Ajax Amsterdam und die
Juden:
Peinliches Erbe
Ajax Amsterdam,
Fußballverein der Spitzenklasse, genießt unter Juden weltweit einen
guten Ruf - was nur teilweise gerecht ist
RENÉ MARTENS
Wenn Welt- oder
Europameisterschaften stattfinden, schreibt er exklusiv eine Kolumne
für eine israelische Tageszeitung. Und als vor drei Jahren in
Jerusalem sein jüdischer Neffe heiratete, sah man ihn, den Kopf mit
einer Jarmulke bekleidet, durch die Straßen der Stadt gehen. Die
jüdische Kopfbedeckung hatte er eigens mit einer Zahl bedrucken
lassen. Es war die 14, seine berühmte Rückennummer - Johan Cruyff,
einer der besten Fußballer aller Zeiten.
Ohne Zweifel hat er eine besondere
Beziehung zu Israel. "Er gilt als eine Art ehrenamtlicher Israeli.
Wenn er bei uns eine Partei gründete, würde er bestimmt zwei, drei
Sitze in der Knesset gewinnen", sagt Saggie Cohen, israealischer
Fußballanalytiker.
In elf Tagen bestreitet Ajax Amsterdam,
dessen große Zeit in den Siebzigerjahren mit dem Namen Cruyff
untrennbar verbunden ist, in Mailand sein Viertelfinalrückspiel in
der Champions League. Viele jüdische Fußballfans werden sich diese
Partie anschauen wollen, denn ihnen ist Ajax nicht irgendein Verein
unter vielen anderen sehr guten.
Das hat nicht mit Cruyff allein zu tun,
sondern auch mit der jüdischen Tradition, die diese Fans mit dem
sechsmaligen Meisterpokalgewinner verbinden. Und von der möchten die
Offiziellen des Vereins heute nichts mehr wissen. Das ist schade,
denn es ist auch eine Geschichte von Solidarität und Menschlichkeit,
eine, die hauptsächlich Anfang der Vierzigerjahre spielt, als die
Niederlande von den deutschen Nazitruppen besetzt wurde. Der
Journalist Simon Kuper hat diese Geschichte aufgearbeitet, das Buch
mit seinen Recherchen heißt "Ajax, the Dutch, the War".
Ursprünglich hat Kuper, der in Holland
aufwuchs, in Berlin studierte und in London arbeitet, sein Buch für
die Niederlande verfasst. Für den englischsprachigen Markt hat er
nun eine erweiterte Fassung vorgelegt. In der untersucht er auch,
wie sich Faschismus und Krieg in anderen europäischen Ländern auf
den Fußball auswirkten.
Die niederländischen Juden waren viel
stärker vom Holocaust betroffen als ihre Glaubensgeschwister in
anderen westeuropäischen Ländern: Nur 35.000 von ihnen, rund ein
Viertel der jüdischen Bevölkerung des Landes, überlebten das
nationalsozialistische Regime.
In
Israel ist bis heute die Legende verbreitet, dass die Holländer den
Verfolgten damals heldenhaft zur Seite standen - im Übrigen ein
wesentlicher Grund für die Beliebtheit von Ajax in allen jüdischen
Communities.
Doch Hans Blom, Direktor des
Regierungsinstituts NIOD, hat schon 1986 darauf hingewiesen, dass
"besonders in den ersten Jahren der Besatzung" die
"Segregationsmaßnahmen der Deutschen nicht nur akzeptiert" worden
seien. Vielmehr hätten, wie auch Kuper mehrmals erwähnt, die
Holländer "effizient assistiert".
Leon Greenman, heute 89 Jahre alt, hat
niederländische Gründlichkeit zu spüren bekommen. Der Chef der
Rotterdamer Ausländerbehörde hätte ihn vor der Deportation bewahren
können, weil er wusste, dass er Engländer ist. Heute ist der
Auschwitz-Überlebende Greenman, der mit Fußball sonst nichts zu tun
hat, der Letzte, der noch erzählen kann, was mit Eddy Hamel geschah,
der zwischen 1922 und 1930 Rechtsaußen bei Ajax gewesen war.
Rob van Zoest, der das vor drei Jahren
erschienene Jubiläumsbuch des Vereins zusammengestellt hat, glaubte
noch, Hamel sei "vor dem Zweiten Weltkrieg" gestorben - ein Befund,
der symptomatisch ist für den offiziellen Umgang von Ajax mit seiner
Klubvergangenheit. Tatsächlich wurde der Stürmer aus Amsterdam 1943
in Auschwitz vergast. Greenman weiß, dass Hamel im
Konzentrationslager wegen eines Abszesses im Mund schnell
aussortiert worden war. Sie hätten immer ihre Rücken aneinander
gerieben, um der Kälte im Lager ein bisschen zu trotzen, erzählt er:
"Eddy hatte eine gute Durchblutung, sein Körper war sehr warm."
Die Ignoranz gegenüber dem Schicksal
Hamels ist nur eine der vielen widersprüchlichen Facetten in der
Haltung des Vereins. Anders als fast alle anderen niederländischen
Clubs habe Ajax - wenn auch nicht als Institution, eher "als
informelles Netzwerk" - seinen jüdischen Mitgliedern während der
Besatzung geholfen, betont Kuper.
Auf diese Weise konnte Jaap van Praag
überleben, von 1964 bis 1978 Präsident von Ajax. Die Solidarität mit
ihm und anderen war nicht politisch begründet. Eher speiste sie sich
aus Loyalität dem Verein gegenüber - und aus einem leicht elitären
Zusammengehörigkeitsgefühl. Nach dem Krieg schlug sich diese Haltung
darin nieder, dass Kollaborateure aus den Reihen des Klubs geschützt
wurden. Sogar Mitglieder, die dabei geholfen hatten, deportierte
Juden auszuplündern, sind als "little bread NSBers"
verharmlost worden.
Die NSB war die holländische Nazipartei,
und die Formulierung "little bread" sollte nahe
legen, die Betreffenden hätten nicht aus Überzeugung mitgemacht,
sondern nur deshalb, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Diese Einstellung paarte sich in anderen
Bereichen des holländischen Fußballs mit einer Feindseligkeit
gegenüber überlebenden Juden. In Amsterdam bat beispielsweise der
jüdische Fußballclub HEDW den Verband, ihm seine Schulden zu
erlassen, weil er zweihundert Mitglieder und somit Beitragszahler
verloren hatte. Die Funktionäre lehnten ab - "vielleicht aus Angst,
einen Präzendenzfall für zukünftige Völkermorde zu schaffen"
(Kuper).
Dass die Niederlande für die
Überlebenden ab Ende der Fünfzigerjahre langsam ein freundlicherer
Ort zu werden begann, hat viel mit Ajax Amsterdam zu tun. Damals
traten etliche jüdische Identifikationsfiguren in den Vordergrund:
der Rechtsaußen Sjaak Swart, in den frühen Siebzigern mit Ajax
zweimal Euroapcupsieger; darüber hinaus der spätere
Nationalelfkapitän Bennie Muller sowie der legendäre Masseur Salo
Muller, der Johan Cruyff im Bedarfsfall blitzschnell wieder
hinbekam.
Für viele Überlebende des Holocaust
wurde der Verein zur Familie: Und was gemeinhin eine Phrase ist,
klingt aus den Mündern jener, die tatsächlich keine Familie mehr
hatten, aufrichtig. Vor allem Cruyff, der 1964 in der ersten
Mannschaft debütierte, aber auch seine Teamkameraden wurden von
dieser Familie der anderen Art geprägt; jüdisch-holländische
Ausdrücke waren fester Bestandteil der Kabinensprache. Gebräuchlich
war der Begriff gojim (Nichtjude); und sowohl Juden
als auch Gojim erzählten jüdische Witze.
Allmählich
begann nun Ajax Aufstieg zum Weltklasseverein. Doch diese
Entwicklung hatte auch eine bizarre Seite. Nicht möglich gewesen
wäre diese Karriere ohne die Gebrüder van der Meijden.
Die Meijdens (Spitzname: "die
Bunkerbauer") waren für Juden keine Unbekannten. In der
Besatzungszeit kamen sie als Betreiber einer Baufirma zu Reichtum,
indem sie für das Dritte Reich arbeiteten. In den Fünfzigerjahren
allerdings investierten sie einen Teil ihrer schmutzigen Profite in
Ajax Amsterdam: Sie bezahlten Ablösesummen, besorgten den Spielern
Autos (Volkswagen) und halfen ihnen dabei, sich neben dem Fußball
eine bürgerliche Existenz aufzubauen.
Der wichtigste Bündnispartner der alten
Mitläufer wurde ausgerechnet Jaap van Praag, dessen Eltern und
Schwester von den Nazis ermordet worden waren. Die van Meijdens
bauten ihn langsam als Präsidentschaftskandidaten auf. Der Erfolg
basierte indes nicht nur auf anrüchigem Geld; zu den Finanziers
gehörte auch der milliardenschwere Immobilienmagnat Maup Caransa,
der fast seine gesamte Familie im Holocaust verloren hatte.
So bekam Ajax das Image, ein "Judenclub"
zu sein - was einen im Laufe der Jahre stets weiter eskalierenden
Antisemitismus im holländischen Fußball mit sich brachte. Vor drei
Jahren schrieb das an der Universität Tel Aviv angesiedelte
Stephen-Roth-Institut für Antisemitismus und Rassismus in einem
Jahresbericht, Sprechchöre wie "Hamas, Hamas / Juden ins Gas" seien
in niederländischen Stadien "seit langem die Norm". Obendrein geben
Stadionbesucher in tausendfacher Stärke Zischlaute von sich, um den
Klang von ausströmendem Gas zu imitieren.
Aber anders als in Deutschland ist das
kein Anlass zum Skandal, im Gegenteil werden in den Niederlanden
solche Sprüche bagatellisiert. Die Gesänge, sagen die
Beschwichtiger, richteten sich gar nicht gegen Juden, der Begriff
sei hier nur als Synonym für Ajax-Fans zu verstehen - als ob das
tröstlich wäre.
Micha Gelber, der mehrere
Konzentrationslager überlebt hat, flüchtet angesichts der
Sprechchöre in Fatalismus. Und vielleicht bleibt ihm auch gar nichts
anderes übrig, schließlich ist er Dauerkartenbesitzer bei Feyenoord
Rotterdam, jenem Club, bei dem der Antisemitismus aufgrund der
traditonellen Rivalität zu Ajax am stärksten verbreitet ist.
"Natürlich erlebe ich die Gesänge als schmerzhaft, schmerzhafter
geht es kaum", sagt er. "Aber nach allem, was ich durchgemacht habe,
habe ich eine Elefantenhaut. Antisemitismus interessiert mich nicht.
Das Einzige, was schlimmer sein könnte als das, was ich erlebt habe,
wäre die Gaskammer."
Gelbers
Club feierte die holländische Meisterschaft, und wie das so üblich
ist, präsentierte sich die Mannschaft dabei auf dem Balkon des
Rathauses. Die Spieler grölten populäre Fangesänge, die Menge
stimmte ein. Ulrich van Gobbel, Feyenoords Libero, schrie seine
Lieblingszeile gleich achtmal ins Mikro: "Wer nicht hüpft, der ist
ein Jude, hey, hey."
Aus Angst, solche Gesänge zu fördern,
leugne Ajax heute "jede Verbindung mit Juden", resümiert Simon
Kuper. Die Geschichtsklitterung gipfelt in einem Passus des
Jahrbuchs von 1995, in dem es heißt, Ajax habe unter seinen
Mitgliedern keine Toten wegen der Nazibesatzung zu beklagen gehabt.
Das stimmt nur insofern, als die vergasten Kicker zum Zeitpunkt
ihres Todes nicht mehr zum Verein gehörten, denn man hatte sie 1941
ausgeschlossen.
So ist es nur konsequent, dass es in der
Amsterdam Arena bis heute kein Denkmal für diese Opfer der
niederländischen Nazikollaboration gibt.
RENÉ MARTENS, 39, schreibt
überwiegend für Medien- und Sportseiten. Aktuelle Veröffentlichung:
"Wunder gibt es immer wieder. Die Geschichte des FC St. Pauli"
(Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2002, 320 Seiten, 21,90 Euro)
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19-04-03 |