Der geheime Exodus:
Palästinensische Auswanderung
Von Karl Pfeifer, Wien
"Auf fremden Mannes Arsch ist gut durchs Feuer reiten”
Martin Luther
Es ist eine Sache mit tollen Sprüchen von Wien aus die Palästinenser zum
Kampf gegen Israel zu ermuntern, eine ganz andere Sache ist es, die
Intifada zu erleiden. Karl Pfeifer hat einen Artikel zusammengefaßt, der
ein reales Problem der palästinensischen Gesellschaft unter den
Bedingungen der Intifada zeigt.
Ein auf Kompromiß beruhender Frieden mit den israelischen Nachbarn würde
auf beiden Seiten Blut sparen und wäre im wirklichen Interesse beider
Völker. Auch dann, wenn einige österreichische Kiebitze enttäuscht
wären, dass die Palästinenser einen “falschen Frieden” akzeptierten.
Denn ihrer Meinung nach ist die Intifada, “gleichzeitig auch Vorbild und
Anstoß für alle jene Kräfte der Welt, die die Interessen des einfachen
Volkes vertreten, den Kampf gegen die neoliberale Globalisierung als
globale Intifada gegen den westlichen Kapitalismus und Imperialismus zu
führen." (Aus einem Aufruf der AIK zu einer Demo)
Der geheime Exodus aus den palästinensischen Gebieten
Unter diesem
Titel erschien in der in Zürich erscheinenden Wochenzeitung "Tachles"
(19.10.01) ein informativer Artikel von Uriya Shavit und Jalal Bana über
die seit Beginn der Intifada wachsende Zahl von in den Westen
auswandernden Palästinenser.
Im
palästinensischen Gebiet gehört heute ein Einreisevisum für ein
westliches Land zu den am meisten gefragten Gütern. Zwischen Juli 2000
und Juli 2001 beispielsweise haben 2004 PalästinenserInnen ein
Einwanderungsvisum für Australien beantragt, verglichen mit ganzen 130
Bewerbern im Jahr zuvor. Die kanadische Vertretung in Ramallah schickt
Immigrations-Kandidaten zur Botschaft in Tel Aviv. Vor der Intifada
erhielt die Botschaft im Durchschnitt 25 Bewerbungen pro Woche, doch
seit Ausbruch der Gewalt hat sich diese Zahl verdoppelt. Nach Angaben
der Botschaft sind die an Kanada interessierten PalästinenserInnen zu
90% IngeneurInnen und PharmakologInnen – Berufe, die in Kanada
hochgefragt sind. Unter den restlichen 10% befinden sich viele
Buchhalter.
Auch die USA
sind ein beliebtes Wunschziel. In den Monaten der Intifada hat sich die
Zahl der Bewerbungen für Touristen- und StudentInnenvisa um fast 60%
erhöht. Zwar ist die Nachfrage nach der begehrten "Green Card"
gewachsen, das Ausmaß hält sich aber in Grenzen. Über die Zahlen sind
keine genauen Angaben erhältlich, denn die USA fürchten mögliche
palästinensische Vorwürfe, sie würden mit den Israeli kollaborieren und
die Palästinenser zum Verlassen der Gebiete ermutigen.
Mehr
PalästinenserInnen denn je versuchen politisches Asyl in einem
westlichen Lande zu erhalten – auch dies ein Hinweis auf die zunehmende
Emigrationswelle. Wer politisches Asyl erhält, darf auch dann
auswandern, wenn er die für die reguläre Immigranten in ein bestimmtes
Land geltenden Kriterien (abgeschlossene Ausbildung, jung, Beherrschung
der Landessprache oder Familienbeziehungen) nicht erfüllt. So ersuchten
zwischen Juli 2000 und Juli 2001 140 PalästinenserInnen die Australier
um Gewährung des Flüchtlingsstatus, verglichen mit nur 19 im Vorjahr.
Die norwegischen Einwanderungsbehörden sprechen seit Ausbruch der
Intifada von einem Anstieg von 50% der Gesuche von PalästinenserInnen um
politisches Asyl.
Die Angaben
über die wachsende Zahl der auswanderungswilligen Palästinenser sind nur
ein Indikator für das Phänomen. Viele der PalästinenserInnen, die
emigrieren möchten, besitzen einen ausländischen Reisepaß, der ihnen den
Umzug ins Ausland erlaubt, ohne ein Visum zu beantragen. Einige reisen
für eine kurze Periode ins Ausland, um sich über die Möglichkeit der
Emigration im jeweiligen Land zu informieren. Wiederum andere verfügen
über einen jordanischen Paß und haben Freunde oder Familie im
haschemitischen Königreich, was ihnen erlaubt, jederzeit dorthin zu
reisen.
Einfach nicht
mehr da
Das Phänomen
der Auswanderung macht sich vor allem in den Gegenden von Betlehem und
Ramallah bemerkbar, wo bis zur Intifada viele wohlhabende
palästinensische Familien gelebt haben. Die meisten der Auswanderer sind
Christen. Viele kamen im Glauben an den Friedensprozeß aus dem Ausland
zurück und investierten Geld in den Gebieten. Doch das sehr langsame
Tempo, in dem die palästinensischen Behörden Institutionen und
rechtlichen Strukturen schufen, welche das Funktionieren von Unternehmen
gewährleisten würden, haben sie enttäuscht.
Das
peinlichste an der gegenwärtigen Auswanderungswelle ist für die
Autonomiebehörde die massive Zunahme der Gesuche um politisches Asyl.
PalästinenserInnen, die in den Genuß dieser Gunst kommen wollen, müssen
beweisen, daß sie von den palästinensischen Behörden verfolgt werden.
Also wird die Autonomiebehörde in hunderten von Gesuchen der Verletzung
von Menschenrechten bezichtigt. Die Anschuldigungen werden nicht
veröffentlicht, denn die Einwanderungsbehörden im Westen fürchten um die
Sicherheit der Gesuchsteller und ihrer Familien.
Seit Beginn
der Intifada habe, wie Bassam Eid erklärt, seine Menschenrechtsgruppe
unzählige E-Mail-Anfragen von Konsulaten, Immigrationsbüros und
palästinensischen BürgerInnen, die Auskunft über
Menschenrechtsverletzungen der palästinensischen Autonomiebehörde
verlangen. Diese Information sei nötig, um Gesuche für politisches Asyl
zu untermauern. Zusammenfassend meinte Eid: "Mir ist als ob die
palästinensische Gesellschaft allmählich stirbt. Sie hat keine Ahnung,
was um sie herum geschieht. Jeder will, was der Nachbar hat. Ist
jemanden die Auswanderung nach Australien gelungen, will auch der
Nachbar dorthin emigrieren. Ich denke, wir stehen vor einem seriösen
Problem, das nur aus Angst nicht an die Öffentlichkeit gebracht wird"
hagalil.com / 25-10-2001 |