Ein ZWST-Seminar gab Anstöße für
attraktivere Gemeindezeitungen:
Steigende Mitgliederzahlen und noch keine
Gemeindezeitung?Von Judith
Kessler
Jüdisches Berlin, April 2003
Just in dem Moment, als die Repräsentanten der
größten Jüdischen Gemeinde des Landes wieder mal laut darüber
nachdenken, ihr Gemeindeblatt "jüdisches berlin" aus
Kostengründen abzuschaffen, hält die ZWST ein bundesweites Seminar
"Steigende Mitgliederzahlen und noch keine Gemeindezeitung?" ab.
Fast zwei Drittel der Gemeinden haben tatsächlich
bislang nichts Zeitungsähnliches, allenfalls eine Art Infoblatt; für
die Öffentlichkeit steht meist gar kein Pressematerial zur
Verfügung. Damit verschenken die Gemeinden seit über einem halben
Jahrhundert Bundesrepublik jedoch die Möglichkeit, die in der
Öffentlichkeit behandelten jüdischen Themen inhaltlich selbst zu
bestimmen, zu gestalten und zu vermitteln – nach Innen wie nach
Außen. Folgerichtig begann das, als Mehrteiler angelegte Seminar
Mitte Februar in Sobernheim mit "Basics". Referenten des
Diakonischen Werkes und der Benecke-Stiftung klärten die 23
Teilnehmer (20 davon GUS-Zuwanderer) zunächst darüber auf, was
Öffentlichkeitsarbeit überhaupt ist. Um sie zu befähigen, selbst
Presseinformationen zu verfassen, wurde zugleich handwerkliches Know
How vermittelt ("Das Wichtigste gehört an den Anfang" etc.) und am
Beispiel der Frankfurter Gemeindezeitung der genaue Aufbau eines
solchen Blattes bis hin zu seiner Finanzierung erläutert.
Die Präsentation bereits bestehender jüdischer
"Organe" erlaubte einen Überblick über den Stand der Dinge. Die
vorgestellten Zeitungen kommen aus Rostock oder Paderborn und heißen
"Neue Zeiten", "Kol Schofar", "Gemeindebrief", "Das Wort" oder
schlicht "Mitteilungsblatt der Gemeinde XY". Mit Ausnahme der
halbwegs professionellen Publikationen aus Berlin, Frankfurt oder
vom Bayerischen Landesverband, erinnern die vorgestellten Produkte
mehrheitlich an alte Schülerzeitungen. Das liegt weniger daran, dass
sie mangels Finanzierung meist aus kopierten Blättern
zusammengeheftet und ehrenamtlich hergestellt sind. Schuld ist eher
der äußer- wie innerlich ewig gleiche "Eintopf", aus dem sie
bestehen: bissl Purim, bissl jüdische Küche, Witz-Ecke, Gedenk-Ecke,
das nächste Brider-es-brent-Konzert, Geburtstag, Sterbefall, hier
'ne Menora, da ’n Davidstern, und noch ’ne Anekdote zum Schluss.
Aus dem Rahmen Fallendes offenbart sich "leider"
nur dem Russischkundigen, etwa ein Artikel "Was machen bei kalten
Füßen?" oder eine ellenlange Abhandlung über technische Details von
Kühlschränken (der Redakteur war in seinem letzten Leben
Elektroingenieur). Kontroverse jüdische Themen, wie das "jüdische
berlin" sie aufgegriffen hat, z.B. Transparenz in jüdischen
Organisationen, Mitgliederbefragungen, ethische Herausforderungen an
das Judentum (Klonen, Sterbehilfe etc.) oder neue Lebenformen
(Singles, gemischte Familien, Homosexualität etc.), werden
andernorts nicht diskutiert. "Solche Themen würden mich den Kopf
kosten", erklärt einer der Redakteure, die den Seminarteilnehmern in
einer Gesprächsrunde ihre jeweiligen Zeitungen vorstellen sollten.
Wenig ermutigend für die künftigen Redakteure, aber die
interessierten sich eh mehr für ihr Lieblingsthema
"zuviel-oder-zuwenig-Russisch". Als einzige unterhält so die
Israelitische Kultusgemeinde München neben ihrer Regionalseite in
der "Jüdischen Allgemeinen" (auf die sie redaktionell jedoch keinen
Einfluss hat) eine kleine Zeitung, in der konsequent der gesamte
Text Deutsch und Russisch Zeile für Zeile nebeneinander steht. Das
soll die Zuwanderer animieren, Deutsch zu lesen. An die
deutschsprachigen Mitglieder wird das Blatt allerdings nicht
verschickt; "was da drinsteht, interessiert die Deutschen nicht" –
meinen die Macher.
Altprofi Peter Königsberger von der
Rhein-Main-Zeitung paukte dem irritierten Forum anschließend im
Stakkato ein, wie ein Pressereferent idealerweise funktioniert.
Erstens: "Sorgen Sie dafür, dass alles, was über die Gemeinde nach
Außen dringt, über Sie geht" (dass das in Bezug auf die großen
Gemeinde Wunschdenken und passé ist, weiß auch er; aber "deswegen
sollten die kleinen, neuen Gemeinden die Chance nutzen, das jetzt
besser zu machen").
Zweitens: "Sie müssen verkaufen, vemitteln,
erklären, angreifen. Das heißt, Sie haben die meiste Arbeit und
kriegen die meisten Prügel. Seien Sie nicht nachtragend." Drittens:
"Halten Sie Kontakt! Bauen Sie sich eine Infrastrauktur auf. Seien
Sie immer informiert! Seien Sie immer erreichbar! Lassen Sie Ihr
Handy an! ..."
Von all dem sind die meisten der Seminarteilnehmer
weit entfernt. Sie haben weder Handy noch Kontakte. Etliche
verstehen auch nur die Hälfte und wollten eigentlich erst mal
wissen, wie so eine Zeitung überhaupt "geht", wo das Geld herkommen
soll und "wie man die Bilder da rein kriegt".
Für die praktischen Fragen – nach Auflage, Druck,
Werbung, Finanzierung, Recherche, Verteilung und so fort – gab es
dann auch Workshops. Mit dem neuen Wissen im Hinterkopf (plus der
Erkenntnis, dass Improvisationstalent angesichts leerer Kassen auch
hier nützlich ist) "bastelten" die Teilnehmer zum krönenden
Abschluss am Computer selbst ein Modell für eine Gemeindezeitung,
und fuhren mit der Hoffnung nach Hause, dies nicht "für den
Papierkorb", sondern als Startsignal für die Öffentlichkeitsarbeit
in ihren jeweiligen Gemeinden getan zu haben.
hagalil.com
06-05-03 |