In Gedenken an Hans Litten zum 100. Geburtstag:
"Warum hat man mich nicht sterben lassen?"
Von
Tekla Szymanski
Die Autorin
lebt als Journalistin in New York und ist Associate Editor des
World Press Review Magazine sowie USA-Korrespondentin der
Frankfurter Zeitschrift Tribüne.
Wann
wird man zum Widerstandskämpfer? Erst wenn man mit der Waffe in der
Hand gegen das Unrecht antritt? Wenn man Flugblätter verteilt, im
Untergrund lebt, politisch aktiv wird? Oder ist auch
Widerstandskämpfer, wer seine damals illegale Menschlichkeit in
Gefängnisse und Konzentrationslager trug? Hans Litten (rechts) tat
eben das. "Halbjude" getreu der Nazi-Ideologie, war er Rechtsanwalt
und Verteidiger der Arbeiter in ihrem Kampf gegen die
Nationalsozialisten. Im Februar 1933 wurde er verhaftet, kam in die
Konzentrationslager Sonnenburg, Esterwegen, Lichtenburg, Buchenwald
und Dachau, wo er in der Nacht zum 5. Februar 1938 — nach
jahrelangen Torturen unter den Nazis — erhängt aufgefunden wurde.
Am 7. Februar 1998 erinnerte eine
Gedenkveranstaltung in Dachau — organisiert vom Förderverein für
Internationale Jugendbewegung Dachau, unter dem Motto "Ohne Dachau
kein Auschwitz" — an den 60. Todestag von Hans Litten. 130 bis 140
Gäste — von ganz jungen, über Studenten und ehemaligen Häftlingen
bis zu Vertretern wichtiger Organisationen von Rechtsanwälten —
nahmen teil. Eine erste Gedenkfeier für Litten wurde 1988, zu seinem
50. Todestag in Dachau abgehalten, bei der erstmals auch der Hans
Litten-Preis vergeben wurde.
Am 19. Juni 2003 ist Hans Littens 100. Geburtstag.
Doch seinen Leidensweg kennen nur wenige. Es scheint fast so, als
würde sich keine Opfergruppe richtig mit ihm identifizieren wollen:
Für Juden ist Hans Litten nicht jüdisch genug (nur sein Vater war
Jude, der sich taufen ließ) und für Widerstandskämpfer war er nicht
militant genug. Wer also war Hans Litten?
Ein politischer Gefangener im KZ
Litten kam als politischer Gefangener ins KZ und
mußte den roten Winkel tragen, und erst später, als die Nazis
herausfanden, daß er Jude war, kam er in Dachau in den "Judenblock".
Als seine Mutter ihn dort das letzte Mal besuchen durfte, trug er
den gelben Stern. "Beim Abschied blickte er mich mit einem unendlich
liebevollen und traurigen Lächeln an. Er wußte, daß wir uns nicht
mehr wiedersehen würden", erinnerte sie sich in ihrem Buch Eine
Mutter kämpft gegen Hitler (1947).
Hans Litten arbeitete als Anwalt der "Roten Hilfe"
in Berlin, die 1924 gegründet wurde und Arbeiter vertrat, die wegen
politischer Gesinnung inhaftiert wurden. Litten hatte des öfteren
Ärger mit den Kommunisten, da er keine Märtyrer produzieren, sondern
Freisprüche erreichen wollte. Und bei den Nazis war er bald so
verhaßt, daß er kurz vor der Machtergreifung nur noch unter
Bewachung auftreten konnte. Sein Schicksal war besiegelt, als er
beim sogenannten "Edelpalastprozeß" im Mai 1931 gegen eine Horde
SA-Leute (Sturm 33), die Arbeiter bei einer Versammlung angegriffen
hatten, Hitler als Zeugen berief, ihn öffentlich blamierte, es
schaffte, daß sich der Führer unter Eid in seinen eigenen Lügen
verstrickte und Litten mit hochrotem Kopf im Gerichtssaal anbrüllte.
Litten erzählte später, Hitler hätte geschrien "wie eine hysterische
Köchin". Diese öffentliche Blamage wurde dem Anwalt nie verziehen.
Hitler war sich der Gefahr bewußt, in die ihn Litten gebracht hatte.
Und er verfolgte ihn von da ab mit abgrundtiefem Haß. Auch die Wut
des Sturm 33 war maßlos—und sie ließen sie später an Litten aus, als
sie in endlich in ihrer Gewalt hatten.
Vom Tage seiner Inhaftierung an hatte seine Mutter
vergeblich in den höchsten Kreisen interveniert, nutzte ihre guten
Beziehungen, um das Leben ihres Sohnes zu retten. Sie schrieb
Bittgesuche an Hitler, Rudolf Hess und Himmlers Adjudanten, an
Wilhelm Furtwängler und Emmi Sonnemann, die später Görings Frau
wurde. Roland Freisler, später Vorsitzender des berüchtigten
Volksgerichtshofs, wandte sich persönlich an Hitler und teilte Frau
Litten schließlich mit: "Niemand wird etwas für Litten tun können.
Hitler verfärbte sich rot, als er seinen Namen hörte." "Jeder, der
für Litten interveniere", habe Hitler gesagt, komme sofort ins
Lager, "selbst wenn Sie es sind".
"Hitler ist beschäftigt!"
Die Antworten, die Frau Litten im feinsten
Beamtendeutsch von den diversen Stellen erhielt, waren
dementsprechend infam. Im Dezember 1933 erreichte sie die lapidare
Antwort von der "Direktion des staatlichen Konzentrationslagers
Brandenburg", vom Kommandanten der Lagerwache: "...zurückgesandt mit
der Bemerkung, daß ich Ihnen keine Sprecherlaubnis erteilen kann.
Die Gründe dafür kann ich Ihnen nicht mittteilen." (Schreibfehler im
Original!). Oder das Antwortschreiben von der Gestapo,
Prinz-Albrechtstraße Berlin, Anfang 1935: "Nach Prüfung des
Sachverhaltes sehe ich keinen hinreichenden Anlaß, die gegen Ihren
Sohn Litten verhängte Schutzhaft aufzuheben". Auf ihren Wunsch auf
eine persönliche Audienz bei Hitler, erhielt Irmgard Litten im März
1935 folgende Antwort: "Der Führer und Reichskanzler ist durch die
ständigen Anforderungen der Politik und der Staatsführung bis an die
äußerste Grenze seiner Arbeitskraft in Anspruch genommen." Zu diesem
Zeitpunkt war Litten schon fast zu Tode gemartert, hatte ein steifes
Bein, eingeschlagene Zähne und war auf einem Auge blind.
Der ehemalige Chefredakteur der seit 1934 in New
York erscheinenden deutsch-jüdischen Zeitung Aufbau, Henry Marx,
erinnerte sich an eine Begegnung mit Litten am 14. Juli 1934 im KZ
Lichtenburg: "Erich Mühsam war vier Tage vor unserer 'Übersiedelung'
ermordet worden. Man zeigte uns auf unserem ersten Spaziergang [...]
den Anwalt Hans Litten, aus Papenburg, mit einem verkürzten Bein und
bereits schwer misshandelt nach Lichtenburg gebracht" (Aufbau, 21.
Juli 1989). Frau Litten erreichte jedoch noch am 29. Oktober 1935
die Nachricht vom Lagerkommandanten des KZ Lichtenburg, "dass bei
Ihrem Sohn nichts vorliegt, was zu Besorgnissen Anlass geben könnte.
Eine Unterbrechung der Haft aus gesundheitlichen Gründen ist nicht
notwendig. Er wird hier zu leichten Innenarbeiten herangezogen und
fühlt sich den Umständen entsprechend wohl".
"Es war Hans Litten, der uns beibrachte, daß
Denken Spaß macht"
"Wer ist also zu bedauern, der Mann, der starb,
oder das Volk, das solche Menschen vergeudet hat?", fragt Max Fürst
(rechts) in seiner Autobiographie Talisman Scheherezade. Max Fürst
lernte Litten 1920 bei der jüdischen Jugendgruppe der Schwarze
Haufen (siehe auch Kasten links) kennen. Und seine Frau Margot Fürst
war Littens Sekretärin bis zu dessen Verhaftung. Sie hatte der
Zeugenvernehmung Hitlers beigewohnt, hatte nach der Verhaftung
Littens die Prozessakten in Sicherheit gebracht. Beide wurden bei
dem Versuch, Litten zur Flucht zu verhelfen, festgenommen.
"Hans war fanatisch, wie einer, der die letzte
Schlacht schlägt", schreibt Max Fürst. "...[Er] verstand es, die
Strauchelnden auf dem Drahtseil zu führen, bis es nicht mehr
weiterging. Tatsächlich war Litten eher scheu, mit einer Neigung zum
Mystizismus. [...] Hans war ebenso sensibel, wie scharf denkend. Er
war ein großer Anreger, der einem beibrachte, daß Denken Spaß
machte. Es war Hans Litten, der uns durch seine Philosophie und
Kunstbetrachtung dazu anregte, größere Zeiträume zu sehen, ohne die
Gegenwart zu ignorieren", schreibt Max Fürst.
"Hans war ein zäher, unermüdlicher Arbeiter",
erinnert sich Margot Fürst heute. "Begabt, mit einer schier
unglaublichen Gedächtniskraft. Irgendwann regte ich an, einen
Sonntag einmal für einen Ausflug ins Freie zu nützen. Ein Blick aus
großen, traurigen Bärchenaugen und die erstaunte Frage 'Du willst
nicht arbeiten?' waren das Ergebnis." Das letzte Mal sahen die
Fürsts Hans Litten im Sommer 1933 im Gefängnis-Krankenhaus in Moabit
nach seinem ersten Selbstmordversuch. Er war gerade aus der
Bewußtlosigkeit erwacht und sagte nur "Warum hat man mich nicht
sterben lassen?"
Erst nach weiteren langen Jahren der Quälerei und
der Demütigung konnte sich Litten 1938 durch Selbstmord endgültig
der Barbarei entziehen. "Den Nazis war Littens Tod eher unangenehm",
erinnert sich Margot Fürst. "Litten war in der letzten Zeit nicht
mehr gequält worden, weil er zu sehr ins Gespräch gekommen war. Die
Nazis hatten ja getan, was sie erreichen wollten". Litten sei
Pessimist gewesen, meint Margot Fürst. Und auf die Frage, was ihr an
ihm am meisten in Gedächtnis geblieben sei, antwortet sie nach
längerem Nachdenken. "Seine große Angst—und seine große Tapferkeit".
Weitere Artikel der Autorin unter:
http://www.tekla-szymanski.com
Veranstaltungshinweis:
Der Anwalt, der Hitler in die Enge trieb -
Hans Litten zum 100. Geburtstag
Vom öffentlichen Gebrauch einer Biographie",
Vortrag Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Institut für die Geschichte
der deutschen Juden, Hamburg;
"Hans Litten als politischer Akteur", Vortrag Knut Bergbauer, Köln
"Hans Litten als Strafverteidiger", Vortrag Rechtsanwalt Gerhard
Jungfer, Berlin.
Eine Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer, der
Rechtsanwaltskammer Berlin und der Gedenk- und Bildungsstätte Haus
der Wannsee-Konferenz
Ort: Haus der Wannsee-Konferenz, Am Grossen Wannsee 56-58, 14109
Berlin
Sonntag, 22. Juni 2003 - 16.00 Uhr
Im Wannseehaus ist noch bis 31. August eine
Sonderausstellung über den Schwarzen Haufen, dem Hans Litten
angehörte, zu sehen:
"Wir sind jung,
die Welt ist offen..." - Eine jüdische Jugendgruppe im 20.
Jahrhundert
hagalil.com
18-06-03 |