Wenn Christen
Pessach feiern ...
MiJu
In den letzten Jahren werden
Pessach-Seder in Kirchengemeinden immer populärer. Christen
verbinden damit den Wunsch, Jesus als Juden in seiner Tradition
tiefer zu verstehen, indem sie tun, was er - wie sie meinen - getan
hat.
Manche Gemeinden greifen auf die
traditionelle Pessach-Haggada zurück, andere entwickeln eigene
Liturgien, in denen sie Passagen der jüdischen Tradition verwenden
und diese durch das Prisma christlicher Theologie deuten: Jesus
identifiziert die Mazzen mit seinem Körper und den Wein mit seinem
Blut; das Verstecken und Finden der Mazze verweist auf Tod und
Auferstehung, der Durchzug durch das Rote Meer verkündet das
Sakrament der Taufe ... Manchmal werden jüdische Bezüge völlig
ausgeblendet, wenn es etwa heißt: "Die Jubilatekirche (Name
geändert) lädt ein zum Pessach-Seder. Wir erinnern uns dabei an das
Opfer, das Christus für die Welt gebracht hat - an seinen Tod und
seine Auferstehung".
Wie sollen wir als Juden damit
umgehen? Manche sehen darin ein Zeichen positiven Interesses von
Christen. Andere sind beunruhigt über die - nicht immer bewußte -
Verfälschung, Umdeutung und Vereinnahmung jüdischer Tradition. Die
meisten Christen aus der katholischen und evangelischen
(Landes-)Kirche wollen in ernsthafter Absicht Jüdischkeit erleben;
andere aus Freikirchen sowie "messianische" Juden sehen darin
außerdem eine Möglichkeit, Juden ohne jüdische Bildung und solche,
die in gemischt-religiösen Partnerschaften leben für ihre Sache zu
interessieren und zu missionieren.
Sie sehen sich in der Tradition der
frühen Christen, für die Pessach ein Bezugspunkt war, und zwar als
Signal der Befreiung von Tod und Sünde durch Jesus. Dabei wird
übersehen, daß weder Jesus noch die frühen christlichen Gemeinden
solche Seder praktizierten wie sie heute in vielen Kirchen
stattfinden um an das letzte Abendmahl zu erinnern. Es ist ein
historischer Irrtum und eine Fehlwahrnehmung, wenn Christen
annehmen, sie kämen durch Sederfeiern Jesus näher. Die Grundform des
Seders wie wir sie heute kennen hat sich bis zum 9. Jahrhundert
entwickelt. Als Neuschöpfung der Rabbinen steht er in einer anderen
Traditionskette als das Christentum, das sich seinem
Selbstverständnis nach aus der biblisch israelitischen Religion
herleitet.
Wie reagierten die Rabbinen auf die
Bemühungen, Pessach und das Abendmahl aufeinander zu beziehen? Im
Traktat Pessachim 10,5 findet sich ein Hinweis. Rabbi Gamalil II,
eine führende Autorität jener Zeit, pflegte zu sagen: "Wer diese
drei Dinge an Pessach nicht erklärt, kommt seiner Pflicht nicht
nach: das Pessachopfer, ungesäuertes Brot und Bitterkräuter." Er
wirkte in den 80iger Jahren unserer Zeit, als das Markusevangelium
mit Sicherheit und das Matthäusevangelium mit hoher
Wahrscheinlichkeit schon im Umlauf waren. Es ist nicht möglich, das
letzte Abendmahl zu rekonstruieren. Schon bei den frühesten
christlichen Niederschriften handelt es sich um Spiegelungen.
Glücklicherweise gibt es immer mehr
christliche Gelehrte, die einräumen, daß christliche Seder
problematisch sind und sich davon distanzieren, wie etwa der
katholische Theologieprofessor Hanspeter Heinz aus Augsburg, der
solche Praktiken als "religiösen Raub" benennt. Er plädiert für den
Dreiklang: die Tradition des anderen kennen lernen, verstehen lernen
und achten lernen. Das schließt ein Imitieren anderer religiöser
Praktiken ausdrücklich aus.
Schon in der Frühjahrsausgabe 2000
des CCAR-Journals (Central Conference of American Rabbis) machte der
Reformrabbiner Michael Cook deutlich, daß - falls Juden sich zu
diesen Fragestellungen nicht deutlich positionierten - dies dazu
führen wird, daß auch andere jüdische Feiertage von Christen
vereinnahmt werden. Er hat Recht behalten. Nicht nur in Berlin gibt
es inzwischen von freikirchlichen Gruppen - gelegentlich in
Kooperation mit "messianischen" Juden - organisierte Purim-,
Laubhütten- und Chanukka-Feste sowie Schabbat-Feiern. In
verschiedenen Berliner Synagogen wurde versucht, Flyer für diese
Aktivitäten unter den Gottesdienstbesuchern zu verteilen. Beim "Tag
der offenen Tür" positionieren sich regelmäßig "messianische" Juden
(Juden für Jesus) vor der jüdischen Oberschule um entsprechendes
russischsprachiges Material zu verteilen.
Rabbiner Cook hat darauf
hingewiesen, daß für das Gespräch mit den Christen, die Seder nicht
für missionarische Zwecke ausbeuten wollen und dialogbereit sind,
folgende Punkte wichtig sind:
1. Christen sollen wissen, daß die
Identifikation des "letzten Abendmahles" mit einem Pessach-Seder
sich aus einem einzigen Einschub, der von einem Redakteur des
Markusevangeliums hinzugefügt wurde, herleitet (Markus 14,12-16).
Das steht im Widerspruch zu früheren christlichen Traditionen, daß
Jesus vor dem Pessach-Mahl verhaftet wurde.
2. Christen, die etwas über
Judentum lernen wollen, sollen wissen, daß Jesus und auch die frühe
Gemeinde nicht vertraut war mit den heute üblichen Formen des Seder,
die eine Antwort auf die Situation nach der Zerstörung des Tempels
sind.
3. Seder, wie sie von Christen
übernommen und umformuliert werden, spiegeln meist dennoch die
Opposition des rabbinischen Judentums gegenüber dem Christentum, den
einzelne Aspekte des Seder waren gedacht als Maßnahmen jüdischer
"Theologie" gegen die Vereinnahmung traditionell jüdischer Motive
(Gamaliel!).
4. Einige Rituale des Seder sind
nicht vereinbar mit Grundannahmen christlicher Tradition. Wenn es
bei den Segenssprüchen zum Kerzenzünden "wetziwanu" (und G-tt hat
uns geboten) heißt, dann stellen Christen sich gegen das, was Paulus
gepredigt hat: Den Christen sind Gebote des jüdischen
Religionsgesetzes nicht auferlegt. Paulus hat diejenigen, die sie
dennoch befolgen wollten im Galaterbrief als "Geißel" getadelt.
5. Christen sollten sich darauf
beschränken teilnehmende Beobachter zu sein und nicht Ausführende.
Der Weg, den Juden im Seder nachvollziehen, stellt eine
Grunderfahrung für Juden als Volk dar, die Christen niemals als Volk
erlebt haben.
6. Christen sollen bei ihren
Bemühungen von Juden zu lernen unterstützt werden. Diejenigen, die
Inhalte vermitteln, sollen Juden sein. Dabei können und sollen wir
an christliche Gemeinden appellieren, sich beharrlich
"messianischen" Juden und anderen judenmissionarischen Aktivitäten
zu widersetzen.
7. Wir müssen klarstellen, daß die
Art und Weise wie christliche Seder durchgeführt werden,
unvermeidlich das Potential in sich trägt, die Verbesserung und
Weiterentwicklung unserer Beziehungen ernsthaft zu gefährden.
Gerade in Deutschland beklagen
Christen immer wieder, wie wenig Möglichkeiten sie haben, reales
jüdisches Leben kennenzulernen und leiten daraus gelegentlich ein
"Recht" zu christlichen Sederfeiern ab ("wir können ja nicht anders,
selbst wenn wir wollten"). Hier sollten wir die historischen
Ursachen deutlich ansprechen und klar machen, daß vor allem wir
Juden von diesem Bruch durch die Schoah betroffen sind. Wenn an
dieser Stelle, Christen einen Mangel spüren, weil sie gerne an
jüdischen Festen teilnehmen würden, es aber nicht genug
Möglichkeiten von unserer Seite gibt, auf diese Wünsche einzugehen,
dann stünde es ihnen als Christen besser an, um diesen Mangel an
Möglichkeiten zu trauern und sich bewußt zu machen, woher er rührt.
Wenn diese Leitlinien liebevoll,
unterstützend und klar kommuniziert werden, könnten sie ein Beitrag
dazu sein, daß christlich-jüdischer Dialog nicht durch künstliches
Harmonisieren von Gegensätzen sondern durch klare Akzentuierung und
Anerkennung der Unterschiede gewinnt.
Zum Weiterlesen:
Religiöser Raub - Wege und Irrwege christlich jüdischer
Gebetsgemeinschaft
Pessach im christlichen
Religionsunterricht
Wenn Christen biblische Feste feiern
Pessach
hagalil.com
02-04-04 |