
Geteilte Wut,
geteilte Solidarität
1.500 Menschen
demonstrieren am Sonntag Solidarität mit Israel, 10.000 am Tag davor
Solidarität mit Palästina. Von Verständnis für die andere Seite ist
keine Rede mehr, wie die Geschichte eines Transparents einer Erlanger
Friedensgruppe zeigt
Von Uwe Rada
"Es gibt einen zunehmenden
Antisemitismus", sagt Sanem Kleff. "Die Schicht, die ihn bisher
verdeckte, ist ziemlich dünn." Die stellvertretende GEW-Vorsitzende
verweist auf die zahlreichen Diskussionen mit ihren Lehrerkollegen, die
sie teilweise erschreckt hätten. "Die wussten von Anfang an, wer schuld
ist: Israel, die USA, der Imperialismus. Der Konflikt im Nahen Osten
interessiert die gar nicht, auch nicht die Solidarität mit den
Palästinensern. Was ist das anderes als Antisemitismus?"
Sanem Kleff ist unterwegs zur
Demonstration gegen Antisemitismus und Solidarität mit Israel, die am
Sonntagnachmittag am Hackeschen Markt stattfindet. Sie ist unterwegs mit
gemischten Gefühlen. "Ich habe keine Lust, hier für Scharon zu
demonstrieren", sagt sie, als sie am Bahnhof Hackescher Markt die S-Bahn
verlässt. Auf dem ersten Transparent, das sie sieht, steht "Shalom, not
Sharon". Sanem Kleff ist erleichtert.
Es sind vielleicht 1.500
Menschen, die dem Aufruf einer Studentengruppe und einem Bündnis
verschiedener Gruppen und Institutionen folgen, dem sich auch die
Jüdische Gemeinde angeschlossen hat. Zwar habe es, erklärte einer
Sprecherin, einige Kontroversen um das Motto "Solidarität mit Israel"
gegeben. Doch beides, die Sorge um den zunehmenden Antisemitismus wie
auch die Forderung nach Solidarität mit Israel, sei nicht voneinander zu
trennen. "Gleichwohl", sagte die Sprecherin, "heißt unbedingte
Solidarität mit Israel nicht automatisch, für jede israelische Regierung
einzutreten."
Es ist keine Pro-Scharon-Demo,
die das Demonstrationsbündnis, nach eigenen Angaben ein "Zusammenschluss
linker Gruppen", im Sinn hat. Auch Pro-Scharon-Plakate wie in Frankfurt
sucht man vergeblich. Doch die "gemischten Gefühle", mit denen Sanem
Kleff zum Hackeschen Markt gekommen ist, werden von vielen Demonstranten
nicht geteilt. "Die Gutmenschen", sagt ein Redner über die "deutschen
Freunde der Palästinenser", "blenden aus, dass die Palästinenser nicht
nur arm, sondern auch Schweine sein können."
Ausführlich berichtet er den
Pro-Israel-Demonstranten über die Pro-Palästina-Demonstration am Tag
davor. "Wer sich dem Aufruf der Demonstration am Samstag anschloss und
unter Hamas-Fahnen und dem Gejohle des Pöbels marschiert", sagt er unter
dem Beifall der Teilnehmer, "der will, dass Israel aufhört zu
existieren."
"Solidarität mit Israel", das ist
am Hackeschen Markt auch eine Abrechnung mit all jenen, die nach Ansicht
einiger Kundgebungsredner das Existenzrecht Isreals in Abrede stellen:
den Palästinensern, die ein Rückkehrrecht für die "angeblichen
Flüchtlinge" fordern, um die "demografische Mehrheit der Juden in Israel
zu brechen"; dem "bürgerlich-parlamentarischen Fügel der Intifada um
Blüm und Möllemann sowie den Medien, "die Selbstmordattentäter zu
verzweifelten Widerstandskämpfern stilisieren".
Diejenigen, für die Solidarität
mit Israel aber nicht nur Krieg und Vergeltung, sondern ein Frieden für
beide Völker bedeutet, stehen eher am Rande. Obwohl die Stimmung auf der
Demonstration zumeist sehr ruhig und besonnen ist, ist auch hier die
Frage von Schuld und Verantwortung eindeutig beantwortbar. Angesichts
eines "offenen antiisraelischen Konsenses" müsse man sich eben
zusammenschließen. "Eine Peace-Now-Kundgebung", so ein Demonstrant,
"hätte anders ausgesehen."
Selbst Moshe Waks von der
Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde Berlin erntet wenig
Beifall, als er betont, "dass am Ende der Verhandlungen eine echter
Frieden stehen muss". Dass es dabei auch zwei Parteien brauche. Den
Beifall der Demonstranten bekommt er erst wieder, als er die
"Berichterstattung der Medien" kritisiert und "jene Politiker, die so
wenig Sensibilität für Israel an den Tag legen".
Als sich der Demonstrationszug
nach zwei Stunden schließlich in Richtung Synagoge in der Oranienburger
Straße in Bewegung setzt, bleibt eine Gruppe von Leuten mit ihrem
Transparent zurück. Auf dem steht "Jüdisches und palästinensisches Blut
ist beides rot". Die beiden Frauen aus Erlangen, die das Schild mit der
Aufschrift "Shalom, not Sharon" dabeihatten, wurden von aufgebrachten
Demonstranten und Ordnern sogar abgedrängt. "Zum einen, weil das
antiisraelisch sei", sagt eine Frau, "zum andern, weil wir das
Transparent auch gestern schon bei der Palästinenserdemo mit
dabeihatten."
Gemischte Gefühle, was ja auch
heißt, beide Seiten zu verstehen oder zumindest verstehen zu wollen,
waren auch nicht Sache der Palästinenser, die am Samstag vom
Alexanderplatz zum Potsdamer Platz marschierten. Auf eine Verurteilung
der Selbstmordanschläge in Israel wartete man vergeblich. Manche
Jugendliche hatten sich sogar Bombenattrappen um den Körper gebunden,
andere ließen auf Fahnen und in Sprechchören die Hisbullah hochleben.
Dennoch zogen die mehr als 10.000
Palästinenser und die wenigen Deutschen nicht unter der Fahne der Hamas
durch Berlin, wie es die Organisatoren der Pro-Israel-Demo darstellten,
sondern unter den schwarzgrünweißen Fahnen des geforderten Staates
Palästina. Die Islamisten, die teilweise auch eine UÇK-Fahne trugen,
waren eindeutig in der Minderheit, so wie es auch die ausdrücklichen
Scharon-Anhänger auf der Demo vom Sonntag sind.
Dennoch heizt sich die Situation
immer wieder auf, auch in Berlin. Als am Samstag, kurz nachdem die
Palästinenser-Demo den Berliner Dom erreicht hat, hundert Meter weiter
einige Gegendemonstranten Transparente mit der Aufschrift "Gegen den
antisemitischen Terror und seine SympathisantInnen" entrollen, versuchen
Jugendliche, die Polizeisperren zu durchbrechen. Fahnen der Hamas werden
geschwenkt, eine Israelfahne wird in Fetzen gerissen und anschließend
vor den Augen der Polizei verbrannt. "Juden töten", skandieren Einzelne.
Eine Zeit lang droht die Situation zu eskalieren. Doch dann können die
Polizei und die Demonstrationsordner die Jugendlichen abdrängen. Einen
zweiten Zwischenfall gibt es, als Steine und Flaschen auf die britische
Botschaft in der Wilhelmstraße fliegen.
Auch am Hackeschen Markt suchen
einige Jugendliche Feindbilder - und finden sie schließlich bei den
Friedensfrauen aus Erlangen und ihrem Transparent "Shalom, not Sharon".
Einige von den Jugendlichen stellen sich mit einem eigenen Transparent
davor. "Solche Sprüche kotzen uns an", sagt einer, "es gibt keinen Grund
mehr für den Frieden." Auf ihrem Transparent steht: "Wir lassen uns
nicht mehr abschlachten."
© Contrapress media
GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
hagalil.com / 15-04-2002 |