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Lächeln provoziert

In Berlins U-Bahnhöfen dürfen Plakate mit den Gesichtern von jungen israelischen Terroropfern nicht gezeigt werden. Denn die Berliner Verkehrsbetriebe fürchten antisemitische Gewalttaten. 

Von Jan Süselbeck
Jungle World, 38/2002

An tote Juden möchten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihre Fahrgäste lieber nicht erinnert wissen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die BVG und deren Tochterunternehmen VVR Berek den Aushang eines zur Solidarität mit Israel mahnenden Plakates auf ihren U-Bahnhöfen schon im Juli abgelehnt hatten.

Das Poster zeigt mehr als hundert lächelnde Gesichter von Kindern und jungen Israelis, die mittlerweile durch palästinensische Selbstmordattentate umgekommen sind. Die BVG mutmaßt, dass solche Plakate antisemitische Gewalt provozieren könnten. Man wolle "keine politische Propaganda machen", sagt der BVG-Sprecher Wolfgang Göbel. "Wir hätten auch einen Plakatantrag einer arabischen Organisation abgelehnt."

Wegen dieses Neutralitätsprinzips, auf das man sich bereits 1994 nach einer intensiven internen Debatte um eine "Soldaten sind Mörder"-Plakataffäre geeinigt hatte, habe man bereits 1999 gegen ein Nato-kritisches Plakat das Veto eingelegt. Nun aber befürchtet die BVG sogar, dass empörte Palästinenser ihre Anlagen und Fahrzeuge beschädigen könnten.

Das Berliner Verkehrsunternehmen, das in den letzten Jahren öfters durch lediglich aus purem Zufall verhinderte Fahrgastkatastrophen in die Schlagzeilen geriet, entdeckt nun die Sicherheitsverantwortung für seine Kunden. Mögliche, durch die Plakate provozierte Auseinandersetzungen an den Haltestellen könnten Menschen gefährden, heißt es. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin wollte mit der Aktion jedoch keine Krawalle provozieren, sondern in einer zuweilen antiisraelisch eingestellten deutschen Öffentlichkeit um Solidarität mit Israel werben, vor allem mit den israelischen Opfern der palästinensischen Gewalt.

Die Fotos des Plakates umrahmen eine einfache Frage: "Was, wenn es Ihr Kind wäre?" Es handelt sich dabei wohl kaum um martialische Kriegspropaganda oder um eine gezielte Provokation palästinensischer Mitbürger. Nicht einmal Sharons umstrittene Verteidigungspolitik wird mit diesem Motiv direkt angesprochen oder in irgendeiner Weise unterstützt.

So eine freie politische Meinungsäußerung gegen Bezahlung zu ermöglichen, stünde der BVG, immerhin einer Anstalt des öffentlichen Rechts, eigentlich gut zu Gesicht. Die Jüdische Gemeinde hätte die Kosten von 25 000 Euro übernommen.

Auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) unterstützt die Gemeinde in ihrem Anliegen. Mit dem Plakat werde Trauer über die Todesopfer zum Ausdruck gebracht. Das solle "überall, auch im öffentlichen Raum" ermöglicht werden, so Körting. Juristische Konsequenzen kündigte der Senat aber nicht an. Auch die Jüdische Gemeinde erwägt einen solchen Schritt nicht.

Die Gemeinde hatte jedenfalls gehofft, in den 50 Bahnhöfen, wo die von ihr ausgewählten Plakate nur für zehn Tage aushängen sollten, möglichst viele Bürger ansprechen zu können. Auch wenn die Nahostberichte in den Medien inzwischen "objektiver" geworden seien, würden "die israelischen Opfer nicht in der gleichen Weise bedauert wie die palästinensischen", kritisiert das Vorstandsmitglied Moishe Waks. Das Plakat sollte zeigen, dass Palästinenser die Menschenrechte verletzen, indem sie gezielt israelische Zivilisten töten.

Der Jungle World sagt der Vorsitzende der Gemeinde, Alexander Brenner, man habe einfach an die solidarischen Gefühle der Leute appellieren wollen. Dass die BVG dennoch ihr Veto eingelegt habe, sei "sehr bedauerlich". Man wolle den Konflikt aber nicht eskalieren lassen, sondern erst einmal abwarten. Andere Aushangsorte seien zur Zeit nicht vorgesehen. Auch das an dem Gemeindegebäude in der Charlottenburger Fasanenstraße angebrachte Transparent "Berliner Juden für Israel" habe man mittlerweile wieder abgehängt.

Die BVG untermauert ihre Ablehnung auch mit dem Hinweis auf Protestbriefe. Mehrere Organisationen, darunter die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, haben sich nach Angaben ihres Vorsitzenden Rainer Zimmer-Winkel bei der BVG mit Erfolg dafür stark gemacht, die Plakate nicht anzubringen. Die Situation sei "emotionalisiert genug".

Der BVG-Sprecher Göbel, der das umstrittene Plakat als "sehr sensibel und bedrückend" charakterisierte, berichtet, dass es viele Protestanrufe im Call Center des Verkehrsunternehmens gegeben habe, "deren Einschätzung ich Ihnen nach dem 11. September selbst überlasse". Es sei unter anderem mit "entsprechenden Gegenmaßnahmen in der U-Bahn" gedroht worden. In einem der Protestbriefe sei das Plakat als "Provokation" der rund 18 000 in Berlin lebenden Palästinenser bezeichnet worden. Es sei "eindeutig rassistisch und zionistisch" und ein "Schlag gegen alle arabischen Menschen in der Welt".

Ein bemerkenswerter Vorwurf an ein Poster, das lediglich lächelnde israelische Kindergesichter zeigt und eine einfache Frage stellt. Dagegen schreckten Palästinenser jüngst nicht davor zurück, auf einer Berliner Demonstration den Zionismus mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen und ihre eigenen Kinder stolz mit Bombengürtelattrappen umherzutragen.

Nach Ansicht Göbels sei man nicht nur bei der BVG, sondern auch in der Jüdischen Gemeinde darüber verstört und beunruhigt, wie schnell die Aktion in antiisraelisch eingestellten Kreisen bekannt geworden sei, obwohl man den Sachverhalt lange Zeit nur intern und vertraulich behandelt hatte.

In dieser antisemitisch aufgeheizten Stimmung befürwortete der taz-Kommentator Philipp Gessler die Entscheidung der BVG und kanzelte die Plakatpläne der Jüdischen Gemeinde als "schockierende Methoden" ab, da hier Kinder für politische Ziele missbraucht würden.

Waks äußerte dagegen in einem Interview mit der Berliner Morgenpost, er "verstehe nicht, warum man die Gegenseite brüskiert, wenn man unschuldige Opfer zeigt. Es ging ja nicht darum, die israelische Politik gutzuheißen. Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung werden damit gewiss nicht herabgesetzt."

Inkonsequent erscheint an dem Neutralitätsgebot der BVG auch, dass man sich ein vergleichbares Plakat zum Thema 11. September offenbar durchaus vorstellen könnte. Damit würde eine eindeutige Aussage gegen den Terror getroffen, soll der BVG-Vorstand Hilmar Schmidt-Kohlhas bereits im Juli verlautbart haben. Zudem habe sich der Großteil der Berliner Muslime von diesem Anschlag auf die USA distanziert. Daher gäbe es in diesem Fall auch keine Sicherheitsbedenken.

Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. So muss sich Schmidt-Kolhas die Frage gefallen lassen, wieso die abgelehnte Plakataktion keine "eindeutige Aussage gegen den Terror" darstellen soll. Zudem passt es zur hiesigen Wahrnehmung des Nahostkonfliktes, dass sich bei der BVG niemand daran zu stören scheint, wenn sich ein Großteil der Berliner Palästinenser anscheinend von den Anschlägen auf israelische Zivilisten nicht so distanziert wie angeblich von den Anschlägen des 11. September. Offenbar hat man Verständnis für diesen kleinen Unterschied, der für ein "neutrales Unternehmen" keiner sein dürfte.

Auf diese Ungereimtheiten angesprochen, relativiert Göbel die Aussage seines Vorstandes. Schmidt-Kolhas sei im Urlaub, er selbst habe noch keine Gelegenheit gehabt, Rücksprache zu halten. Alexander Brenner bezeichnet eine solche Argumentation als "nicht nachvollziehbar" und geradezu "grotesk". Merklich um Beherrschung bemüht, erinnert er noch einmal an die kürzlich auf einem Berliner U-Bahnhof zusammengeschlagenen Jüdinnen, die durch einen am Hals getragenen Davidsstern erkennbar waren. Man könne den Eindruck bekommen, dass in Berlin mittlerweile jede bloße Erinnerung an jüdisches Leben schon als gefährliche Provokation aufgefasst werde.

hagalil.com 13-09-02


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