Zweifelhaftes Wahlkampfthema:
Stoiber und die Vertreibungsdekrete
"Es geht nicht um Zukunft oder Vergangenheit, wie das Herr
Schröder so gerne simplifiziert", sagte Kanzlerkandidat Edmund Stoiber
vergangenes Wochenende, "es geht um die Zukunft im Bewusstsein der
Vergangenheit." Wer nicht wisse, woher er komme, wisse auch nicht, wohin er
wolle. Gerade im Hinblick auf die EU- Osterweiterung gelte es besser, "diese
Wunden jetzt zu heilen, als sie in die Zukunft mitzuschleppen." Starke Worte
einer mit Angriffen auf Kanzler Schröder gespickten Rede, die der bayerische
Ministerpräsident auf dem Deutschlandtreffen der Ostpreußen in Leipzig hielt.
Während er Kanzler Schröder Geschichtsblindheit und Ignoranz gegenüber den
Interessen der Vertriebenen vorwirft, verspricht er, sich im Falle seines
Wahlsieges dafür einzusetzen, daß alle noch gültigen Vertreibungsdekrete
aufgehoben werden. Außerdem werde er sich für die Errichtung einer nationalen
Erinnerungsstätte für die Heimatvertriebenen einsetzen.
Vor 8000 Zuhörern forderte Stoiber Polen und Tschechien auf, die Vertreibungs-
und Enteignungsdekrete nach dem Zweiten Weltkrieg endlich aufzuheben. Die
Dekrete seien mit der europäischen Rechtsordnung nicht vereinbar. Er werde sich
"mit Nachdruck und vollem Herzen" für die Aufhebung einsetzen. Stoiber betonte,
in Polen sei im Vergleich zu Tschechien die Bereitschaft viel größer, das
Kapitel Vertreibung aufzuarbeiten. "Töne wie aus Prag sind aus Warschau nicht zu
hören", so der CSU-Politiker.
Die polnische Regierung hat vergangene Woche nicht offiziell auf den Appell
Stoibers reagiert. Ministerpräsident Leszek Miller wehrte sich allerdings gegen
die Gleichsetzung der Zwangsaussiedlung der Deutschen aus den
Oder-Neiße-Gebieten mit der Vertreibung der Sudetendeutschen.
Kommenden Donnerstag geht Stoibers Wahlkampfthema in eine neue Runde. Der
Bundestag muß zu einem Beschluß über ein Zentrum gegen Vertreibung Stellung
nehmen. Stoiber fordert eine "nationale Erinnerungsstätte" in Berlin. Doch das
wäre nach Ansicht von Experten die denkbar schlechteste Lösung. Einzig sinnvoll
sei ein europäisches Zentrum, das nicht notwendigerweise in Berlin zu Hause sein
muss. Auch Stoibers Parteikollegin Rita Süssmuth möchte das Projekt
dezentralisieren und "europäisch ausrichten". Sie plädiert für Standorte in
Berlin, Polen und Tschechien, aber auch in anderen betroffenen Ländern.
Schließlich gehe es um gemeinsames Erinnern mit seinen je nationalen
Besonderheiten, nicht nur um Vergangenheit, sondern um Zukunft", so Süssmuth.
aue / hagalil.com / 01-07-2002 |