Terezin nach der Flut:
Schäden in der Gedenkstätte Theresienstadt
Von Michal Frankl
Übersetzt von Anna Hájková
Die Kleinstadt Terezín (der tschechische Name Theresienstadts) und die
Gedenkstätte Terezín sind von der Flut sehr stark getroffen worden. Am Freitag,
den 16., und Samstag, den 17. August, wurde Terezín, wo während des Zweiten
Weltkrieges über 150 000 Juden ghettoisiert wurden, und die sogenannte Kleine
Festung, die als Gestapo-Gefängnis diente, vom Hochwasser völlig überschwemmt.
Auf den Stadtplätzen und in den Strassen Terezíns stand das Wasser
1,5 Meter hoch, in der Kleinen Festung noch höher. Die in den
Tageszeitungen veröffentlichten Bilder zeigten unter Anderem ein
Kanu als einzig mögliches Verkehrsmittel im Rathaus auf dem
Hauptplatz von Terezín, oder den Nationalfriedhof vor der Kleinen
Festung, der sich in einen trüben See verwandelte.
In diesem Bericht würde ich gerne die Schäden an der Gedenkstätte Theresienstadt
schildern. Zusammen mit den Freiwilligen der österreichischen Organisation
Gedenkdienst beteiligte ich mich einige Tage in Terezín an der Beseitigung der
Flutschäden; weitere Informationen bekam ich von den verantwortlichen
Mitarbeitern der Gedenkstätte.
Die Situation in der Stadt
Die Flut traf alle Objekte in der Stadt. In den Tagen nach der
Flut häuften sich vor jedem Haus Berge der zerstörten Dinge: Möbel, Geräte,
persönliche Gegenstände, Bücher usw. Vielerorts brechen die Strassen zusammen
und an den Ränden der Stadt befindet sich immer noch Wasser. Der allgegenwärtige
Schmutz begleitet den Besucher auf jedem Schritt. Nur langsam werden die
Leitungen für den elektrischen Strom und das Telefon erneuert.
Die Gedenkstätte Theresienstadt
Die Gedenkstätte Theresienstadt erlebte in den letzten Jahren
viele positiven Veränderungen. Es wurden einige neue Ausstellungen eröffnet und
neue Bildungseinrichtungen in Betrieb genommen. Als Folge der Flut ist dennoch
die Mehrheit der Objekte ausser Betrieb, wenn nicht gänzlich vernichtet. In
vieler Hinsicht wird die Gedenkstätte völlig von Null beginnen müssen. Die
Gedenkstätte Theresienstadt erlitt ernsthafte Schäden an ihrer Ausstattung, den
Ausstellungräumen und Bildungseinrichtungen, und auch manche ursprüngliche
Theresienstädter Denkmäler sind ernsthaft beschädigt.
1. Die Kleine Festung
Die Theresienstädter Kleine Festung, die während des
Weltkrieges als ein Gefängnis der Gestapo benutzt wurde, wurde völlig
überflutet. Alle ursprünglichen Zellen und weitere historische Objekte des
Gefängnisses wurden betroffen und schwer beschädigt, und das samt der originalen
Ausstattung (Pritschen, Fussböden etc.). Am ärgsten betroffen wurde der sgn. 4.
Hof, wo u.a. die alten vierstöckigen Pritschen und andere Objekte beschädigt
wurden.
Sehr ernst betroffen wird auch die Hinrichtungsstätte sein,
die noch unter Wasser steht. Wahrscheinlich ist auch der originale Galgen
vernichtet. Aus den selben Gründen kann man noch keine Schätzungen für den
Untergrundsgang unter der Kleinen Festung machen. Die Rekonstruktion und
Restauration dieser Gegenstände wird eine umfangreiche Finanzierung fordern,
und ein Grossteil der Kleinen Festung wird zumindest für einige Monate für
die Öffentlichkeit geschlossen bleiben müssen.
Völlig vernichtet wurde die Ausstelllung über Theresienstadt vor dem Zweiten
Weltkrieg, die in den Eingangsräumen stand. Angesichts des sich verbreitenden
Schimmels wird es nötig sein, die Ausstellung im Museum der Kleinen Festung zu
demontieren. Gerettet wurde lediglich die Ausstellung über Milada Horáková [eine
tschechische Sozialdemokratin und Widerstandskämpferin] im sgn. Krankenrevier.
Völlig vernichtet wurden auch die Büros und Lesesäle mit der gesamten
Ausstattung im Erdgeschoss des sgn. Herrenhauses, des administrativen
Hauptgebäudes der Gedenkstätte Theresienstadt. Die einzige gute Nachricht ist,
dass es [den Berichten des Kultusministers Pavel Dostál zuwider] gelungen ist,
das hier angesiedelte Archiv und die Bibliothek der Gedenkstätte zu retten.
Aus dem Archiv wurden lediglich einige Kartons etwas nass, in der
Bibliothek wurden etwa 5 Meter Bücher betroffen. Sowohl die
Archivalien als auch die Bücher wurden eingefroren und warten jetzt
auf eine fachkundige Restauration.
2. Nationalfriedhof
Der Nationalfriedhof, der sich unterhalb des Terrains der
Kleinen Festung befindet, verwandelte sich während des Hochwassers in einen
einzigen See.
Dank des schnellen Eingriffs der professionellen
Feuerwehrleute wurde das Wasser aus diesem künstlichen Teich wieder abgepumpt;
der Friedhof wurde jedoch beschädigt, die Grabsteine sind verschlammt und alle
Blumen vernichtet. Die Gedenkstätte hat die Schäden am Friedhof noch nicht
beziffert.
3. Das Krematorium und der jüdische Friedhof
Das Krematorium
und der jüdische Friedhof, die sich beide am Ufer der Eger
(Ohre) befinden, sind beide noch unter Wasser und nicht
zugänglich Die Mitarbeiter der Gedenkstätte befürchten, dass
die Schäden am Krematorium sehr umfangreich sein werden. |
Der Weg zum Krematorium noch unter Wasser |
4. Das Kolumbarium und die zentrale Leichenkammer
Das Kolumbarium und die zentrale Leichenkammer des
Theresienstädter Ghettos, die am 16. Oktober 2001, zum 60. Jahrestags des
Beginns der Transporte [nach Lódz], feierlich eröffnet wurden, sind schwer
betroffen.
Das Kolumbarium, wo zu den Ghettozeiten die Asche der
verstorbenen Häftlinge gelagert wurde, ist unter Schlamm begraben, die darunter
liegenden Exponate vernichtet und ein Teil der symbolischen Grabsteine an den
Wänden beschädigt. Die zentrale Leichenkammer befindet sich immer noch unter
Wasser und es ist deutlich, dass die neu eröffnete Ausstellung vollkommen
vernichtet sein wird. Der Leichenwagen und weitere Gegenstände in den
Zeremonieräumen beim Eingang in die Leichenkammer müssen gereinigt und
restauriert werden.
5. Das Ghettomuseum
Im Ghettomuseum wurde im November 2001 eine neue und lang
erwartete Ausstellung über die Geschichte des Theresienstädter Ghettos eröffnet.
Diese Ausstellung gehörte und gehört neben der Kleinen Festung zu den
wichtigsten Stationen für jeden Besucher Terezíns.
|
Im Ghettomuseum wurden die Büros der Bildungsabteilung und
der Studienraum für die Jugendgruppen gänzlich zerstört.
Auch das teure elektronische Modell des Theresienstädter
Ghettos wurde überflutet, und es ist nicht gewiss, ob seine
Inbetriebnahme wieder möglich sein wird. Die Ausstellungen
des Ghettomuseums an sich blieben glücklicherweise
verschont, lediglich im Teil, der sich den Theresienstädter
Kindern widmet, wurde der Holzboden beschädigt. |
6. Das Begegnungszentrum
Das Begegnungszentrum wurde vor einigen Jahren in der sgn.
Magdeburger Kaserne eröffnet und ist der Kern der Bildungsaktionen der
Gedenkstätte Theresienstadt. Es verbindet die Bildungsräume und Unterkunft für
Studentengruppen mit Ausstellungsräumen. Ohne ein funktionierendes
Begegnungszentrum ist die pädagogische Tätigkeit der Gedenkstätte de facto
unmöglich.
Das Hauptgebäude des Begegnungszentrums in der Magdeburger Kaserne ist sehr
ernst betroffen. Vernichtet wurden die Büros der Bildungs- und
Dokumentationsabteilung, inklusive des Büros der österreichischen und deutschen
Freiwilligen, mit allen im Laufe der Jahre gesammelten Dokumenten und
Materialien. Ernst betroffen wurden auch die Küche und
die Kantine, aus der nur ein Teil der Ausstattung gerettet werden
konnte. Schwer betroffen wurde auch das Depot in der Magdeburger
Kaserne, in dem allerdings glücklicherweise keine Dokumente gelagert
wurden.
Das zweite Haus der Begegnungsstätte nach der
Flut |
Im Mai 2002 eröffnete die Gedenkstätte das rekonstruierte
zweite Haus des Begegnungszentrums in der Prazská Strasse.
Hier wurde von der Flut der Vortragssaal und der
Gemeinschaftsraum im Keller und der ganze Erdgeschoss samt
Ausstattung zerstört. |
Zusammenfassung
Die Mitarbeiter der Gedenkstätte Theresienstadt schätzen vorläufig die Schäden
auf ca. 60 Millionen Kronen (das entspricht in etwa 2 Millionen Euro); davon
sind etwa 30 Millionen Schäden an unbeweglichen Gütern. Die Gedenkstätte
Theresienstadt ist keineswegs imstande, diese Summe aus eigenem Kräften oder von
dem Kultusministerium der Tschechischen Republik aufzubringen.
Die Gedenkstätte ist zunächst für die Öffentlichkeit geschlossen, wird sich aber
um eine schnellstmögliche Zugänglichkeit zumindest einiger Objekte und
Ausstellungen bemühen. Die ersten Objekte konnten dank des unermüdlichen
Einsatzes der Mitarbeiter der Gedenkstätte bereits am 3. September eröffnet
werden.
Die Gedenkstätte Theresienstadt gehört zu die ersten Institutionen Tschechiens,
zu deren Aufgaben es gehört, die Erinnerung an die nationalsozialistischen
Verbrechen wachzuhalten - konkret an die des Holocaust. Jedes Jahr wird sie von
tausenden, sowohl in- als auch ausländischen Touristen und Studenten besucht.
Ohne unsere Hilfe wird die Gedenkstätte Theersienstadt nicht imstande sein,
diese ausserordentlich wichtige gesellschaftliche Funktion auszuüben.
Unseren deutschen Freunde errichteten ein Konto zur Hilfe:
Verein der Freunde und Förderer von Theresienstadt e.V. Potsdam/Berlin:
KontoNr. 586301400
Deutsche Bank Berlin, BLZ: 100 700 00,
Kennwort: Gedenkstätte Theresienstadt.
Hier können Sie zur Rekonstruktion der Theresienstädter
Denkmäler, Ausstellungen und Bildungseinrichtungen beitragen. Die finanziellen
Beiträge werden lediglich für Entfernung der Flutschäden benutzt, und ihre
Anwendung wird unter öffentlichen Kontrolle geschehen. Bilder können Sie unter
www.holocaust.cz einsehen.
hagalil.com
17-09-02 |