Nachruf:
Selahattin Ülkümen (1914-2003)
Von Dr .Hans-Peter Laqueur, Bremen
Am 7. Juni 2003 starb in Istanbul im Alter von
89 Jahren Selahattin Ülkümen. Nur wenige wissen heute, wie und warum
er sich vor fast 60 Jahren einen Ehrenplatz in der Geschichte der
Menschlichkeit und des Anstandes im 20. Jahrhundert erworben hat.
1944 war er als junger Diplomat Generalkonsul der
Türkischen Republik in
Rhodos. Die Insel - seit dem 16. Jahrhundert in osmanischem
Besitz - war 1912 von Italien besetzt worden. Nach dem Sturz
Mussolinis 1943 marschierten dort deutsche Truppen ein.
Seit Jahrhunderten hatten in Rhodos Juden gelebt,
zumeist Sepharden, Nachkommen der 1492 aus Spanien vertriebenen
Juden. 1934 zählte die Gemeinde 3700 Menschen. In Folge der
zunehmend anti-jüdischen Politik Italiens war die Zahl bis 1944 auf
etwa die Hälfte zurückgegangen.
Im Sommer 1944 entsandte die deutsche
Besatzungsmacht zur Vorbereitung der Deportation der Juden von den
Inseln des Dodekanes einen Mitarbeiter Eichmanns nach Rhodos.
Im Juli 1944 erging der Befehl, dass alle Juden
der Insel sich an einem bestimmten Tag im deutschen Hauptquartier zu
melden hatten. Daraufhin stellte der türkische Generalkonsul
Selahattin Ülkümen unter großzügigster Auslegung seiner
Dienstvorschriften den Juden in Rhodos, die einst osmanische
Staatsbürger gewesen waren, und somit möglicherweise ein Anrecht
darauf hatten, türkische Pässe aus. Auch ihre Ehepartner und Kinder
erhielten diese Dokumente. Selbst einigen Menschen, die keinerlei
Verbindung zur Türkei hatten, stellte er in Zuwiderhandlung gegen
geltendes türkisches Recht Papiere aus.
Auf Grund dieser von ihm eigenmächtig verliehenen
Staatsangehörigkeit konnte Ülkümen die Verschonung seiner
Schutzbefohlenen von der Deportation fordern - und er war
erfolgreich! Wenigstens 42 Menschen bewahrte er so vor dem Weg in
die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau, den am 23. Juli 1944 etwa
1700 Juden aus Rhodos antreten mussten.
Die Besatzungsmacht rächte sich: Ülkümens Haus in
Rhodos wurde bombardiert, seine schwangere Frau starb an den Folgen
der dabei erlittenen Verletzungen.
Später nach seinen Motiven befragt erklärte
Ülkümen, er habe keine der Juden in Rhodos gekannt, habe nichts
weiter mit ihnen zu tun gehabt. "Alles, was ich getan habe, war,
meinen Pflichten als menschliches Wesen nachzukommen."
Für diese Pflichterfüllung ehrte ihn der Staat
Israel: 1990 wurde er - als einziger türkischer Staatsbürger - in
den Kreis der "Gerechten der Völker" aufgenommen und pflanzte einen
Baum im Ehrenhain von Yad Vashem.
Ülkümen war nicht der einzige türkische Diplomat,
der durch eine sehr weite, wenn nicht sogar illegale Auslegung
seiner Aufgaben Menschen jüdischer Religion schützen konnte:
Der Generalkonsul in Marseille, Bedii Arbel stieg
zu einer Gruppe Juden türkischer Abkunft in den Deportationszug und
erzwang so ihre Freilassung. Schon vorher hatten die Botschafter
Erkin und Menemencioglu und die Konsuln Özdoganci, Kent und Yolga
für rund 2000 Juden türkischer Abkunft Transporte aus Frankreich in
die Türkei organisiert. Auch sie waren bei der Ausstellung
türkischer Ausweispapiere sehr großzügig verfahren.
Im Gegensatz zu diplomatischen Vertretern anderer
Länder, die sich über ihre Dienstpflichten hinaus für Juden
eingesetzt hatten, wurden Ülkümen und seine Kollegen von ihren
Vorgesetzten nicht diszipliniert oder bestraft. Selahattin Ülkümen
trat nach einer normalen diplomatischen Karriere 1979 in den
Ruhestand, ein anderer der sogenannten "Türkischen Schindlers", der
2001 verstorbene Namik Kemal Yolga, war später Botschafter u.a. in
Rom, Paris, Teheran und Moskau.
Nach Schätzungen des amerikanischen Historikers
Stanford Shaw hat die Türkei durch die erwähnten Transporte, durch
Gewährung von Transit- und Einreisevisa und durch stillschweigende
Tolerierung von unerlaubten Durchreisen wenigstens 100 000
verfolgten Juden aus ganz Europa das Überleben ermöglicht.
Angesichts dieser Dimension mag die Zahl der von
Ülkümen Geretteten klein erscheinen, aber jedes einzelne der 42
Menschenleben ist ein Zeugnis für den Mut und die menschliche Größe
dieses damals erst 30 Jahre alten türkischen Diplomaten.
Nur icinde yatsin - Möge er im Lichte ruhen!
hagalil.com
24-06-03 |