Zum 20. Tammus:
Gedenkveranstaltung für Herzl
Von Andrea Übelhack
"Ich sah und hörte zu, wie meine Legende entstand. Das Volk ist sentimental; die
Massen sehen nicht klar. Ich glaube, sie haben schon jetzt keine klare
Vorstellung mehr von mir. Es beginnt ein leichter Dunst um mich herum
aufzuwallen, der vielleicht zur Wolke werden wird, in der ich schreite." Diese
Worte notierte Theodor Herzl am 15. Juli 1896 in sein Tagebuch. Nur acht Jahre
später verstarb er im Alter von 44 Jahren, acht Jahre voll bessenenen Arbeitens
für die zionistische Sache. Ende und Anfang einer Legende.
Theodor Herzl gilt nicht nur als Begründer des politischen Zionismus, sondern
auch als Vater und Prophet des Staates Israel, als "Choseh haMedinah". Nach
Erscheinen seines Pamphlets "Der Judenstaat" am 15. Februar 1896 arbeitete er
unermüdlich an der Umsetzung seiner politischen Vorstellungen. Ein Jahr später
trat der erste Zionistenkongreß in Basel zusammen, der die Grundlagen
zionistischer Politik festlegte. Im Rückblick auf dieses Ereignis notierte Herzl
in sein Tagebuch: "Fasse ich den Baseler Kongreß in ein Wort zusammen - das ich
mich hüten werde, öffentlich auszusprechen - so ist es dieses: in Basel habe ich
den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein
universales Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in
fünfzig wird es jeder einsehen." Tatsächlich vergingen nur wenig mehr als
fünfzig Jahre, bis David Ben Gurion am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung
des Staates Israel verlas, unter einem Bild von Theodor Herzl.
Theodor Herzl wurde schließlich selbst zu einem der bedeutensten Mythen und
Symbole der zionistischen Bewegung. Er symbolisierte die Stärke, den Stolz, die
Ehrwürdigkeit und auch die physische Schönheit, die sich der Zionismus zur
Erschaffung eines neuen Typen von Juden erträumte. In Erinnerungen sprechen
seine Zeitgenossen immer wieder von seiner männlichen Figur, dem gutaussehenden
Gesicht, seinem Bart, der an einen biblischen Propheten erinnerte, und von
seinen weichen, melancholischen Augen.
Nach Herzls Tod erschien sein Bild überall, an jedem zionistischen
Versammlungsort, auf allen Kongressen, in Büros, aber auch auf Einladungskarten,
Briefmarken des Jewish National Fund, Uhren, Milchkannen und Zigarrenschachteln.
Das wichtigste an dieser Ikonographie war ihr einender Charakter. Denn in Herzls
Denken konnte fast jeder Bestätigung finden, sein Bild einte Rechte und Linke,
Säkulare und Religiöse, Liberale und Konservative.
Das wohl bekannteste Bild fehlt auch auf der Gedenkfeier
nicht: Herzl auf dem Balkon des Hotels in Basel mit Blick auf den Rhein,
fotografiert von E.M. Lilien
Dabei war es aber wohl weniger Herzls Programm, sondern vielmehr sein Bild
selbst, daß die Menschen fesselte. Der Zionismus benötigte dringend eine
Heldenfigur wie Herzl. Sie mußte Autorität symbolisieren, um das demoralisierte
und verstreute Volk zu motivieren, sie sollte männlich, kräftig und vital sein,
entgegen den "Ghettojuden", die Natur und Boden entfremdet waren. Gleichzeitig
aber, und auch das war bei Herzl der Fall, sollte sie kulturell gebildet sein,
um Juden und v.a. auch Nicht-Juden zu beeindrucken. Herzl paßte perfekt in diese
Anforderungen, sein persönliches Märtyrertum für die zionistische Sache
verstärkte den Mythos nur noch mehr.
Nach der Gründung des Staates Israel konnte endlich der letzte Wille Herzls
erfüllt werden. In einem pompösen Festakt, der zum Vorbild für spätere
Staatsbegräbnisse wurde, wurden Herzls Gebeine, die man aus Wien eingeflogen
hatte, auf einem Berg in Jerusalem begraben. Der Herzlberg wurde im Laufe der
Jahre zum weltlichen Identitifaktionspunkt des jungen Staates und ist heute im
kollektiven Gedächtnis des Landes als fester Erinnerungsort verankert.
Noch immer wird am Herzlberg begraben, denn der nationale Helden- und
Soldatenfriedhof befindet sich dort. Seit Neuestem gibt es auch einen Platz, der
der Opfer von Terroranschlägen seit dem Anfang des Jahrhunderts gedenkt. Doch
auch Herzl, dessen schlichter schwarzer Grabstein den Mittelpunkt der
architektonischen Aufteilung des Berges bildet, wird noch immer gedacht. An
seinem Todestag, dem 20. Tammus, findet alljährlich eine kurze
Gedenkveranstaltung statt. Staatspräsident Moshe Kazaw und Premierminister Ariel
Scharon nahmen heute daran teil, ganz unspektakulär, ganz selbstverständlich.
Ansonsten sind nicht viele gekommen, ein paar hundert Menschen, die meisten in
organisierten Gruppen.
Und doch sind sie gekommen, um dem "Propheten des Staates" zu gedenken, darunter
viele Israelis äthiopischer Abstammung, eine drusische Abordnung und natürlich
die Angehörigen von Herzls entfernter Familie. Ob sie wissen, wer genau dieser
Mann war, daß er eigentlich Theodor hieß und nicht Benjamin Seew, daß er zu
Hause einen Tannenbaum hatte und zunächst alle Juden taufen lassen wollte?!
Wahrscheinlich nicht und es ist auch nicht wichtig. Herzl ist heute nicht mehr
aber auch nicht weniger als der Mittelpunkt eines nationalen Gedenkens, eine
schlichte Gestalt, ein stummes Porträt, genau wie sein Grabstein, auf dem nur
ein Wort steht: HERZL.
hagalil.com / 30-06-2002 |