Zwei Seelen
wohnen in ihrer Brust
Benita Ferrero Waldner in
Auschwitz und in Wien
Von Karl Pfeifer
Anläßlich der Eröffnung einer Wiener
Leihausstellung im Israel-Museum in Jerusalem1996 hörte ich zum ersten Mal eine
Rede der damaligen Staatssekretärin für auswärtige Angelegenheiten Benita
Ferrero-Waldner und war beeindruckt. Die Rede war taktvoll, kenntnisreich und
gut vorgetragen. In der Zwischenzeit wurde die Dame Bundesminister und hat
bewiesen, dass es bei ihr mit dem elementaren Anstand hapert.
Mit Empörung hörte ich mir ihre
kaltschnäuzige Stellungnahme zur Verhaftung der VOLX-Schauspieler in Italien an.
Ich fragte mich auch, wie es möglich war, dass eine manchmal doch taktlos
agierende Dipomatin ausgerechnet Protokollchefin der Vereinten Nationen werden
konnte.
Als ich heute die Meldung im Standard
(25.5.) vom Besuch der Bundesministerin Ferrero-Waldner in Auschwitz las, da
frage ich, ob die dort geäußerten Gefühle vielleicht vorgespielt und geheuchelt
sind. Wenn das nicht der Fall ist, dann wohnen zwei Seelen in ihrer Brust. Die
eine ist eine mitfühlende, die verlauten läßt: "Österreich ist sich seiner
historisch-moralischen Mitverantwortung für das Leid bewusst, das nicht
Österreich als Staat, wohl aber Bürger und Bürgerinnen des Landes über andere
Menschen und Völker gebracht haben", hatte es darin geheißen. "Viele Verfolgte
hätten sich eine frühere umfassende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
gewünscht", so Ferrero-Waldner. "Einzugestehen, dass viele unserer Landsleute zu
Tätern, Mittätern oder Mitwissern wurden" sei "nicht einfach gewesen". Zur
"besonderen Verantwortung, die uns die Geschichte auferlegt, gehört auch,
Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen überall und jederzeit
entgegenzutreten".
Da sie aber doch auch einige Zeit im
Inland verbringt, gelten hier ganz andere Kriterien. Als sie gefragt wurde, was
sie dazu sagt, dass die Bundesregierung die Wiener Wochenzeitschrift "Zur Zeit",
in der regelmäßig antisemitische Texte erscheinen, mit 63.000 EURO
subventioniert, da verblüffte und überraschte die "perfekt gestylte Ministerin",
denn sie antwortete, diese Zeitschrift nicht zu kennen und nicht gelesen zu
haben.
Bei Gelegenheit sollte doch Frau Benita
Ferrero-Waldner gefragt werden, wie sie denn ihre edlen Reden im Ausland mit der
rauhen österreichischen Wirklichkeit vereinbart. Möglich wäre es ja auch, dass
sie darauf antwortet, die Aufgabe der österreichischen Diplomatie der Zweiten
Republik sei es seit 1945 diese Wirklichkeit zu beschönigen und gelegentlich zu
verfälschen.
hagalil.com /
26-05-2002 |