Spiegels Fechten
Auf einer Diskussion
über die Vergangenheit des "Spiegel" wundern sich auch ehemalige Redakteure über
die Verdrängungen des Magazins
Von Gisa Funk
Der Spiegel, das "Sturmgeschütz
der Demokratie", wie Rudolf Augstein sein Heft einmal protzig nannte, steht seit
einiger Zeit selbst unter Beschuss. Seit FAZ-Herausgeber Frank
Schirrmacher den siebenundsiebzigjährigen Hamburger Blattmacher zum
Ludwig-Börne-Preisträger bestimmt hat, wird der Protest immer lauter. Denn die
Weste des "bedeutendsten deutschen Journalisten der Nachkriegszeit", zu dem
Augstein kürzlich von Kollegen gekürt wurde, ist in den Augen einiger Historiker
keineswegs weiß. Spätestens seit bekannt ist, dass Der Spiegel
in seiner Gründungsphase ehemalige SS-Offiziere als leitende Redakteure
beschäftigte.
Eine Diskussion der Düsseldorfer
ASG-Bildungswerke zum Thema trug bereits die bange Frage im Titel: "Augsteins
Spiegel - Maskierung von Nazi-Vergangenheit?" Leider waren die, um die es
eigentlich ging, nur schwach vertreten. Neben den beiden Wissenschaftlern Iring
Fetscher und Lutz Hachmeister saß mit Hans Leyendecker nur ein Journalist auf
dem Podium. Tagesspiegel-Herausgeber Hellmuth Karasek hatte wegen
Krankheit abgesagt, wodurch Leyendecker, nach 18 Jahren als politischer
Redakteur vom Spiegel zur Süddeutschen Zeitung
gewechselt, sowohl die Moderation als auch die Verteidigung seines alten
Arbeitgebers übernehmen musste. Eine Doppelrolle, die ihm sichtlich nicht
behagte. Zumal ihm mit dem Kölner Medienexperten Hachmeister einer der
profiliertesten Kritiker des Spiegel gegenübersaß, der schon 1998 das
Urteil fällte: "Die Selbsteinschätzung des Blattes (kann) nur als gravierender
Fall von Realitätsverlust und kollektiver Verdrängung klassifiziert werden."
Augstein selbst schweigt beharrlich zu
den unrühmlichen Seiten des frühen Spiegel. Fest steht, dass der
Gründervater in den Fünfzigerjahren alte Nazis angeheuert hat, die ihm mit ihrem
Insiderwissen "brisante Storys lieferten", wie Hachmeister es formulierte. Dass
einige dieser Storys dann, wie etwa eine Serie über den Hamburger
Hafenschmuggel, die sich in der Beschimpfung von Juden und Ausländern
("Grenzvolk") erging, von braunem Gedankengut geprägt waren, scherte den jungen
Zeitungschef wenig. Er beförderte die Schmuggelschreiber Georg Wolff und Horst
Mahnke, die beide unter Reinhard Heydrich Mitarbeiter des gefürchteten
Sicherheitsdienstes waren, sogar zu Ressortleitern.
Leyendecker versuchte diese Vorwürfe
zunächst abzuschwächen, indem er darauf hinwies, dass fast alle großen deutschen
Zeitungen den "blinden Fleck" trügen, nach 45 ausgediente Nazis beschäftigt zu
haben. Schließlich jedoch resümierte auch der ehemalige Spiegel-Mann,
dass es "für mich umso unverständlicher (ist), dass man sich diesem Prozess
nicht stellt".
Gegen Hachmeisters Diagnose allerdings,
dass auch weiterhin "eine Art Corpsgeist" in Augsteins Redaktionen spürbar wäre,
verwahrte sich Leyendecker. "Man findet ein System, in dem einflussreiche Nazis
am Anfang eine enge Beziehung zum Haus hatten", sagte er. "Aber man wird auch zu
dem Punkt kommen, dass dies alles 1962 mit der Spiegel-Affäre vorbei
war."
Dass sich Der Spiegel mit der
eigenen Geschichtsaufarbeitung schwer tut, beweist auch die neueste Debatte um
den Reichstagsbrand. Tatsächlich gelang es dem Spiegel, die These vom
Alleintäter van der Lubbe kanonisch durchzusetzen. Nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs gelangte nun neues Aktenmaterial ins Berliner Bundesarchiv, das Zweifel
an der Van-der-Lubbe-Version aufkommen ließ. Das Magazin konterte prompt. Zehn
Seiten widmete der Spiegel vom 9. April dem Disput. Und obwohl eingeräumt
wurde, dass es "bei fast allen großen Kriminalfällen ein Restquantum an
widersprüchlichen Zeugenaussagen (gibt)", kanzelte man die vier Historiker im
Vorwort als "akademische Außenseiter" ab. Für Hachmeister die typische Reaktion
einer "männerbündischen Organisation".
Weil der Spiegel früher keine
ernst zu nehmende Konkurrenz hatte, habe man sich intern nie mit Vorwürfen
auseinander gesetzt. Eine Haltung, die vor allem bei Augstein einen klaren Blick
auf die eigenen Wurzeln verhindere. "Solange Augstein den Ton angibt, wird es
keine kritische Aufarbeitung geben", meinte Hachmeister.
GISA FUNK
taz muss
sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns,
wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin (BLZ
100 100 10), Konto-Nr. 39316-106
haGalil onLine 10-05-2001
|