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Wandlungen und Brüche - 1897-1997:
Von Herzls "Welt" zur "Illustrierten Neuen Welt"

Von Andrea Übelhack

Der Zionismus befindet sich derzeit in einer gefährlichen Krise, einige Journalisten und Experten sprechen sogar schon vom Untergang Israels, vom unvermeidlichen Ende der israelischen Gesellschaft. Über 100 Jahre sind vergangen seitdem Theodor Herzl den ersten Zionistenkongress in Basel einberief und damit nicht nur den Grundstein für die politische Bewegung legte, sondern auch Anstoß zu heftigen Diskussionen über den richtigen Weg des Zionismus gab.

Denn bei weitem nicht alle Zionisten hielten Herzls Weg, seine Ausrichtung auf die nicht-jüdische Welt, wie Ahad haAm kritisierte, für richtig. Der Zionismus hatte von Beginn an ein facettenreiches Gesicht, mit dem die Beschäftigung gerade in solch schwierigen Zeiten lohnt.

Den besten Einblick in über 100 Jahre zionistische Geschichte gibt die "Welt". Der Band "Wandlungen und Brüche. Von Herzls "Welt" zur "Illustrierten Neuen Welt" 1897-1997" bietet bestens Gelegenheit sich mit dem späteren Zentralorgan der zionistischen Bewegung auseinander zu setzen.

Theodor Herzl hatte zunächst kein richtiges Forum, kein eigenes Organ. In der "Neuen Freien Presse" durfte er die zionistische Idee nicht erwähnen, da der Chefredakteur Moritz Benedikt, selbst Jude, fürchtete man würde dadurch dem Antisemitismus Vorschub leisten. Doch auch in den jüdischen Zeitungen, allen voran die große "Allgemeinen Zeitung des Judentums", aber auch in der Berliner "Jüdischen Presse" konnte Herzl nicht für seine Pläne werben, die Stimmung in diesen Blättern war gegen ihn und den Kongress gerichtet.

Im Mai 1897 wurde daher die "Gründung eines eigenen Organs zu einer nicht länger aufschiebbaren Notwendigkeit" (1). Herzl übernahm die volle finanzielle Verantwortung für die Zeitung, eine beträchtliche Investition, die er aus privaten Mitteln unternahm.

Der Umschlag der ersten Ausgabe war demonstrativ leuchtend gelb in der Farbe des mittelalterlichen Judenschandflecks. Im Leitartikel heißt es, die Zeitung sei ein "Blatt der Armen, der Schwachen, der Jungen, aber auch aller derjenigen, die sich ohne selbst in bedrängter Lage zu sein, zu ihrem Stamm zurückgefunden haben".

Die "Welt" sollte sich nach Herzls Willen zunächst durch ihre Vornehmheit auszeichnen, und sie sollte ein modernes Blatt sein, also ganz im Sinne der Herzlschen Ästhetik. Die Nachfrage ließ jedoch zu wünschen übrig. Im April 1898 hatte die "Welt" insgesamt 2400 Abonnenten, zu wenig, um wirtschaftlich arbeiten zu können. 1903 wurde die Zeitung dann jedoch offiziell zum Zentralorgan der zionistischen Bewegung ernannt.

Die Zeitung spiegelt alle Konflikte, wie z.B. die Uganda-Kontroverse, aber auch grundsätzliche Diskussionen innerhalb der zionistischen Bewegung wider. Die enorme Vielfalt der Artikel von den unterschiedlichsten Autoren, darunter auch führende Persönlichkeiten wie Ahad haAm und Martin Buber, gibt einen tiefen Einblick in die Geisteswelt der Jahrhundertwende und die Problematik jüdischer Identitäten.

Doch das vorliegende Buch geht weiter. Es untersucht erstmals umfassend die wechselhafte Geschichte der Zeitung von ihren Ursprüngen bis in die heutige Zeit. Dabei werden die verschiedenen Stationen der Zeitung zum Teil erstmals umfassend untersucht: Von der "Welt" zur "Neuen Welt" unter Robert Stricker, die letzte Nummer am 11. März 1938, die Neugründung nach 1948 unter dem Titel "Neue Welt und Judenstaat" und schließlich, seit 1969, die "Illustrierte Neue Welt".

Zum 100. Jahrestag der Gründung der Zeitung veröffentlichte die "Illustrierte Neue Welt" ein Faksimile der Gedenkausgabe zum zehnten Todestag von Theodor Herzl, ein Zeugnis nicht nur dafür, wie sehr Herzls Werk geschätzt wurde und welch namhafte Persönlichkeiten für die Mitarbeit gewonnen werden konnten, sondern vor allem für die mythenhafte Verehrung für Herzl.

"Ich sah und hörte zu, wie meine Legende entstand. Das Volk ist sentimental; die Massen sehen nicht klar. Ich glaube, sie haben schon jetzt keine klare Vorstellung mehr von mir. Es beginnt ein leichter Dunst um mich herum aufzuwallen, der vielleicht zur Wolke werden wird, in der ich schreite." (2) Diese Tagebucheintragung Herzls zeigt, dass er sich sehr genau darüber bewusst war, dass er bereits zu Lebzeiten zum Mythos geworden war. Er selbst vertraute in seine Prophezeiung, dass spätestens in 50 Jahren ein Judenstaat existieren werde.

Herzl war sich mehr als jeder andere zionistische Führer dieser Zeit der Kraft von Mythen in der Politik bewusst. Die Geburt modernen Nationalstaaten im 19. Jahrhundert in Europa war für ihn Beweis der entscheidenden Bedeutung von Mythen und nationalen Helden. Der Zionismus musste eine besondere Leistung erbringen, denn es galt, einen Spagat zwischen modernem Staat und biblischer Tradition zu schlagen. Doch auch Herzls aristokratischer Führungsstil, seine Vorliebe für große Gesten und Gebärden und sein hohes ästhetisches Verständnis trugen zu der Legendenbildung bei.

Herzl wurde schließlich selbst zu einem der bedeutendsten Mythen und Symbole der zionistischen Bewegung. Er symbolisierte die Stärke, den Stolz, die Ehrwürdigkeit und auch die physische Schönheit, die sich der Zionismus zur Erschaffung eines neuen Typen von Juden, im Gegensatz zur Diaspora, die "degenerierte, hässliche Ghetto-Juden" hervorgebracht hatte, auf die Fahnen schrieb. Für viele Zionisten war Herzl die Verkörperung dieses neuen Ideals. In Erinnerungen sprechen seine Zeitgenossen immer wieder von seiner männlichen Figur, dem gutaussehenden Gesicht, seinem Bart, der an einen biblischen Propheten erinnerte, und von seinen weichen, melancholischen Augen.

Vor allem aber die zionistische Mythologie, die sich nach Herzls Tod im Jahre 1904 entwickelte, verstärkte erneut seine Legende, die durch die Uganda-Krise angekratzt war. Sein Bild erschien nun überall, an jedem zionistischen Versammlungsort, auf allen Kongressen, in Büros, aber auch auf Einladungskarten, Briefmarken des Jewish National Fund, Uhren, Milchkannen und Zigarrenschachteln. Das wichtigste an dieser Ikonographie war ihr einender Charakter. Denn in Herzls Denken konnte fast jeder Bestätigung finden, sein Bild einte Rechte und Linke, Säkulare und Religiöse, Liberale und Konservative.

Tatsächlich war es aber wohl weniger Herzls Programm, sondern vielmehr sein Bild selbst, dass die Menschen fesselte. Der Zionismus benötigte dringend eine Heldenfigur wie Herzl. Sie musste Autorität symbolisieren, um das demoralisierte und verstreute Volk zu motivieren, sie sollte männlich, kräftig und vital sein, entgegen den "Ghettojuden", die Natur und Boden entfremdet waren. Gleichzeitig aber, und auch das war bei Herzl der Fall, sollte sie kulturell gebildet sein, um Juden und v.a. auch Nicht-Juden zu beeindrucken. Herzl passte perfekt in diese Anforderungen, sein persönliches Märtyrertum für die zionistische Sache verstärkte den Mythos nur noch mehr.

Der Jüdische Nationalfond fasst die Kraft der Legende Herzl in einer Ankündigung trefflich zusammen: "Dem lebenden Herzl haben wir ein Denkmal gesetzt in dem lebenden Walde. Im Herzlwalde will sich unsere Dankbarkeit verewigen. In der Keimkraft des Baumes, die von der Zukunft weiss, finden wir das Symbol der Keimkraft Herzlschen Geistes." (3)

Anmerkungen:
(1) Tagebucheintrag vom 12. Mai 1897, in: Theodor Herzl, Gesammelte zionistische Werke, Berlin 19343, Band II, S. 625.
(2) Tagebucheintrag vom 15. Juli 1896, in: Theodor Herzl, Gesammelte zionistische Werke, Band II, S. 485
(3) Die Welt, Herzlnummer, Faksimilie-Ausgabe anläßlich des 10. Todestages von Theodor Herzl, S. 707.

 
Joanna Nittenberg (Hrsg.): Wandlungen und Brüche. Von Herzls "Welt" zur "Illustrierten Neuen Welt" 1897-1997
Edition INW, ATS 440,- zzgl. Porto/Versand

Die Welt, Herzlnummer, Faksimilie-Ausgabe anläßlich des 10. Todestages von Theodor Herzl
Edition INW, ATS 220,- zzgl. Porto/Versand

haGalil onLine 26-04-2001


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