
Bisschen
Gedenken, bisschen Knast
Tagung
"Erinnerungs- und Gedenkkulturen im Dialog": Das Mahnen an die deutsche
NS-Geschichte zwischen Pädagogik und Standortimage
Von Elke Spanner
Die erneute Diskussion um die
Gedenkstätte Neuengamme ist symptomatisch. Schon dass überhaupt ein
weiteres Mal um den Ausbau gestritten werden muss, zeigt, dass
Erinnerung an die NS-Zeit nicht als bildungspolitische Notwendigkeit,
sondern allenfalls als moralische Verpflichtung betrachtet wird, deren
Erfüllung möglichst vielen Zwecken dienlich zu sein hat. Oder wie die
Historikerin Annegret Ehmann auf der Tagung "Erinnerungs- und
Gedenkkulturen im Dialog" am Wochenende im DGB-Haus am Besenbinderhof
sagte: Es besteht die Gefahr der Vereinnahmung der Gedenkarbeit, weil
sie sich politisch umsetzen lässt.
Außenpolitisch wird sie für den
Standort Deutschland benutzt, zuletzt offensichtlich beim Appell der
deutschen Wirtschaft an Betriebe, dem Entschädigungsfond für
NS-ZangsarbeiterInnen beizutreten und damit das Ansehen Deutschlands in
der Welt zu bewahren. Oder eben in Hamburg am Beispiel Neuengamme: Der
neue Rechtssenat hätte auf dem Gelände des ehemaligen
Konzentrationslagers gerne einen funktionalen Kompromiss, ein bisschen
Gedenken, aber auch ein bisschen Knast. "Wir sind uns des
Diffamierungspotentials unserer Entscheidung bewusst", sagte
Bürgermeister Ole von Beust (CDU) selbstmitleidig, als er die
Koalitionsentscheidung präsentierte, und brachte damit auf den Punkt,
was allein den Senat noch zum Umschwenken bewegen könnte: Wenn der Ruf
der Stadt oder vielmehr derer, die in ihr die Regierungsmacht in den
Händen halten, leiden könnte.
Dabei, sagte Professor Bernd
Faulenbach von der Universität Bochum, ist Erinnerungsarbeit "in
besonderer Weise geeignet, die Bedeutung von Menschenwürde und Freiheit,
von Menschen- und Bürgerrechten, generell von humanen Werten zu
vermitteln, die eine unverzichtbare Basis unserer politischen Kultur
sind". Gedenkstätten sind insoweit außerschulische Lernorte. Wie diese
ausgestaltet sein müssen, war Thema der zweitägigen Tagung, die der
Bildungsträger "Arbeit und Leben" zusammen mit der "neuen Gesellschaft"
und der Landeszentrale für politische Bildung ausgerichtet hatte.
Der Diskurs wurde losgetreten
durch die Feststellung, dass sich die Herausforderungen an das
"kollektive Gedächtnis" verändern: Zum einen werden in wenigen Jahren
keine ZeitzeugInnen mehr zur Verfügung stehen, die über die NS-Zeit aus
eigenem Erleben berichten können und in der Lage sind, Fragen dazu zu
beantworten. Somit wird die Generation, die gerade selbst noch Lernende
war, "zu Sachwaltern des Erbes der Verfolgten", so Jens Michelsen von
der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Zum anderen verändert sich auch die
Gesellschaft, die zur Erinnerung an die NS-Zeit aufgefordert ist. Sie
ist zur Einwanderungsgesellschaft geworden und immer weniger homogen.
Beim Besuch einer Gedenkstätte werden laut Michelsen "die Folgerungen
eines türkischen Arbeiterkindes andere sein als die eines Kindes aus
einer gutsituierten bildungsbürgerlichen deutschen Familie".
Einig waren sich die
TeilnehmerInnen der Tagung darin, dass die Arbeit in den Gedenkstätten
von der häufig anzutreffenen "Betroffenheitspädagogik" abrücken muss.
Für Jugendliche sei der Holocaust heute eine "ebenso abgeschlossene
Geschichte wie die Französische Revolution oder die Weimarer
Republik",sagte Hartmut Zeising, Leiter der Internationalen
Jugendbegegnungsstätte Auschwitz. Doch ihnen werde eine schwere
moralische Bürde auferlegt: Trotz der eigenen biografischen Distanz
sollen sie in Erinnerung an den NS eine bessere Gesellschaft schaffen.
"Wir arbeiten immer noch sehr einseitig mit Schuld und Last", sagte die
Historikerin Ehmann. Die Schulen würden Gedenkstätten "entweder als
Schocker am Anfang oder als Abrundung am Ende" einsetzen, "und dann
heißt es, die Jugendlichen sollen eine bessere Welt gestalten und bereit
sein, die Haftung für Schulden zu tragen, die eine andere Generation
verursacht hat".
Erinnerung, sagte sie, müsse ins
tägliche Leben integriert sein. Gedenkstätten müsste es gelingen, so
auch Zeising, die zeitliche und biographische Distanz der Jugendlichen
zur NS-Zeit aufzuheben und das Geschichtsbewusstsein in ein
Gegenwartsbewusstsein zu transformieren. Die Bildungsarbeit müsse zu
einer Analyse herausfordern, wo heute "Mechanismen und Ideologien
wirksam sind, die im Nationalsozialismus Menschen zu Aggressoren,
Mördern, Helfern oder Zuschauern gemacht haben".
Immer mehr wird in dem Kontext
auch gefordert, ein früheres moralisches Verbot zu enttabuisieren: In
der Geschichtsbetrachtung auch die Perspektive der Täter einzunehmen.
Nicht, um das "Böse" zu vermenschlichen und damit zu relativieren.
Sondern, wie Zeising sagt, weil es in der Erinnerungsarbeit "nicht um
eine Dämonisierung der Täter und eine Glorifizierung der Opfer geht,
sondern um ein Verständnis und eine Bewertung dessen, was
unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Situationen zu ihrem
unterschiedlichen Handeln bewogen hat".
Offenbleiben musste die Frage, ob
Gedenkstätten zur Versöhnung beitragen oder die Wunde der Geschichte
gerade offenhalten sollten. Falsch sei es in jedem Fall, wie die
Referentin Regina Scheer aus Berlin betonte, eine Versöhnung zu
suggerieren, wie es beispielsweise bei der Gestaltung von Gedenksteinen
in der Vergangenheit immer wieder geschehen sei: Seit 1990 würden diese
zunehmend mit der Aufschrift versehen, dass sie den "Opfern der
Gewaltherrschaft" gewidmet seien - gleich, ob sie an ermordete
KZ-Häftlinge, an gefallene Soldaten oder Opfer des Stalinismus gemahnen
sollen. Damit würden die Wirkungszusammenhänge verschleiert.
Voraussetzung jeder Versöhnung sei aber "die Bereitschaft zur konkreten
Erinnerung".
"Es gibt keine für alle Zeiten
gültigen Denkmäler", sagte Scheer. Über die oft heftigen Debatten rund
um ihre Entstehung würden sie selber zu "historischen Zeichen". Was man
auch in Neuengamme wird feststellen können, falls der Senat sich zum
Ausbau entschließen sollte: Dann soll ein Teil der Außenmauer des
jetzigen Knastes stehenbleiben und nachfolgende Generationen daran
erinnern, wie in der Nachkriegszeit in Hamburg mit dem NS-Gedenken
umgegangen wurde.
hagalil.com / 21-11-2001 |