"I
need you, to participate the story":
Bibliodrama / Bibliolog im
christlich - jüdischen Gespräch
Eine BIBLIOLOG-Woche
in Bad Segeberg
mit Peter und Susan Pitzele und Uta Pohl-Patalong
Von Andreas Pasquay
Der 'besondere Rock' – ein roter
Pullover
Es beginnt nicht von ungefähr in der Kapelle der Bildungsstätte.
Peter Pitzele demonstriert BIBLIOLOG – seinen BIBLIOLOG – hautnah,
dramatisch und mit viel Verve. Nicht von ungefähr wählt er als
biblischen Text 1. Mose 37,3+4, die Geschichte des 'Besonderen
Rockes', des 'Väterlichen Kleides', durch das Joseph durch seinen
Vater Jacob herausgehoben wird aus der Geschwisterschar. Die Frage
begleitet von Anfang an: Wer ist im BIBLIOLOG - der 'Vater'? Gibt es
eine – 'Mutter'? Was ist das Besondere, der 'Besondere Rock' im
BIBLIOLOG? Und wer sind die 'Brüder'? Und die Schwestern?
Anfänge
Sinnbildlich in der Anfangssequenz:
Der 'Besondere Rock' ist Peter Pitzeles eigener roter Pullover, den
er als Demonstrationsobjekt im BIBLIOLOG zu 1. Mose 37,3+4 einsetzt.
Spannend die Szenen, die er herauskitzelt: Es sprechen Joseph und
Jacob, der Geist Rahels und die Brüder jeweils aus verschiedenen
Perspektiven. Die Atmosphäre ist dicht. Das Ergebnis der
Demonstration ist so, dass die große Gruppe der Teilnehmenden mit
positiver Spannung die Woche in Bad Segeberg anzugehen bereit ist.
Das Ziel – das sei hier von vorneherein angemerkt – BIBLIOLOG in
seiner einfachen Form kennen zu lernen, zu üben und dann mit Erfolg
zu praktizieren, wird am Ende der Woche erreicht. "You have been the
most interested group, I have ever had!" Der typisch amerikanischen
Lobeshymne auf die Gruppe – die man/frau jedoch Susan und Peter
Pitzele als aufrichtig abnimmt – begegnet die Gruppe mit stehendem
Applaus: Es hat sich gelohnt. Es hat bewegt. Es hat wohl getan!
Das
Leitungsteam
"This
is Peter, this is Susan, this is Uta"
Daran haben Peter und Susan Pitzele und Uta Pohl-Patalong, das
Leitungsteam in seiner Unterschiedlichkeit einen hohen Anteil. Peter
Pitzele arbeitet charismatisch. Er ist ein Solist mit Charme. Er
zaubert gerne – und wenn es methodische Vielfalt ist. Peter Pitzele
ist amerikanischer Jude und hat seine Wurzeln in den
Literaturwissenschaften und im Psychodrama als Schüler von Jacob
Moreno. BIBLIOLOG hat er von dort kommend seit etwa 15 Jahren in
amerikanisch christlichen und jüdischen Gemeinden entwickelt. Heute
ist er u.a. Mitglied des 'Institute for Contemporary Midrash' (USA),
einer Organisation, die die Tradition des Midrasch mit Hilfe
künstlerischer Zugänge weiter trägt. Susan ist Beraterin und
Psychotherapeutin. Sie ist die wache Beobachterin, die Stimme der
Herzlichkeit und der Stabilität. Uta Pohl-Patalong trägt mit ihrer
kritischen Klarheit insbesondere zum Gelingen des Unternehmens bei.
Sie ist die Theologin im Team. Sie garantiert die
Wissenschaftlichkeit und die Einbindung in die bibliodramatische
Szene in Deutschland. Das alles gibt Struktur und Halt. Das ist
wichtig, ist doch der BIBLIOLOG in mancherlei Augenwinkeln eben der
gleichen Szene besetzt mit Urteilen wie 'oberflächlich', 'soft',
'unbedacht' – eben als 'Mac Bibliodrama'. Diese Mischung in der
Leitung tut dem 'Spiel als Ganzem' gut: Die Rollen sind klar
verteilt – und eben nicht auf eine Person allein fixiert.
Der Prozess – Wo bleibt der
Körper?
Gearbeitet wird
anwendungsorientiert mit Kurzvorträgen, praktischen Übungen und
ersten Erfahrungen im Anleiten eigener BIBLIOLOGE in Kleingruppen.
Die Sprache ist anglo-amerikanisch, was in den meisten Fällen
erstaunlich gut geht. Schwierig fällt vielen Teilnehmenden –
besonders wenn sie die Körperarbeit im Bibliodrama schätzen – die
oft mühsam lange Fixierung auf den Stühlen. Besonders am Anfang
ermüden die langen Sprachspiele. Der Körper verlangt nach Bewegung.
Die Leitung reagiert offen und methodisch gut durchdacht auf diese
Kritik. Die Kompetenzen und Fähigkeiten der Teilnehmenden wird
positiv in den Arbeitsprozess integriert. Einzelne leiten
Bewegungsübungen aus ihrer Kompetenz heraus an.
Der Eindruck aber bleibt: BIBLIOLOG
ist vor allem ein sprachliches Geschehen. Dies ist so – und es hängt
mit der methodischen Begrenzung des BIBLIOLOG und seiner Herkunft
aus dem jüdischen Midrasch zusammen. Und: In der Segeberger Woche
wird bewusst der Focus auf die Grundtechniken des 'Echoing' und
'Interviewing' gelegt. Im kommenden Jahr wird es im September so
etwas wie einen Aufbaukurs geben. Diese Entscheidung, sich erst auf
zwei Grundtechniken zu beschränken ist sinnvoll. Sie entlastet und
öffnet Raum für intensives Üben und vertiefte Arbeit.
Was aber ist BIBLIOLOG?
BIBLIOLOG ist – in knappen Worten
eine inszenierte Auslegung eines biblischen Textes in Gottesdienst,
Erwachsenenbildung, Religionsunterricht, KonfirmandInnenarbeit,
Schule oder Gruppe, in der die Teilnehmenden über eine vermittelnde
und anregende Moderation den einzelnen Facetten der biblischen
Figuren eine Stimme – später auch andere Formen – geben. Dabei ist
das Ergebnis nicht im Voraus festgelegt. Die Verkündigung – wenn es
denn in einem wie auch immer gearteten gottesdienstlichen Rahmen
geschieht – ereignet sich im Prozess. Sie 'geschieht' – oder – sie
'geschieht zuweilen auch nicht'.
Der/die ModeratorIn – Peter Pitzele
nennt ihn/sie "the director" - führt in kurzer Weise in die
jeweilige biblische Szene ein. Noch ist es ein "talking about the
bible". Dann lädt er/sie die Teilnehmenden ein, selber die Bühne des
Textes zu betreten. "I need you, to participate the story!" Niemand
ist gezwungen, eine Rolle öffentlich zu übernehmen. Diese Freiheit
ist wichtig. Sie schützt und öffnet zugleich. Teilnehmende verleihen
dann den verschiedenen Facetten der biblischen Personen (oder auch
Gegenständen ect) ihre Stimme. Persönliches, Phantasievolles,
Spirituelles bekommt so einen Klang-Raum. Der/die ModeratorIn
verstärkt, indem er/sie den Sprechenden ein Echo gibt. Dadurch
werden in einer eventuell großen Gruppe oder Gottesdienstgemeinde
alle Besuchenden mit einbezogen und der/die Sprechende wird bewegt
noch tiefer in die jeweilige Rolle sich einzulassen. In der eingangs
erwähnten Sequenz berichtet z.B. Jacob, warum er seinem Sohn den
'besonderen Rock' gegeben hat.
Der Moderator fragt: "You are
Jacob! Why did you give this clothes to your son Joseph?" und die
Antwort ist: "I'm Jacob! I feel especialy in love with Joseph,
because he is the son of Rachel!" Spannend – der BIBLIOLOG
entwickelt sich hier zu einem Trialog zwischen Vater, Sohn und dem
Geist der Mutter über die Rolle Rachels in dieser Familie. Neben dem
'Echoing' ist das 'Interview' eine zweite Technik des/r ModeratorIn,
den Dialog in Bewegung zu halten. Wichtig ist die Regel: Immer wenn
die Rollen wechseln, auf eine gute Ent-Rollung zu achten, also die
Teilnehmenden dazu anzuleiten, die Rolle wieder zu verlassen.
Wichtig auch die Regel, immer wieder auf den TEXT als Grundlage des
ganzen Geschehens zurück zu kehren. Er ist die Basis, die Leitplanke
und der Motor des Prozesses – und eben nicht der/die ModeratorIn.
Manipulation oder
Moderation
Dies ist ein Vorwurf, der leicht –
und zuweilen mit gutem Recht – gegenüber dem BIBLIOLOG erhoben
werden kann und wird: Inwieweit wird der Prozess nun moderiert oder
manipuliert. Und – inwieweit erschlägt das Charisma des/r
ModeratorIn die Eigendynamik eines Prozesses. Gerade bei Peter
Pitzele scheint dies nahe zu liegen, denn er setzt sein Charisma
bewusst ein. Man/frau kann dies ambivalent erleben. Dennoch –
positiv gesehen ist sein Charisma ein Licht, das es eben nicht unter
den Scheffel zu stellen gilt.. Von daher ist es entlastend, den
BIBLIOLOG in Bad Segeberg von drei unterschiedlichen
Leitungspersonen erlebt zu haben. Gerade Uta Pohl-Patalongs weiblich
klare und wohltuend nüchterne Art lässt jeden Verdacht auf
Manipulation sich verflüchtigen.
Er ist auch bei Peter und Susan
Pitzele nicht gerechtfertigt. Beide verstehen es – meistens – sich
als ModeratorIn hinter die Voten der Teilnehmenden in den
verschiedenen Facetten und Rollen zu stellen und sie je in ihrer
eigenen Art durch 'Echoing' und 'Interviewing' zu verstärken und zu
motivieren. Denn darum geht es: Sie zu schützen und zugleich im
Prozess BIBLIOLOG zu bewegen. Hier ergänzen sich Susan (Schutz) und
Peter (Dynamik) ausgezeichnet. Übrigens: Manipulation oder
Moderation, Überforderung und Schutz – das sind ja auch wesentliche
Gegensatzpaare, auf die BibliodramatikerInnen aller Couleur zu
achten haben und - meistens – achten.
Was aber schützt am gründlichsten
vor der Gefahr einer Manipulation: Die Achtung vor dem biblischen
TEXT. Hier scheint mir einer der wesentlichsten Vergleichpunkte zu
anderen – in der Gesellschaft für Bibliodrama in vielfältigster
Weise geübten – Bibliodramaansätzen zu liegen: Prozessorientiertheit
und TEXT-Bezug kennzeichnen eben auch den BIBLIOLOG von Peter und
Susan Pitzele und Uta Pohl-Patalog.
'Schwarzes und weißes
Feuer': Bibliodrama als Midrasch
Diese Achtung vor dem biblischen
TEXT gründet in einem der wichtigsten Ausgangspunkte des BIBLIOLOGS,
der jüdischen Auslegungsweise der Bibel, dem Midrasch. Es gilt, das
geschriebene Wort GOTTes, das "schwarze Feuer" in lebendiger,
aktueller Weise auszuloten und auszulegen, indem man/frau die
Zwischenräume der schriftlich fixierten Zeilen, das "Between", das
"weiße Feuer" mit Leben erfüllt. "Zwischen den Zeilen zu lesen und
zu leben – und dies zu (mit)teilen – auf der Grundlage des TEXTES,
das ist Midrasch, das ist BIBLIOLOG. "We do midrash, but we have to
connect it to the Torah." Peter Pitzele vergleicht das 'schwarze
Feuer' mit einer Melodie und das 'weiße Feuer', den BIBLIOLOG mit
einer dazu gehörenden Jazz-Improvisation.
An dieser Stelle, der Begründung
des methodischen Ansatzes des BIBLIOLOG in der jüdisch-exegetischen
Praxis des Midrasch erkenne ich einen entscheidenden Berührungspunkt
zwischen BIBLIOLOG und Bibliodrama. Es stände den verschiedenen
Bibliodramaansätzen gut an, in der jeweiligen Begründung dies
Denkmodell von 'schwarzem und weißem Feuer', dem 'Tanz in den
Zwischenräumen' und der Gründung des Ganzen in einer tiefen und
gewissen Einbettung des Prozesses im biblischen TEXT aufzugreifen.
Im jüdischen Zugang öffnet sich dem Bibliodrama über den BIBLIOLOG
eine exegetische Praxis – und Lebenshaltung - , die neben den
weiteren, bekannten Zugehensweisen, wie Psychodrama, Spiel, Ästhetik
u.a. ein gutes Maß und eine gute Gründung bietet. Bibliodrama ist in
seinen verschiedensten Vollzügen eine Form modernen Midraschs –
meist in christlichem Zusammenhang. Die interkulturellen
Bibliodramaversuche – u.a. in Berlin mit Leonie Renk, Ewa Alfred und
Iris Weiss – greifen diesen Zusammenhang schon seit längerem auf.
Besonders an diesem Wochenende in Bad Segeberg war übrigens auch die
Teilnahme von mehreren Jüdinnen und ihre wertvollen Impulse.
Ein Unterschied, der keiner
ist
Letztendlich erscheint die
Differenzierung von Bibliodrama und BIBLIOLOG künstlich. In den USA
benennen Peter und Susan Pitzele ihre Arbeit als Bibliodrama. Im
Deutsch-Europäischen Sprachraum wurde die Bezeichnung BIBLIOLOG
erfunden. Sie soll deutlich machen, dass es sich dabei einerseits um
eine dem Bibliodrama verwandte Form handelt, andererseits aber eben
keine mehrtägige Veranstaltungsform bietet. Möglich ist aber wohl
auch, dass die Neuformulierung eines speziellen Namens auch den
Markt der Bibliodramainteressierten im Blick hat: Neue Formen ziehen
eben InteressentInnen auf sich.
Sei es wie es sei: Der BIBLIOLOG
ist eine spezielle Form des Bibliodrama mit großen Stärken und –
natürlich auch - Anfragen. Es ist eine Art 'Kleiner Form' des
Bibliodramas, die gerade in ihrer Begrenztheit und Kürze viele
Vorteile bietet. Auch schützen ihre schnellen und pragmatischen
Methoden davor, zu schnell in tiefe Schichten der
Existenzbewältigung abzusinken und dann darin zu verharren, eine
Gefahr, der manches deutsche Bibliodrama gerne erliegt. An der
Oberfläche zu bleiben, muß nicht 'oberflächlich' sein – wie manche
meinen. Es kann auch die Chance in sich tragen, ganz pragmatisch und
in einer guten Begrenztheit spirituelle Erfahrung am biblischen TEXT
zu machen. BIBLIOLOG als Bibliodrama eignet sich hervorragend als
kleine, kompakte Form für öffentliche Räume – wie Gottesdienste,
Schulklassen, KonfirmandInnenarbeit und/oder Gruppenarbeit.
Vom Psychodrama, von dem der
BIBLIOLOG sich in vielen methodischen Schritten herleitet,
unterschiedet er sich in dreierlei Hinsicht: Er hat ein öffentliches
Setting – wie die Gottesdienstgemeinde oder die Schulklasse. Er ist
zeitlich begrenzt. Und der BIBLIOLOG – wie auch das Bibliodrama –
dient in keinem Fall therapeutischen Zielen.
Anfragen an die Methode
Anfragen an die Methode stellen
sich vor allem an den jeweiligen Prozessenden. Es ist bekanntlich
leicht, ein Bibliodrama in Gang zu setzen. Ihn aber auch in einer
guten Form zu beenden, fällt oft nicht leicht. Wie rundet sich ein
BIBLIOLOG? Wie formuliert 'es' sich für den/die jeweilige/n
Teilnehmenden? Und – wodurch und wie bleibt er/sie geschützt?
Spannend ist die Möglichkeit, den
BIBLIOLOG – wenn er denn ein gottesdienstliches Geschehen ist,
liturgisch einzubetten, ihn mit dem Friedensgruß zu eröffnen und ihn
mit Segen und/oder Gebet zu beenden. In diesem Fall kann auch
der/die Moderatorin abgeben – eben an die Kompetenz des 'Geistes,
‚welche/r weht, wo er/sie will'. Und dies ist eben auch etwas, was
durchaus im Sinne eines lebendigen und spirituell verstandenen
Bibliodramas liegt.
Anfragen an die Methode stellen
sich auch im Zusammenhang mit der strikten Fixierung auf die Rolle
des/r ModeratorIn. Freies Spiel, die Suche nach der 'eigenen Spur' –
so die wichtigen Impulse für das Bibliodrama aus dem Bereich
'Spiritualität und Playing arts' – sind schwer möglich. Denkbar
lediglich in der bewusst gewählten Reihung der angenommenen Rollen
eines biblischen TEXTES. Dies ist ein eindeutiger Mangel. Aber –
man/frau kann eben nicht alles haben. Und BIBLIOLOG siedelt sich
eben auf der gegenüberliegenden Seite des bibliodramatischen
Spektrums an – vielleicht als gute Ergänzung.
Und wenn wir uns
wiedersehen ...
Zu guter letzt – sozusagen als
Vorgeschmack auf Folgewochenende im September 2004 – öffnet Peter
Pitzele noch das Füllhorn weiterer Möglichkeiten des BIBLIOLOGS –
allesamt Methoden, die aus der Bibliodramaarbeit gut bekannt sind:
Figuren und Vignetten, Gesten, Kleine Anspiele, Soziogramme. Hier
wird man/frau genau hinschauen müssen, was im öffentlichen Raum
'Geschützt geht' und was 'ungeschützt bloß stellt' .BIBLIOLOG in Bad
Segeberg: Eine Erfolg versprechende Initiative, eine bewusst neue
Schwerpunktsetzung der Akademie, getragen und verantwortetet von Uta
Pohl-Patalong. Man/frau ist gespannt auf mehr!
Der Verfasser ist evangelischer
Pfarrer in Langenfeld und Vorstandsmitglied der deutschen
Gesellschaft für Bibliodrama.
Anmerkung der Redaktion: Was im
deutschen Sprachraum unter "Bibliodrama" bekannt ist, wird in den
USA "bibliotherapy" genannt. In Amerika ist "bibliodrama" das, was
in Deutschland "Bibliolog" genannt wird.
Wer sich für Bibliodrama / Bibliolog im christlich-jüdischen Dialog
interessiert, kann sich an
bibliodrama@hagalil.com
wenden.
hagalil.com
29-01-04 |