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Das "missbrauchte Genie":
VW und Naziverbrechen

Vor 65 Jahren: Hitler und Ferdinand Porsche legten den Grundstein für Volkswagenwerk

Dietrich Eichholtz
Junge Welt v. 24.05.2003

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg entstand auf Drängen Hitlers und der "Deutschen Arbeitsfront" bei Fallersleben ein für damalige Verhältnisse großes Autowerk, die Volkswagenwerk GmbH – Keimzelle für den heutigen Weltkonzern. Es sollte den von Hitlergünstling Ferdinand Porsche entworfenen "Volkswagen" in Massen produzieren. Arbeiter sollten drei bis vier Jahre für "ihr" Auto sparen, mindestens fünf Mark die Woche – bei 100 Mark Wochenlohn für die meisten nicht aufzubringen. So kamen bis Kriegsende 275 Millionen Erspartes fast nur von Besserverdienenden zusammen. Das Geld floß auf Nimmerwiedersehen in die Kriegsfinanzierung. Wagen für das Volk wurden nicht gebaut.

Im Krieg mutierte die halbfertige Fabrik zu einem "Lumpensammlerbetrieb" für die Rüstung, der Kübel- und Schwimmwagen, Bomben und Minen, Panzerfäuste, Zulieferteile für Junkers-Bombenflugzeuge, für die "Wunderwaffe" V1 und manches andere produzierte. Das Werk beschäftigte Zwangsarbeiter aus zwölf Ländern, darunter KZ-Häftlinge. Mit 85Prozent Zwangsarbeitern stand es in der deutschen Kriegswirtschaft weithin an vorderster Stelle.

An zwei Legenden wird bis heute gestrickt, die nicht totzukriegen sind: Die vom "Luxusspielzeug" Hitlers und die vom missbrauchten Genie Ferdinand Porsches, des Schöpfers des "Käfers". Hitler habe, so heißt es, das Werk tatsächlich als Autowerk und nicht als Rüstungsbetrieb bauen lassen, rein aus Begeisterung für die "Motorisierung des deutschen Volkes", womöglich auch aus Liebe zum "Sozialismus des kleinen Mannes", dem er ein Massenauto verschaffen wollte. Sehr falsch: Die Aufrüstung schloss für Hitler, Goebbels, Ley auch die Einstimmung der Bevölkerung auf den Krieg ein. Richtig ist: Die Idee des "Volkswagens" passte hervorragend in das sozialdemagogische Konzept, das auf den "einfachen Volksgenossen" zugeschnitten war.

Was bis heute dem normalen deutschen Bürger, darunter wohl auch vielen VW-Arbeitern, unbekannt geblieben ist, ist die Eigenschaft Porsches als Kriegsverbrecher. Dieser Hitler- und Himmlerfreund, "Wehrwirtschaftsführer", SS-Oberführer, der im Krieg Panzer konstruiert hat – später die Galionsfigur des westdeutschen "Wirtschaftswunders" –, trug die Hauptverantwortung für die menschenunwürdige Behandlung und den lebensbedrohenden Hunger der ausländischen Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Hunderte Menschen starben im Werk, in den Werkslagern und beim Bau der Untertage-Verlagerungsbetriebe. Mehrere hundert Kleinkinder von Ostarbeiterinnen und Polinnen ließ der mörderische Werksarzt Körbel durch Mangel an Pflege, an Hunger und Krankheiten ungerührt umkommen. Werksleiter Anton Piech, wie sein Schwiegervater Porsche für die Zwangsarbeit verantwortlich, erkannte ihre Vorteile für "Friedenszeiten": Man müsse auch nach dem Krieg billige Ostarbeiter einsetzen, erklärte er im Sommer 1943, "um nach dem Willen des Führers den Volkswagen für 990 Reichsmark zu produzieren".

VW war neben dem I.G.-Farben-Konzern das erste deutsche Unternehmen, das mit Himmler über KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte verhandelte. Schon im Frühjahr 1941 und später noch öfter erfüllte Himmler seinem Freund Porsche solche Wünsche prompt. Der Konzern unterhielt seit Frühjahr 1944 ein eigenes Außenlager des KZ Neuengamme. Noch im letzten Kriegsjahr hat er annähernd weit über 4000 Häftlinge erhalten, darunter etwa zur Hälfte Jüdinnen und Juden, besonders aus Ungarn, viele von Konzernvertretern selbst in Auschwitz ausgewählt, "selektiert".

Porsche und sein Team rechneten mit dem baldigen "Endsieg" und der Expansion von VW über Europa und die Welt. Diese Vorstellung bildete den Hintergrund für die räuberische Aktion, mit der die Werksleitung 1942/43 das Hauptwerk des französischen Peugeot-Konzerns in Montbéliard in seine Regie nahm. Die Machtergreifung von VW in Montbéliard ging unter massivem Druck auf die französische Firmenleitung vor sich. Die Leitung von Peugeot scheint im Rahmen dieser "Kollaboration" eine deutliche Verzögerungstaktik verfolgt zu haben. Offenbar waren auch Teile der Belegschaft in der Résistance aktiv. Eine Reihe von Peugeot-Direktoren wurde verhaftet; zwei von ihnen überlebten die KZ-Haft in Deutschland nicht. Vor der Befreiung Montbéliards Mitte November 1944 räumte VW das Peugeot-Werk vollständig aus. Allein 1500 Werkzeugmaschinen und Pressen wurden nach Deutschland, vor allem nach Fallersleben, abtransportiert.

Bei der "Entschädigung" der Zwangsarbeiter – endlich nach fast 60 Jahren – spielte VW, in dessen Aufsichtsrat bis 1998 der jetzige Bundeskanzler saß, keine rühmliche Rolle. Die "Schuld" wurde, so lange es ging, auf den Nazistaat und die SS abgewälzt; der heutige Staat, so hieß es, solle daher auch allein dafür zahlen. Die furchtbaren Lebensverhältnisse wurden heruntergespielt, etwa mit dem fatalen Argument, die Verhältnisse im Fallerslebener Werk seien doch "komfortabler" gewesen als die, die die beschäftigten Häftlinge vorher in Auschwitz durchlitten hätten. Und was den Kriegsverbrecher Porsche betrifft, so tragen trotz des beharrlichen Kampfes von Wolfsburger Antifaschisten gegen den Porsche-Kult noch heute Straßen, Schulen und ein Stadion seinen Namen, seine Denkmalsbüste steht vor dem Rathaus.

hagalil.com 25-05-03


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