkarriere machte, was die literarische Qualität allein nicht ermöglicht hätte, und an Politikern wie Norbert Blüm, die in Interviews und Statements gewagte Spekulationen zum Zeitgeschehen und vermeintlichen historischen Parallelen äußern.

Unter dem Vorwand der Israelkritik, die als befreiender Tabubruch dargestellt wird, sind die Stereotypen der Judenfeindschaft in die öffentliche Auseinandersetzung zurückgekehrt. Das ist das neue an dieser Debatte, die mit zunehmender Erbitterung von Menschen geführt wird, die mit bierernster Trotzigkeit einklagen, was niemand bestreitet, das vermeintlich vorenthaltene Recht auf Kritik an Israel, das Ende vermuteter Privilegien "der Juden" in Deutschland, die es nicht gibt. Die Debatte läuft auf zwei Ebenen. In den Medien müht sich politische und sonstige Prominenz darum, den Konsens zu bewahren, der essentieller Bestandteil unserer politischen Kultur ist, den Konsens darüber, daß Antisemitismus als Mittel der Politik verpönt, daß Judenfeindschaft ein für allemal in diesem Land geächtet ist. Im Alltagsdiskurs, der zweiten und wirkungsmächtigeren Ebene, erfolgt mit Hilfe tradierter Stereotypen gegen Juden die Reanimierung muffiger Ressentiments, die ausschließlich mit den Kategorien "fremd" und "eigen" ein Politikverständnis mit dem Ziel, Gemeinschaft durch Ausgrenzung zu stiften, artikuliert.

Die Debatte hat sich schließlich an einem Nebenschauplatz verhakt, an der Frage, ob diejenigen, die sie entzündet haben, Antisemiten sind oder nicht (auch auf der zweiten Ebene, am Stammtisch und wo sonst der Diskurs geführt wird, dominiert die Frage, ob man ein Antisemit sei, wenn man dieses oder jenes sage, empfinde oder tue). Zuletzt hat vergangenes Wochenende Helmut Schmidt, ein Mann von Autorität und Reputation, dem Politiker Möllemann attestiert, daß er kein Antisemit sei. Warum mußte der Altkanzler in die Falle tappen, die der alerte Freidemokrat aufgestellt hat? Daß über die Nahost-Politik geredet und gestritten werden müßte, hat Helmut Schmidt eingefordert, als habe dies irgend jemand verboten, verbieten wollen, als könne so etwas verboten werden. Eben mit der Behauptung, man dürfe Israel nicht kritisieren, hat Jürgen W. Möllemann doch die schlichten Gemüter geködert und das Ventil geöffnet, um damit judenfeindliche Ressentiments salonfähig zu machen. Solcher Populismus ist auch dann wirkungsvoll, wenn das Kalkül im ersten Anlauf – bei der Werbung neuer Wähler – nicht aufgeht, denn die zweite Chance, als Märtyrer zu reüssieren, ist einprogrammiert.

Leserbriefe, Zuschriften, Rufe aus dem Publikum bestätigen, daß ein Popanz erzeugt wurde, damit er mit aller Kraft und großer Wut bekämpft werden kann. Der Popanz heißt, Israelkritik sei verboten, und andere Spukgestalten gesellen sich dazu: die Mär von der zionistischen Lobby oder vom beherrschenden jüdischen Einfluß auf die Medien sowie Weltverschwörungsphantasien krönen das Konstrukt.

Denkverbote und Meinungsmonopole werden behauptet, nur um sie brechen zu können. Mit Antisemitismus hätten die Unterstellungen, hätte das Hantieren mit Stereotypen, hätte das Geraune über jüdisches Wesen – davon geben sich die Pro-tagonisten überzeugt – nichts zu tun, entsprechende Vorwürfe werden mit der Entrüstung zurückgewiesen, die dem fundamentalen Verstoß gegen die guten politischen Sitten angemessen ist. Nicht aus Feindschaft gegen Juden, sondern im Kampf um Meinungsfreiheit, zur Wahrung berechtigter Interessen, werden, glaubt man den Beteuerungen, die grotesken Vergleiche gezogen bis hin zur Gleichsetzung von Juden und Nazis im Nahostkonflikt. Daß Juden darüber verletzt sind und sich dagegen verwahren, erregt die Verwunderung derer, die solches sagen, die keinesfalls Judenfeinde genannt werden wollen; die jüdische Abwehr der Kränkung kann aber mühelos in die Argumentation eingebaut werden.

Die Gründe liegen auf der Hand. Juden, die sich schuldig machen, verlieren den Opferstatus und werden angreifbar. Zur Rationalisierung der Abneigung, die als berechtigte und nachvollziehbare Kritik an einem bestimmten Sachverhalt erscheinen soll, muß jeder Antisemitismusvorwurf zurückgewiesen, muß jeder Verdacht, es ginge um etwas anderes als um berechtigte Anliegen, zerstreut werden. Als Hilfsmittel dient oft auch die Vermutung, man wisse gar nicht genau, was Antisemitismus sei, das müsse erst einmal definiert werden.

Der aktuelle Diskurs über den Antisemitismus hat ein schlichtes Design. Israelkritik wird als Tabubruch inszeniert und instrumentalisiert, als Vehikel zum Transport von Judenfeindschaft durch falschen Vergleich, konstruierte Parallelen oder beleidigenden Vorwurf. Norbert Blüm hat damit begonnen, als er vom "hemmungslosen Vernichtungskrieg" der Israeli gegen die Palästinenser redete, und dankbar nehmen es diejenigen auf, die gar nicht Israel meinen, sondern „die Juden“ überhaupt, die von Nazimethoden faseln und froh sind, daß es einen vermeintlichen Angriffspunkt gibt, der das Zutreffen aller stereotypen Ressentiments scheinbar beweist. "Auge um Auge, Zahn um Zahn" steht auf Transparenten, die bei Demonstrationen herumgetragen werden, und die Schlagzeilenkombination einer seriösen Tageszeitung "Jürgen Möllemann zeigt Reue - Zentralrat der Juden gibt sich unversöhnlich" bedient die gleichen auf Stereotypen basierenden Assoziationen.

Auf der Suche nach den Ursachen des neuen Antisemitismus folgert ein gebildeter und debattentüchtiger Zeitgenosse: "Ich kann mir beim besten Willen hierfür keine anderen Gründe vorstellen als das Auftreten des Zentralrats der Juden in Deutschland und die israelische Politik gegenüber den Palästinensern insbesondere unter Scharon, so wie es Möllemann (vielleicht in unpassender Form) ausgedrückt hat." Ob man einen, der Ressentiments gegen Juden instrumentalisiert, wie Möllemann bei der Verfolgung seines 18-Prozent-Projektes (bei dem Wählerschichten angesprochen werden, die bisher nur das Reservoir der Rechtsradikalen bildeten), ob man also einen, der antisemitische Emotionen stimuliert, einen Antisemiten nennt, scheint manchen die eigentlich bewegende Frage. Auch Altkanzler Schmidt engagiert sich an dieser Stelle, als sei der Vorwurf des Antisemitismus das Wesentliche, ein Vorwurf, der so ungeheuerlich ist, daß man auch diejenigen, die sich diesem Vorwurf leichtfertig aussetzen, in Schutz nehmen muß.

War Heinrich von Treitschke, Berliner Historiker im neunzehnten Jahrhundert, ein Antisemit? Von ihm stammt der unselige Spruch "Die Juden sind unser Unglück", der Jahrzehnte später allwöchentlich im Stürmer wiederholt wurde. Mit den Kleingeistern, Fanatikern, bösartigen Wirrköpfen, die zu Treitschkes Zeiten den Rassenantisemitismus erfunden haben, den Hitler zur letzten Konsequenz trieb, hatte Treitschke damals so wenig gemein wie heute Möllemann mit deren Epigonen, den Ideologen der NPD oder den Erzeugern des antisemitischen Giftmülls in der rechtsextremen Wochenzeitung für Unbelehrbare. Die Frage, ob Treitschke Antisemit war oder aus anderen Gründen Judenfeindschaft förderte, erscheint angesichts der Wirkung seiner Worte ebenso nachrangig wie Mutmaßungen darüber, ob Möllemann ein Antisemit ist. Von Belang ist aber der Schaden, den der eine angerichtet hat, den der andere anrichtet.

Möglicherweise verbergen sich hinter den definitorischen Finten und Winkelzügen, was Antisemitismus sei und wer ein Antisemit ist, wirklich Unkenntnis und Unsicherheit, ob "richtiger" Antisemitismus vielleicht erst als Stufe vor dem Völkermord zu definieren ist, daß also Vorbehalte gegen die Minderheit, die nicht unmittelbar Vertreibung oder Vernichtung im Schilde führen, nicht unter das Verdikt der Intoleranz, der Volksverhetzung, der Demokratiefeindlichkeit fallen und als verzeihliche Entgleisungen im Eifer des Gefechtes hingenommen werden sollten. Aber womit hat der mörderische Antisemitismus der Nationalsozialisten denn angefangen? Doch mit eben diesen Vorurteilen und Unterstellungen, die jetzt vom Antisemitismusverdacht gereinigt werden sollen.

Professor Wolfgang Benz leitet das Institut für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin

 hagalil.com / 07-07-2002

 


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