Jörg Haiders
"antisemitische Weltsicht"
Eine wissenschaftliche Arbeit der Universität Jerusalem dokumentiert erstmals
die antisemitischen Konnotationen im Sprachschatz des Kärntner Landeshauptmanns
Jörg Haider.
Drei Klischeebilder lassen sich herausfiltern: der "angebliche
Holocaust-Überlebende", der "ehrliche Jude" und der "verräterische
Österreicher".
Von Klaus Zellhofer
Publiziert in www.nunu.at
"Der Spruch: Wenn Worte töten könnten, ist längst aus dem Irrealis in den
Indikativ geholt worden: Worte können töten, und es ist einzig und alleine eine
Gewissensfrage, ob man die Sprache in Bereiche entgleiten läßt, wo sie
mörderisch wird."
- Heinrich Böll
Vor einigen Wochen gab Jörg Haider ungewöhnlicherweise klein bei. Er
unterschrieb mehrere Ehrenerklärungen für den Präsidenten der Wiener
Kultusgemeinde Ariel Muzicant. Der Kärntner Landeshauptmann hatte bei einer
Wahlveranstaltung vergangenes Jahr Muzicant deftig beschimpft: "Ich verstehe
überhaupt nicht, wie einer der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann.
" Muzicant klagte daraufhin Haider und warf ihm Antisemitismus vor. Während die
Gerichte die Frage, ob Jörg Haiders Sager antisemitisch war, nicht klären
mussten, ist für die israelische Wissenschafterin Anat Peri, 46, klar: "Haiders
Antisemitismus ist ein typisches Beispiel für Nachkriegsantisemitismus im
deutschsprachigen Raum." Die Forscherin hat für die renommierte Hebrew
Universität in Jerusalem eine Studie über Jörg Haiders "antisemitische
Weltsicht" verfasst. Akribisch studierte sie alle Aussagen des FPÖ-Politikers
der vergangenen Jahre und prüfte sie auf antisemitische Konnotationen.
Das Ergebnis: Haider verwende in seinen Reden häufig Codewörter, die bei seinen
Anhänger antisemitisch verstanden würden. Seine Ansprache bei der
Neujahrsveranstaltung der Freiheitlichen im Jahr 2001 habe dies beispielsweise
klar gezeigt, als er die Entschädigungszahlungen für jüdische Opfer kritisierte:
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel erwarte wohl den "ungeteilten Applaus der
US-Ostküste", rief Haider in die brodelnde Menge. Wissenschafter Peri:
"Amerikanische Ost-Küste ist ein gebräuchlicher Code für amerikanische Juden."
Vor allem im Wiener Wahlkampf der FPÖ hätte Haider - so Peri weiter - viele
dieser Codes verwendet, um Stimmen zu ködern. Über den von Bürgermeister Michael
Häupl engagierten Wahlberater Stanley Greenberg, ein amerikanischer Jude, hatte
er gesagt: "Die Wahl ist zwischen einem Spin-Doktor von der Ostküste oder dem
Wahren Wiener Herz." Peri: "Die Aussage ist klar. Hier die Juden, dort die
wahren Österreicher." Auch Haiders Aussagen über Muzicant ("Dreck am Stecken")
bedienten antisemitische Stereotypen: "Hier wurden klar antisemitische Bilder
suggeriert, das vom den 'krummen Touren der Juden' und den 'schmutzigen Juden.'"
Viele politische Beobachter gaben sich während des Wiener Wahlkampfes der FPÖ
überrascht, dass Haider neben seiner rechtsextremen und ausländerfeindlichen
Weltsicht nun erstmals auch antisemitische Bilder in seine Reden einwob - auch
wenn er selbst das freilich immer bestreitet. Doch das Archiv ist wohl immer
noch der größte Feind des Politikers: Wissenschafterin Peri arbeitete heraus,
dass Haider immer schon derartige Stereotypen verwendete - mehr noch: Drei Typen
von jüdischen Klischeebildern, die Haiders Sprachwelt prägen, lassen sich
herausdestillieren. Das vom "angeblichen Holocaust-Überlebenden", der nicht
besser oder auch schlechter als die Nazis sei, der "ehrliche Jude", der die
Wahrheit über die Juden erzähle und der "verräterische Österreicher", der mit
seinen jüdischen Freunden gegen sein Heimatland kooperiere.
Als ein Beispiel führt die Studie Haiders Rechtsstreit mit dem verstorbenen
Friedensforscher Robert Jungk an, wo Haider laut Peri gleich mehrere
antisemitische Bilder projetzierte. Die Vorgeschichte: Robert Junkg,
Überlebender des Holocaust, kandidierte 1992 für die Grünen als
Präsidentschaftskandidat. Drei Wochen vor der Wahl beschuldigte Haider im
Fernsehen Jungk, im Schweizer Exil 1942 eine "Jubelbroschüre" für das Dritte
Reich geschrieben zu haben. "Haider versuchte einen jüdischen Holocaust
Überlebenden als Bewunderer und Kollaborateur mit den Nazi darzustellen, in dem
er die Unterschiede zwischen Opfer und Täter verwischte", schreibt Peri dazu.
Jungk klagte Haider vor Gericht. Dieser verlor, die Richter trugen ihm auf, sich
bei Jungk für die Anschuldigungen zu entschuldigen und dies im Fernsehen zu
verlautbaren, was Haider zu weiteren Angriffen provozierte.
Er lamentierte, dass das Gesetz "zwei Klassen von Bürgern schafft". Er nannte
Jungk "eine privilegierte Person" in einem "Zwei-Klassen-Staat", der die
"Journalistenmeute" auf seiner Seite habe. Peri: "Haider wie auch seinem
Publikum war klar, dass seine Bemerkungen auf Jungk's jüdische Herkunft zielten.
Auch wenn es keine offen antisemitischen Bemerkungen und Jungks Judentum kein
Thema waren, haben wir es hier mit einem typischen antisemitischen Diskurs zu
tun, der die gängigen Stereotypen vom 'privilegierten Juden' und der 'jüdischen
Kontrolle der Presse anführte'." Ein Bild, dass Haider auch jüngst in der
Auseinandersetzung mit dem Innsbrucker Politikwissenschaftler Anton Pelinka
strapazierte.
Pelinka wurde von Haider wegen übler
Nachrede geklagt, weil dieser Haiders Aussagen zum Nationalsozialismus
kritisierte. Als diese Klage im Bericht der drei EU-Weisen negativ bewertet
wurde, reagierte Haider drastisch: Pelinka habe seine "internationalen Freunde
bis hinauf zur New-York Times mobilisiert, um die FPÖ zu diffamieren. Er hat die
FPÖ nur im Ausland verleumdet, in Österreich hätte er so etwas nie geäußert. Das
ist eine hinterhältige Vorgangsweise." Peri: "Jeder in Österreich kann die
Nationalität von 'Pelinkas internationalen Freunden', die in der "New York
Times" schreiben, identifizieren. Es ist typisch für Haiders Antisemitismus,
dass er den Terminus 'Jude' nicht explizit erwähnt. "International" suggeriere
"internationales Judentum" und ersetzt den alten Ausdruck "Kosmopoliten", früher
ein beliebtes Schimpfwort für Juden, um das Klischee von der vagabundierenden
Natur und den fehlenden Wurzeln zu bedienen - im Gegensatz zu der tiefen
Verbundenheit der Deutschen zu ihrem Vaterland."
In der Diskussion mit Robert Jungk nannte
Haider den Politiker eine "angepasste Persönlichkeit", die es sich immer
gerichtet hat. Wörtlich sagte er: "Eine Fahne im Wind sollte nicht an der Spitze
des Staates stehen, wo man manchmal auch wetterfest sein muss." Das Motiv des
Windes verwendet Haider übrigens gern. Bei seinem Auftritt vor SS-Veteranen in
Krumpendorf lobte er ihre Standfestigkeit - "auch bei größtem Gegenwind." Peri:
"Die klar antisemitische Identifikation der Deutschen mit Stabilität und
Loyalität und die Juden mit Instabilität und Zersetzung, blieb unbemerkt." Gern
bediene Haider auch das Bild vom "guten Juden", jene Rolle, die einst im
Mittelalter konvertierte Juden spielten. Als Experte in jüdischen
Angelegenheiten konnte der "gute Jude" die üblichen antisemitischen Ideen vom
Standpunkt einer "objektiven Sichtweise" bestätigen. Weil: Eine Jude könne ja
nicht antisemitisch sein.
Als Beispiel zieht Peri Haiders spezielle Beziehung zu Bruno Kreisky heran. Als
er in einem Interview auf seine rechtslastigen Aussagen angesprochen wurde,
antwortete Haider: "Was Jörg Haider tut, ist keine Unterschied zu dem, was Bruno
Kreisky zwischen 1996 und 1970 tat. Er war auch erfolgreich, als er Simon
Wiesenthal als "Mafia" oder als Agenten eines privaten Femegericht bezeichnete."
Peris Fazit: "Wenn Haider wie der Jude Kreisky agiert, dann kann er nicht
beschuldigt werden, Nazi-Ideen zu haben."
Jörg Haider's Antisemitism by Anat Peri, The Hebrew University of Jerusalem
ISSN 0792-9269
Der Text kann über die Hebräische Universität Jerusalem bezogen werden:
The Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism
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hagalil.com / 17-03-2002 |