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Aufbau im Gespräch mit dem Juristen Dr. Edward Kossoy:
Ein Pionier der Wiedergutmachung

Von Tobias Winstel
Erschienen im Aufbau,
15. Mai 2003

Dr. Edward Kossoy, geboren 1913 in Radom, Polen, schloss sich 1941 nach einer zweijährigen Internierung in einem NKWD-Lager der polnischen "Anders"-Armee an. Mit dieser kam er 1942 in den Iran, wo er ein Jahr später nach einer schweren Malariaerkrankung vom Militärdienst entlassen wurde, sodass er noch im gleichen Jahr nach Palästina auswandern konnte. Sein Vater, seine erste Frau und seine Tochter aus erster Ehe wurden im Holocaust ermordet.

In Palästina wurde Kossoy 1948 als Rechtsanwalt zugelassen. Durch persönliche Kontakte zu Displaced Persons kam er mit dem damals noch völlig neuen Rechtsgebiet der Wiedergutmachung in Berührung. Als erster Anwalt in Israel vertrat er von da an (gemeinsam mit dem Notar Arnold M. Apelbom) etwa 60.000 Entschädigungs- und Rückerstattungsfälle. In seiner zwanzigjährigen Tätigkeit verhalf Edward Kossoy unzähligen Antragstellern zur Durchsetzung ihrer Ansprüche und setzte mit seinen anwaltlichen Vertretungen und diversen Publikationen immer wieder Maßstäbe vor allem im Entschädigungsrecht. Er gilt als einer der wichtigsten Akteure der Wiedergutmachung.

Der Münchner Historiker Tobias Winstel hat Dr. Kossoy im vergangenen Herbst in Genf interviewt.

Aufbau: In der Wiedergutmachung ging es — zumindest aus staatlicher Sicht — zunächst einmal um Geld, das in der ökonomisch schwierigen Lage der Nachkriegszeit schwer aufzubringen war. Glauben Sie, dass die Wiedergutmachung deshalb von Anfang an unter fiskalischen Vorzeichen stand?

Edward Kossoy: Hundertprozentig. Man versuchte, die Berechtigten herunterzuhandeln, immer runterzuhandeln, denn die Leute waren doch in einer Zwangslage. Sie waren immer auf das Geld angewiesen und daher bereit, für eine rasche Auszahlung auf einen Teil der Zahlungen zu verzichten.

Wenn man ganz allgemein von Wiedergutmachung spricht, dann — das ist meine persönliche Meinung — muss man feststellen, dass das eine sehr große und respektable Leistung der Bundesrepublik war. Aber andererseits sollte man auch in Betracht ziehen, dass das nicht aus reinen Wohlfahrtsgedanken entstand; es ging vielmehr um wirtschaftliche Interessen der Bundesrepublik. Zum einen wurde mit dem deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommen der Boykott gegen Waren aus Deutschland hinfällig — schließlich bestand diese Wiedergutmachung zum Großteil aus Warenlieferungen. Zum anderen hat die Wiedergutmachung die weltweiten Tore für den deutschen Export wieder geöffnet, insbesondere nach Amerika. Und die Vereinigten Staaten hatten überall großen Einfluss, den sie diesbezüglich auch geltend machten. Ich bin absolut davon überzeugt, dass Adenauer, als er sich für die Wiedergutmachung einsetzte, diese Zusammenhänge im Auge gehabt hat.

Aus Bonner Perspektive leuchtet das ein. Aber was war der Antrieb der USA?

Kossoy: Ich glaube, Washington bzw. die Besatzungsmacht übte in dieser Hinsicht aus zwei Gründen sehr starken Druck auf Westdeutschland aus: Der eine war, dass in den Vereinigten Staaten viele deutsche Emigranten — Juden und Nicht-Juden — lebten, die wesentliche Vermögenswerte in Nazideutschland verloren hatten. Außerdem waren zahlreiche ehemalige Displaced Persons in die USA ausgewandert, die ebenso wie die deutschen Emigranten eine beachtliche Anzahl an Wählern darstellten. Von dieser Seite spürte die Regierung in Washington einen großen Druck; daher hatte auch die Rückerstattung, nicht die Entschädigung, für die Besatzungsmächte Priorität.

Waren die Displaced Persons nicht meist arme Juden aus Osteuropa, die schon vor der Verfolgung nicht viel besessen und kaum Anspruch auf Rückerstattungszahlungen hatten?

Kossoy: Das stimmt, das waren sehr oft arme Leute — zunächst; doch das änderte sich sehr schnell, denn: Wer waren die Überlebenden? Das waren doch meistens junge Leute, die von jüdischen Organisationen noch in den DP-Lagern gut ausgebildet wurden, etwa in den ORT-Schulen. Denn die jüdischen Organisationen haben die große Bedeutung einer guten Ausbildung schnell erfasst und Konsequenzen daraus gezogen. Das heißt, die jungen Leute, die nach Amerika kamen, waren nicht jene, die zum Beispiel in der berühmt-berüchtigten Münchener Möhlstraße in München mit Zigaretten oder falschen Dollars schwarz handelten. Das waren Leute, die beruflich ausgebildet waren und nach ihrer Ankunft in Amerika sofort etwas anfangen konnten. Übrigens halfen ihnen beim beruflichen Start meistens die Wiedergutmachungszahlungen aus Deutschland. Sicherlich hatten einige auch Verwandte, die ihnen am Anfang helfen konnten, natürlich auch jüdische Organisationen. Aber die Wiedergutmachung — das war ihr Startmoney.

Aber sie haben doch nur einen Teil ausgezahlt bekommen.

Kossoy: Ja, sicher, zunächst nur einen Teil. Und der Rest, die so genannte zweite Rate, wurde erst später bezahlt. Einige haben gewartet, andere nicht. Aber eigentlich sind diejenigen am besten gefahren, die gewartet haben, da es dann doch nicht so lange gedauert hat. Die anderen, die nicht warten konnten — beispielsweise, weil sie auswandern wollten — haben ihre Ansprüche verkauft, und zwar oft zu einem schlechten Kurs.

Hat die deutsche Wiedergutmachungsverwaltung Zahlungen bewusst verschleppt?

Kossoy: Nicht generell, aber es gab schon Entscheidungsträger, die der Entschädigung sehr negativ gegenüber standen. Zum Beispiel kannte ich einen Ministerialrat im Baden-Württembergischen Justizministerium; der hat mir ins Gesicht gesagt: "Herr Kossoy, das mit der Entschädigung, das ist reiner Betrug!" Ich habe ihn erstaunt angesehen und gemeint, das müsse er mir erklären. Und er sagte zu mir: "Schauen Sie, es ist doch so: Wenn wir Deutsche etwas machen, machen wir es genau. Es wurde beschlossen, die Juden zu vernichten — also wurden sie vernichtet. Das heißt, es kann eigentlich kaum Wiedergutmachungs-Berechtigte geben. Diejenigen, die jetzt kommen, das sind nicht die, denen Wiedergutmachung zustehen würde. Und die kommen jetzt und wollen Entschädigung."

Da habe ich ihm entgegen gehalten, es kämen doch auch Leute mit Auschwitz-Tätowierungen in die Entschädigungsämter, die habe man ja nicht irgendwo erhalten. Die sind in einer bestimmten Reihenfolge vergeben worden. Ich selbst hätte ja eine Tabelle erstellt, anhand deren man genau feststellen könne, wann und für welchen Häftlingstransport die eintätowierte Auschwitz-Nummer vergeben worden war. Damit konnte ich den Ministerialrat überzeugen, und er verfügte die sofortige Freigabe zu Bearbeitung aller Antragsteller mit Auschwitz-Tätowierungen. So lief das ab. Aber sehen Sie, das waren die Leute, die etwas in der Wiedergutmachung zu sagen hatten. Gott sei Dank waren nicht alle so.

Haben Sie gut mit den deutschen Behörden zusammengearbeitet?

Kossoy: Im Prinzip ja, aber manche haben es mir übel genommen, dass ich dem Staat mit meiner Tätigkeit viel Geld gekostet habe. Doch es gab auch eine Reihe an Leuten, mit denen man ausgezeichnet zusammen arbeiten konnte — in den Ministerien ebenso wie in den Ämtern. Beispielsweise hatte ich zu Dr. Georg Blessin, dem Vater der bundesdeutschen Wiedergutmachungs-Gesetzgebung, eine exzellente Beziehung. Mit ihm konnte ich mich immer auch über schwierige Fragen verständigen. Es kam eben auch darauf an, ob jemand ein Gespür für die Sache hatte. Wobei mir eigentlich diejenigen am liebsten waren, die einfach korrekt und nüchtern die Entschädigungsregelungen anwandten und ein wenig im Sinne der Verfolgten dachten.

Liest man jüdische Zeitungen aus den Anfängen der Wiedergutmachung, so gewinnt man den Eindruck, dass nicht nur die deutschen Behörden, sondern auch jüdische Organisationen den Anwälten oft das Leben schwer machten. Vor allem die JRSO, die Jewish Restitution Successor Organization, scheint nicht sonderlich beliebt gewesen zu sein.

Kossoy: Dass sie bei den Deutschen unbeliebt waren, ist klar, denn sie haben Forderungen gestellt. Bei den Juden waren sie unbeliebt, weil sie eine Konkurrenz für die hiesige Ortsgemeinde waren. Nur wenige Gemeinden hatten wirklich etwas von der JRSO. Wenn zum Beispiel die JRSO in Landsberg etwas rückerstattet bekommen hat, hat die jüdische Gemeinde in Landsberg davon nichts gehabt; denn dort waren nur noch ein paar Juden, zu wenige, um von der JRSO etwas zu bekommen, denn sie galten nicht als lebensfähige Gemeinde. Nur große Gemeinden wie München haben davon profitiert — und die im Ausland.

Aber eigentlich muss man nicht bei der JRSO, sondern schon bei der URO anfangen. In Israel hießen sie MILTAM, und die haben alles gemacht, um meine Arbeit zu erschweren. Das waren sozusagen unsere Konkurrenten. Sie hatten viele Mitarbeiter, die im Großen und Ganzen nicht schlecht gearbeitet haben. Aber sie hatten eben andere Interessen als wir und unsere Klienten.

Was hat die Entschädigung für die Berechtigten bedeutet?

Kossoy: Das ist individuell sehr unterschiedlich, und auch von der jeweiligen Situation nach dem Krieg abhängig. Ohne Zweifel war die materielle Hilfe für viele nach dem Krieg enorm wichtig. Ich würde aber auch nicht unterschätzen, dass durch die Wiedergutmachung bei vielen ehemaligen Verfolgten, die ja über die ganze Welt verstreut lebten, das Verhältnis zu Deutschland, seinen Menschen und seiner Kultur wieder besser wurde. Viele deutsche Emigranten kehrten in den 1950er oder 1960er Jahren wegen der Wiedergutmachung nach Deutschland zurück.

Weil sie dadurch mit ihrer Heimat versöhnt waren, oder nur um ihre Ansprüche zu regeln?

Kossoy: Beides. Die Wiedergutmachungsgelder wurden in Israel zu einem sehr schlechten amtlichen Kurs umgetauscht. In Israel blieb von dem Geld nicht so viel übrig; beispielsweise konnte man sich von einer Entschädigung über 8.000 DM dort nur ein Ein-Zimmer-Appartement kaufen. Damit konnte aber keiner etwas anfangen. In Deutschland dagegen konnte man sich davon ein kleines Geschäft aufbauen. Außerdem hat die jüdische Gemeinde vor Ort geholfen, die damit eine Rückkehr emigrierter Juden unterstützen wollte. Aus diesem Grund haben massenweise Leute Israel verlassen.

Haben Ihre Erfahrungen an Ihrem Bild von Deutschland etwas verändert?

Kossoy: Ja, allerdings erst mit der Zeit. In den ersten ein, zwei Jahren, die ich in Deutschland lebte, wollte ich mit keinem deutschen Nicht-Juden sprechen, außer wenn es um Dienstliches ging. Doch allmählich habe ich diese abweisende Haltung immer mehr abgelegt; zum einen, weil ich beeindruckende Menschen kennen gelernt habe. Zum anderen habe ich durch die Wiedergutmachung in der Bundesrepublik einen Rechtsstaat erkennen können. Es ist auch nie immer alles nur schwarz oder weiß. Ich habe auf der Straße mit Menschen gesprochen, die noch immer der Meinung waren, dass die Häftlinge in Dachau dort nicht zu Unrecht eingesperrt waren; und zugleich habe ich auch entgegengesetzte Erfahrungen gemacht.

Insgesamt habe ich nicht zuletzt durch meine Beschäftigung mit der Wiedergutmachung gesehen, dass es auch ein "anderes Deutschland" gibt. Das hat mich dazu bewogen, im Jahre 1961 an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen eine Stiftung zu errichten mit dem Ziel, deutsch-jüdische Aussöhnung über einen akademischen Austausch zwischen israelischen Fakultäten und Tübingen zu fördern. Übrigens habe ich diese Stiftung mit über 300.000 DM ausgestattet — Geld, das ich in der Wiedergutmachung verdient hatte.

Es gab ja in den letzten Jahren fast einen Boom, was Entschädigungs- und Rückerstattungsforderungen mit Blick auf Massenverbrechen angeht. Hat die Welt — was die Wiedergutmachung betrifft — von Deutschland gelernt?

Kossoy: Ich weiß nicht, da wäre ich vorsichtig. Wir haben diese Forderungen in der Schweiz erst kürzlich erlebt, da geht es im Grunde nur um globale wirtschaftliche Interessen. Ich muss Ihnen sagen, ich bin grundsätzlich gegen diese Methoden — grundsätzlich, weil das eigentlich Erpressung ist, was dort geschieht. Natürlich können die amerikanischen Anwälte, also Fagan und Co., argumentieren, sie handelten im Interesse der Berechtigten; und dagegen kann man auch nichts sagen. Mir ist auch klar, dass man mit der Gentlemen-Art nicht besonders weit kommt. Aber ihre Forderungen sind übertrieben, übrigens auch ihre Honorare. Ich finde ihre Methode einfach übertrieben, brutal und nicht gut. Ich als Anwalt wäre für so etwas nicht geeignet.

Der Aufbau ist eine zweisprachige, transatlantisch jüdische Zeitung.

hagalil.com 17-08-03


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