Forschungsprojekt:
Youtai – Presence and Perception of Jews and Judaism
in China
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English
Forschungsprojekt mit
internationalem Symposium und Ausstellung am FASK der Johannes
Gutenberg Universität Mainz in Germersheim
Für die Durchführung des Rahmenprogramms zum
Symposium und zur Ausstellung sind Sponsorenbeiträge sehr willkommen
Forschungsprojekt: 1. Januar 2003 – 31.
Dezember 2003
Historischen Belegen zufolge existierte
spätestens vom 12. Jahrhundert (Nördliche Song-Dynastie) bis zur
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde mit
Synagoge, eigener Tradition und religiöser Praxis in der alten
chinesischen Kaiserstadt Kaifeng, Provinz Henan.
Sowohl aus dem Blickwinkel der chinesischen und
jüdischen Geschichte als auch unter allgemein interkulturellen
Aspekten ist das lange Fortbestehen dieser religiösen und
ursprünglich auch ethnischen Gemeinschaft in einer völlig fremden
soziokulturellen, konfuzianisch geprägten Umgebung ein wohl
einmaliges Phänomen. Eine weitere Besonderheit der jüdischen
Gemeinde von Kaifeng ist, dass sie isoliert und ohne Kontakte zur
jüdischen Diaspora in der übrigen Welt ihre Traditionen über
Jahrhunderte aufrechtzuerhalten vermochte und auch keinerlei
anhaltenden Diskriminierungen oder Verfolgungen ausgesetzt war.
Zugleich ist über die Jahrhunderte ein allmählicher Assimilations-
und Akkulturationsprozess der Kaifenger Juden feststellbar, der sich
seit dem 17. Jahrhundert verstärkte und in Veränderungen der
religiösen Sitten und Kultformen, der sozialen und sprachlichen
Traditionen sowie in ethnischer Hinsicht, d.h. durch Mischehen mit
der chinesischen Bevölkerung, zum Ausdruck kam. Obwohl sich
weiterhin einzelne Familien als Juden verstanden, löste sich die
Identität der Gemeinde mit dem Verschwinden der Synagoge in den 60er
Jahren des 19. Jahrhunderts schließlich auf.
Während vereinzelt christliche Missionare aus
Europa, wie etwa Matteo Ricci am Anfang des 17. Jahrhunderts, über
die Kaifenger Juden berichteten, wurden diese von den chinesischen
Intellektuellen erst Anfang des 20. Jahrhunderts wahrgenommen, und
man begann, sich in China mit den chinesischen Juden als
eigenständigem Forschungsthema zu beschäftigen. Nach der Gründung
der Volksrepublik China 1949 kam die Judenforschung aufgrund der
ungünstigen politischen Atmosphäre in China zu einem Stillstand und
lebte erst im Kontext der Reform und Öffnung Chinas in den 1980er
Jahren wieder auf. Durch die Aufnahme und Verbesserung der
diplomatischen Beziehungen zwischen China und Israel in den 1990er
Jahren sowie durch die Aufarbeitung des Schicksals der aus
Nazi-Deutschland nach Shanghai geflohenen und dort bis in die 1940er
Jahre ansässigen rund 25.000 Juden wurde die Judenforschung in China
zusätzlich gefördert.
In den letzten Jahren ist sowohl in China als auch
im Ausland vermehrt über die Geschichte und Kultur der Kaifenger
Juden gearbeitet worden, und auch in Zukunft ist ein zunehmendes
wissenschaftliches Interesse an allen damit zusammenhängenden Fragen
zu erwarten. Das Projekt soll im Rahmen der klar umgrenzten Frage-
und Zielstellung, wie sie im Titel zum Ausdruck kommt, zur
Diskussion beitragen. Es konzentriert sich auf die Fragen zum
sozialen Status sowie zur Assimilation der Kaifenger Juden in der
chinesischen Gesellschaft. Anhand neuester Quellen und
Forschungsergebnisse werden folgende Fragestellungen systematisch
herausgearbeitet und diskutiert:
- Wie stellt sich der aktuelle Status der
Nachkommen der Kaifenger Juden – auch im Zuge der gegenwärtig auf
China massiv einwirkenden Globalisierung – aus historischer,
soziologischer, religiöser, ethnischer und ethnopolitischer
Perspektive dar?
- Wie ist die diesbezügliche Wahrnehmung sowohl in der chinesischen
Gesellschaft als auch unter chi-nesischen Wissenschaftlern?
- Welcher Art ist die Selbstreflexion der älteren und jüngeren
Nachkommen in Kaifeng selbst?
- Wie geht China im Kontext seiner gegenwärtigen nationalen
Selbstbesinnung mit dem Fremden als Teil seiner eigenen Geschichte
und Identität um und interpretiert das Judentum als "a distant
mirror in the construction of the self"?
Hauptziele des Projekts:
(1) Fortführung und Weiterverarbeitung der Forschungsergebnisse, die
auf und nach der Konferenz From Kaifeng ... to Shanghai. Jews in
China 1997 in Sankt Augustin bei Bonn gewonnen wurden. Hierfür
sollen aktuelle Daten, die bislang noch nicht oder kaum
berücksichtigt wurden, ausgewertet werden und neuere Erkenntnisse
einzelner internationaler Wissenschaftler zur Sprache kommen.
(2) Rezeption dessen, was im Chinesischen heute als Youtai
(phonetische Wiedergabe von "Jude") umschrieben wird, in der
chinesischen Öffentlichkeit und unter den Nachkommen der Kaifenger
Juden selbst: Im Zusammenhang mit einer neuen Nationalitätenpolitik
der VR China seit der Öffnung und Reform 1979 geht es dabei auch um
die Frage, inwieweit eine Minorität "Juden", die keinesfalls im
Katalog der 56 offiziell registrierten Nationalitäten der VR China
zu finden ist, dennoch zunehmend Anerkennung findet, Kontakte mit
jüdischen Gemeinden im Ausland aufnehmen kann und
Ausreisemöglichkeiten nach Israel erhält. In neueren
Personaldokumenten, die uns vorliegen, wurde jüngst offensichtlich
einzelnen Kaifenger Bürgern das Recht zugestanden, die Bezeichnung
Youtai zu tragen, um in den Genuss der Minoritätenprivilegien zu
kommen. Diese Tendenzen weisen darauf hin, dass die Nachkommen der
Kaifenger Juden unter den heutigen relativ liberalen und durch
Außenkontakte begünstigten Bedingungen möglicherweise eine neue
Identität suchen und entwickeln. In diesem Zusammenhang werden auch
Wissenschaftler, die die offizielle Nationalitäten- und
Religionspolitik der VR China vertreten, etwa von der Akademie der
Sozialwissenschaften, zum geplanten Symposium eingeladen.
(3) Aktuelle Auseinandersetzung mit dem Phänomen Youtai im Rahmen
der eigenen Geschichte, Kultur und Gesellschaft unter den
Intellektuellen und der jüngeren Wissenschaftlergeneration Chinas:
Für diese Fragestellung werden auch jüngere Nachwuchswissenschaftler
der Judaistik aus China und anderen Ländern in die Diskussion mit
einbezogen.
2. Internationales Symposium: 19. – 23.
September 2003
Für den Zeitraum 19.–23. September 2003 ist am
Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim
ein internationales Symposium zum Thema des Projekts geplant, zu dem
internationale WissenschaftlerInnen, insbesondere prominente
JudaistikforscherInnen aus China, als Referenten eingeladen werden.
Bei der Vorbereitung wird darauf geachtet, dass diese Veranstaltung
auf den neuesten Forschungsergebnissen aufbaut und auf dem
Diskussionsstand ansetzt, der auf den letzten Tagungen erreicht
wurde, insbesondere auf dem internationalen Kolloquium From Kaifeng
... to Shanghai. Jews in China 1997 in Sankt Augustin und dem
International Symposium on History of Jewish Diaspora in China im
Mai 2002 in Nanjing. Neben den international ausgewiesenen
WissenschaftlerInnen nehmen auch ausgewählte jüngere Nachwuchskräfte
teil, um über ihre Forschungsarbeiten zu referieren. Das Symposium
wird im Audimax des FASK als offene Veranstaltung für Interessenten
der Universität Mainz, anderer Hochschulen und Institutionen sowie
der allgemeinen Öffentlichkeit stattfinden.
Ausstellung: 19. September – 10. Oktober 2003
Im Zusammenhang mit dem Symposium wird im Audimax
des FASK eine dreiwöchige Ausstellung zur jüdischen Kultur in
Kaifeng mit Exponaten der 1997 in Sankt Augustin durchgeführten
Ausstellung präsentiert. Die Eröffnung der Ausstellung und des
Symposiums findet am Freitag, dem 19. September 2003 statt.
Projektleitung:
Prof. Dr. Peter KUPFER
Johannes Gutenberg-Universität, FB 23 – Angewandte Sprach- und
Kulturwissenschaft, IK – Chinesisch
Prof. Dr. Roman MALEK, SVD
Institut Monumenta Serica, Theologische Fakultät,
Philosophisch-Theologische Hochschule St. Augustin
Wissenschaftliche Förderung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Zentrum für Interkulturelle Studien der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz (ZIS)
Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur,
Rheinland-Pfalz
Aufrichtiger Dank gilt den bisherigen Helfern
und Sponsoren! Für die Durchführung des Rahmenprogramms zum
Symposium und zur Ausstellung sind Sponsorenbeiträge noch sehr
willkommen.
Für weitere Informationen
kontaktieren Sie bitte:
wein@mail.fask.uni-mainz.de
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in English
hagalil.com
15-05-03 |