Gespaltene
Identität, gespaltene Zungen
Dem arabischen Knesset-Abgeordneten Bischara wird die Immunität
entzogen, weil er zum Kampf gegen Israel aufgerufen hat
Von Thorsten Schmitz
Süddeutsche Zeitung v.
9.11.2001
Das israelische Fernsehen
wiederholte im Juni ein ums andere Mal die Bilder, die den arabischen
Israeli Asmi Bischara auf einer Gedenkveranstaltung anlässlich des
ersten Todestages von Hafiz al-Assad in Syrien zeigten. Vor Hunderten
Zuhörern, darunter Hisbollah-Chef Nasrallah und Führern der Hamas, hielt
Bischara eine Rede, in der er den Kampf der Palästinenser gegen die
israelische Besatzung lobpreiste. Die Angriffe der pro-iranischen
Hisbollah-Miliz im Südlibanon bezeichnete Bischara als "heldenhaftes
Beispiel" für "islamischen Widerstand". Deren Raketen auf den Norden
Israels sollten den Palästinensern als Vorbild dienen.
Die israelische Öffentlichkeit
war empört: Wie ist es möglich, dass ein gewähltes Mitglied des
Parlaments ungestraft zum Kampf gegen Israel aufruft? Bestürmt von den
Medien, suchte Bischara bei seiner Rückkehr aus Damaskus seinen Worten
die Sprengkraft zu nehmen. Er habe lediglich Verständnis äußern wollen
für den Aufstand gegen die israelische Okkupationspolitik. Doch geholfen
haben ihm diese Beteuerungen nicht: Zum ersten Mal in der Geschichte der
Knesset votierten zwei Drittel der 120 Parlamentarier am Mittwoch für
die Aufhebung der Immunität Bischaras. Sie entsprachen damit einem
Wunsch von Generalstaatsanwalt Eliakim Rubinstein, der nun ein
Ermittlungsverfahren einleiten kann. Bischara von der
"Nationaldemokratischen Balad-Partei", der als einer der unbeliebtesten
Politiker Israels gilt, wird sich nun vor Gericht verantworten müssen –
wegen des Vorwurfs der Unterstützung terroristischer Gruppen und weil er
in diesem Jahr mehrfach Reisen arabischer Israelis ins benachbarte
Feindesland Syrien organisiert hat. Israelischen Staatsbürgern sind
Reisen in verfeindete Staaten ohne Sondergenehmigung eigentlich
verboten.
Seit dem Knesset-Votum ist auch
eine heftige Debatte entbrannt, ob arabische Israelis überhaupt ins
Parlament gewählt werden dürfen – schließlich, so heißt es, sei deren
Loyalität gegenüber arabischen Staaten größer als gegenüber dem
jüdischen. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte zudem in erster Lesung
für ein Gesetz, das Parteien die Wahl in die Knesset verbietet, die den
Kampf gegen Israel gutheißen.
Bischara, der aus Angst vor
Angriffen militanter Juden stets von zwei Leibwächtern begleitet wird,
nahm die Aufhebung seiner Immunität relativ gelassen hin. Es überrasche
ihn nicht: Seit der Intifada seien in Israel "extreme Nationalisten" Ton
angebend. Gegen die Aufhebung seiner Immunität hatten 30 Abgeordnete
gestimmt, darunter die oppositionelle Links-Partei "Meretz". Deren Chef,
Jossi Sarid, erklärte: "Eine Demokratie wie Israel muss Abgeordnete wie
Bischara aushalten können." Er fürchte, dass Bischara einen Prozess zum
"Tribunal" gegen Israel und sich selbst zum "Helden" stilisieren werde,
und dass er die Situation nutzen und die ungleiche Behandlung arabischer
Israelis anprangern werde.
Von den insgesamt sechs Millionen
Israelis sind eine Million arabischer Herkunft. Die meisten fühlen sich
wie Fremde im eigenen Land, auf dessen Gebiet sie und ihre Vorfahren oft
schon länger leben als die meisten jüdischen Israelis. Ihre Schulen und
die Infrastruktur ihrer Städte in Galiläa sind oft schlechter
ausgestattet als die jüdischer Kommunen. Sie sind mit 13 arabischen
Abgeordneten in der Knesset vertreten. Diese warnen unermüdlich vor dem
"sozialen Sprengstoff", den jungen arabischen Israelis. Wegen ihrer
gespaltenen Identität – als Araber in einem jüdischen Staat zu leben –
flüchten viele von ihnen in Alkohol- und Drogenkonsum.
hagalil.com / 14-11-2001 |