Beispiel "Brot für
die Welt":
Mit den besten Absichten
Die Aktion
"Bot für die Welt" der evangelischen Landes- und Freikirchen
Deutschlands hat auf ihren Internetseiten einen Sonderteil zum
israelisch-palästinensischen Konflikt eingerichtet. In der Einleitung
heisst es: "Wir wollen damit zu einem vollständigeren Bild der Situation
beitragen, da wir der Meinung sind, dass nur auf der Grundlage einer
kompletten Erfassung der Lage Konzepte zu einem tragfähigen Frieden
entstehen können." Nur ist leider genau das, die Darstellung eines
vollständigeren Bildes der Situation, überhaupt nicht gelungen.
Dabei hatten die Initiatoren
sicherlich die besten Absichten, "Brot für die Welt", das steht außer
Frage, ist eine Organisation, die seit Jahrzehnten Projekte sowohl in
den palästinensischen Gebieten wie auch in Israel unterstützt. Den
einzelnen Partnern soll ein Forum geschaffen werden, "um ihre
Sichtweisen und Reflexionen zu verbreiten. Dies gilt auch für die
ökumenischen Begleiter aus verschiedenen Nationen, die den Partnern -
auch mit Unterstützung von "Brot für die Welt" – in diesen Wochen
beistehen. Wir haben ihre Arbeit für soziale Sicherheit, Menschenrechte
und Versöhnung seit Jahren unterstützt und geschätzt. Wir wollen ihnen
nun die Möglichkeit bieten, ihre Stimme ohne Korrektur zu Gehör zu
bringen – unabhängig davon, ob wir ihre Sichtweise im einzelnen teilen."
Es folgen 19 verschiedene
Stellungnahmen, die bis in den Sommer vergangenen Jahres zurückreichen.
Wenn man sich durch die einzelnen Beiträge liest, bekommt man jedoch
ziemlich bald das Gefühl, daß die Auswahl absolut einseitig getroffen
wurde, fast alle Berichte sind aus palästinensischer Sicht geschrieben.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, ich hege keinen Zweifel
an den Berichten, halte es für richtig, daß sie publiziert werden und
die Welt über die Leiden der palästinensischen Bevölkerung informiert
wird. Und ich halte die Gründung des Staates Palästina nicht nur für die
beste Lösung des Konfliktes, sondern für eine moralische Verpflichtung.
Eines wird so allerdings nicht
erreicht, ein ausgewogenes und vollständigeres Bild der Situation zu
beschreiben. Und das war doch eigentlich die Absicht von "Brot für die
Welt"?
Unter den Stellungnahmen sind
erschütternde Berichte, wie beispielsweise "Kinder in Bethlehem". Die
Entwicklungshelferin Manuela Ziskoven, die im Guidance and Training
Center for the Child and Family arbeitet, schreibt hier: "Was antworten
Sie einem fünfjährigen Kind, das nach der Amputation seines Armes durch
einen Granatsplitter ängstlich fragt: "Wächst der wieder nach?" Wie geht
es Ihnen, wenn zwei Brüder im Alter von drei und vier Jahren sagen: "Ich
will sterben, ich will sterben!"? Wie beruhigen Sie junge Erwachsene,
die gleich nachdem die Panzer Bethlehem verlassen haben, meinen: "Das
war nur der Anfang! Wer weiß, was als Nächstes kommt!""
Andere Texte sind deutlich
problematischer, wie der Auszug aus einem
Interview mit Abla Nasir, Generalsekretärin der Young Womens Christian
Association (YWCA) Palästina. "Wir leben unter einer
Besatzungsmacht. Von einer anderen Nation unterdrückt, ist der
Widerstand unser legitimes Recht", heisst es da. Welcher Widerstand muss
man sich sofort fragen? Was zählt Abla Nasir zu legitimen Recht? Später
sagt sie, daß sie Selbstmordattentate nicht gutheißt. Aber ist es
legitim, Kinder mit Steinen den Soldaten entgegenzuschicken? Und ist ein
Vergleich mit Nazi-Deutschland angebracht? "Niemand forderte 1942 von
den europäischen Ländern, sich mit Deutschland zu versöhnen. Niemand
forderte während der Apartheid von den Schwarzen sich mit den Weißen zu
versöhnen. Aber wir müssen ständig versichern, dass wir nichts gegen die
israelischen Juden haben."
In einem Bericht vom Februar
diesen Jahres heisst es: "Jetzt benützt die Armee die Checkpoints und
Straßenblockaden als Orte, um das Feuer auf palästinensische Zivilisten
zu eröffnen. Gestern schossen israelische Soldaten mit scharfer Munition
auf die schwangere Shadia Khalid, als sie nach Nablus ins Hospital
wollte."
Wie gesagt, die Richtigkeit
dieser Berichte sei hier keineswegs angezweifelt. Es fehlt die
Darstellung der Gegenseite. Was ist mit den israelischen Kindern, die
jeden Morgen auf dem Weg zur Schule im Bus Ängste ausstehen? Darunter
auch arabische Israelis, die zunehmend von den Selbstmordattentaten
betroffen sind. Was ist mit den Menschen in Israel, die sich vor dem
Supermarkt umschauen, wer hinter ihnen geht? Was ist mit den
hinterbliebenen Familien? Wie ist es für den Fernsehzuschauer, jeden
Abend in den Nachrichten Bilder von Beerdigungen zu sehen, weinende
Kinder, Witwen, Eltern?
Wie kann es Propaganda-Filme
geben, die Kinder als Selbstmordattentäter werben? Wie kann es
antizionistische Hetze in Schulbüchern geben? Wie will Palästina
demokratisch werden, wenn angebliche "Kollaborateure" auf der Straße
gelyncht werden?
Und wie kann der Versuch, ein vollständigeres Bild des
israelisch-palästinensischen Konfliktes zu zeigen, alles dies außer acht
lassen? Die Seiten von "Brot für die Welt" seien jedem empfohlen, der
ein Beispiel dafür sehen möchte, wie man sich trotz der besten
Absichten, auf die eine der beiden unversöhnlichen Seiten ziehen lassen
kann. Auch wenn sich "Brot für die Welt" stets für die Schwachen und
Armen stark macht (Das Leitmotiv ist: Den Armen Gerechtigkeit!), und in
diesem Zusammenhang in mehr als 2000 Projekten herausragende Arbeit
leistet, das Bild ist so nicht annähernd vollständig!
aue / hagalil.com / 05-05-2002 |