Ein Platz zum Spielen und Lernen
Hamburg hat
wieder einen jüdischen Kindergarten. Neubeginn nach zwei Jahrzehnten
Von
Kay Dohnke
"Ba-ruch A-ta A-do-nai
E-lo-hei-nu Me-lech ..." Kinder üben die Segenssprüche für Schawuot. Sie
haben mal deutschen, mal russischen Akzent, doch alle geben sich viel
Mühe, die schwierigen Wörter richtig auszusprechen.
Auf dem Kopf selbst gebastelte
Blumenkränze, wird vor einem Berg Sinai aus Pappmaché das jüdische
Wochenfest gefeiert. Der Anlass: die Übergabe der Tora am Berg Sinai vor
über 3300 Jahren. Der Ort: Hamburgs neuer jüdischer Kindergarten, der
gestern offiziell eingeweiht wurde*.
Die Jüdische Gemeinde an der Elbe
hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark vergrößert, ein eigener
Kindergarten wurde dringend benötigt. Aber in Hamburg mangelte es an den
nötigen Mitteln dafür - bis Ronald S. Lauder von dem Problem hörte. Der
amerikanische Industrielle und ehemalige US-Botschafter in Österreich
half bei der Lösung: Wie bereits in anderen Städten stellte er aus dem
Etat der Lauder Foundation das fehlende Geld zur Verfügung. Nachdem die
Stadt Hamburg den Um- und Ausbau entsprechender Räumlichkeiten innerhalb
der Jüdischen Gemeinde in Eimsbüttel weitgehend übernahm, wird vor allem
das laufende Budget aus der Lauders Stiftung dauerhaft mitfinanziert.
Schon Anfang Oktober 2000 konnte
die Arbeit mit einer ersten Gruppe von zwölf Kindern vorab beginnen,
während ein Teil des Gemeindegebäudes für die künftige neue Nutzung
hergerichtet wurde. Und bereits im April zogen die Kinder dorthin um,
doch offiziell einweihen wollte man die Räume erst im Beisein des
Förderers. Als Ausdruck des Dankes an Ronald Lauder trägt der
Kindergarten nun seinen Namen.
Fünf PädagogInnen - davon
allerdings nur zwei in Vollzeit - und eine Köchin betreuen jetzt 21
Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. Geleitet wird der Kindergarten
von Judith Jacobius, die vorher in Berlin und Düsseldorf viele Jahre in
jüdischen Kindergärten tätig war. Mit großer Erfahrung und viel
Enthusiasmus übernimmt sie ihre neue Aufgabe in Hamburg: Kindern
jüdische Religion und Kultur mit allen Sinnen erlebnisreich nahe zu
bringen. "Viele Kinder erfahren das Judentum bei uns auf umfassende
Weise", sagt sie.
Manche Eltern können ihren
Kindern selbst wenig beibringen, weil sie - vor allem Zuwanderer - nur
begrenztes Wissen haben. Doch auch in religiös sehr bewussten Familien
besteht selten die Möglichkeit, das Judentum in größerem Kreis zu
erleben und zu feiern. "Wo können die Kinder schon im Alltag gemeinsam
mit dem Rabbiner singen?", fragt Frau Jacobius und ist sehr froh
da-rüber, dass sich in Hamburg Dov-Levi Barsilay gern und oft um die
Kleinen kümmert. "Der Rabbiner ist jederzeit für die Kinder da."
Nebenan werden die Stimmen
lauter: Die Kinder haben eine Spinne entdeckt. Behutsam bugsieren sie
sie in eine Glasflasche - auch wenn ihnen dabei vielleicht nicht ganz
geheuer ist, lernen sie, die kleine Kreatur zu achten. Später wird das
Tier draußen in den Garten gesetzt. "Spielen, Lernen und die Religion
sind etwas Ganzheitliches", erklärt die Kindergartenleiterin, "und man
kann jeden Tag, an jedem Thema und Gegenstand immer auch das Jüdischsein
vermitteln."
Wobei sie betont, dass der
Kindergarten - trotz der oft sehr hohen Erwartungen der Eltern - nur
ergänzende Erziehung bieten kann und soll und auch keine Schule ist. Die
Ergänzung aber, so zeigt ihre Erfahrung, findet auch auf unerwartete
Weise statt: Die Kinder bringen ihre Eindrücke nach Hause, möchten nun
auch dort die Rituale und Feste erleben. Lernten früher die Kleinen von
den Großen, bekommen mittlerweile die Eltern wichtige Impulse von ihren
Kindern. "Aber nach wie vor bleibt die Mitarbeit der Eltern
unverzichtbar, wenn der Kindergarten seine Aufgaben voll erfüllen soll."
So klein einige der Kinder auch
sein mögen, sind ihnen manche Grundregeln bereits sehr vertraut und ganz
selbstverständlich geworden. Vor dem Essen setzen die Jungen fix ihre
Kipa - die traditionelle Kopfbedeckung - auf, dann werden die Hände
gewaschen: dreimal etwas Wasser über die linke, dreimal über die rechte
Hand gegossen und mit dem vorgeschriebenen Gebet begleitet. Zu Beginn
der Mahlzeit wird dann ein Tischgebet gesprochen.
Wie in vielen anderen
Kindergärten kommen auch hier Kinder mit verschiedenen Muttersprachen
zusammen. Neben Deutsch und vereinzelt Iwrit ist das vor allem Russisch;
Spracherziehung gehört also im jüdischen Kindergarten ganz
selbstverständlich zu den täglichen Aufgaben. Ungewöhnlich ist für die
meisten Kinder anfangs die Sprache vieler Lieder, die aber nicht nur auf
Hebräisch, sondern oft auch auf Deutsch gesungen werden.
Mit der Einweihung des
Kindergartens kehrt in Hamburg wieder ein Stück Normalität in das Leben
der Jüdischen Gemeinde zurück. Muss-te ein erster jüdischer Kindergarten
zum Ende der siebziger Jahre wieder geschlossen werden, sind die
Aussichten heute weit besser. Der neue Kindergarten - baulich bereits
für eine Erweiterung angelegt - wird wachsen; schon jetzt gibt es eine
Warteliste. Und sein Start lässt die Hoffnung auf die Verwirklichung des
nächsten Schrittes zur Wiederbelebung des Gemeindelebens zu: in
absehbarer Zeit wieder eine jüdische Schule zu gründen. Judith Jacobius
hat sich ebenfalls ein ambitioniertes Ziel gesteckt. Sie möchte für die
größeren Kinder ein Iwrit-Programm starten, um sie umfassender an die
Sprache heranzuführen.
Mit dem finanziellen Rückhalt
durch die Lauder Foundation und die Stadt Hamburg wird der Kindergarten
künftig zu einem wichtigen Element der Gemeindearbeit werden. Die Kinder
selbst haben ihre neue Spiel- und Lernstätte schnell erobert und nehmen
ganz selbstverständlich an, was für sie eigentlich schon längst hätte
selbstverständlich sein sollen und in Hamburg nun endlich auch wieder
ist: einen Platz zu haben, an dem sie angemessen betreut, gefördert und
gefordert werden, in einem pädagogisch, religiös und kulturell stimmigen
Umfeld.
* Die Redaktion hat sich
entschlossen, weder Kinder noch PädagogInnen oder das Gebäude abzubilden
und auch die Adresse nicht zu nennen.
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12-06-2001 |