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Eine Mauer durch Palästina

Die Idee einer "einseitigen Trennung" ist für immer mehr Israelis die einzige Alternative zum Krieg

Von Gisela Dachs

Jerusalem - Kein Tag mehr ohne Bombenanschlag. Kein Gespräch mehr ohne die Frage: "Was wird werden?" Israels Armee stellt entmutigende Prognosen auf, denen zufolge ein Ende der mörderischen Gewalt auf Jahre hin nicht zu erwarten ist. Hoffnungslosigkeit legt sich über das Land.

Eine politische Lösung des Nahostkonflikts gerät, so scheint es, außer Reichweite. Mit militärischen Mitteln ist dem Terror nicht beizukommen. Nach elf Monaten kriegsähnlicher Zustände gewinnt jetzt eine aus der Verzweiflung geborene Idee immer mehr Anhänger - die Idee einer "einseitigen Trennung" Israels von den Palästinensern. Soll man eine Mauer bauen? Einen Zaun ziehen? Eine militärische Pufferzone schaffen? Über die Form der Trennung wird gestritten. Der Grundgedanke jedoch ist längst konsensfähig. Namhafte Mitglieder der Arbeitspartei, der Zentrumspartei und des konservativen Likud unterstützen den Plan. Auf eigene Initiative lieferte eine parteiübergreifende Gruppe von Parlamentariern nun Ministerpräsident Ariel Scharon Argumentationshilfen für ein solches Vorhaben. Derzeit überlegt auch der Council of Peace and Security, ein hochrangiges Forum ehemaliger Generäle und Sicherheitsexperten, ob es nicht an der Zeit wäre, öffentlich dafür einzutreten. Ein Schutzwall, argumentieren sie, garantiere eine effektivere Terrorbekämpfung. Er schaffe aber auch "demografische Sicherheit". 

900 Kilometer Zaun

"Wenn wir uns nicht von den Palästinensern trennen", argumentiert der ehemalige Ministerpräsident Ehud Barak, "können wir kein jüdischer, zionistischer und demokratischer Staat bleiben. Wir werden entweder wie Bosnien und Belfast oder wie Südafrika während der Apartheid enden." Barak wünscht sich, dass Israel sich über die nächsten vier Jahre stufenweise aus rund 80 Prozent des Westjordanlands zurückzieht, zugleich aber die Tür weit offen lässt für die Wiederaufnahme von Verhandlungen. Er empfiehlt einen insgesamt 700 bis 900 Kilometer langen Grenzzaun. Kostenpunkt pro Kilometer: eine Million Dollar.

Die zionistische Idee beruhe darauf, in einem Land mit einer jüdischen Mehrheit zu leben, meint auch der ehemalige Likud-Mann Dan Meridor, der heute als Vertreter der Zentrumspartei im Kabinett sitzt. Der Minister rechnet vor, dass sich die Zahlen, "wenn man das Westjordanland, den Gaza-Streifen und Israel zusammennimmt", bereits im Jahr 2000 auf 51 Prozent Juden, 3 Prozent nichtjüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, 3 Prozent ausländische Arbeiter, 1 Prozent Drusen und 42 Prozent Araber beliefen. "Berücksichtigt man die hohe Geburtenrate der Muslime, dann ist klar, dass wir unsere Mehrheitsstellung ohne eine Grenze zu den Palästinensern schon bald verlieren werden."

Meridor hütet sich allerdings davor, eine künftige Trennlinie festzulegen. Er meidet geflissentlich die Frage, was mit den jüdischen Siedlungen auf der anderen Seite geschehen soll. Ein in der Tat heikles Thema. Was bedeutet eine Trennung für die rund 200 000 Israelis, die in 150 Siedlungen im Westjordanland leben? Solange sie dort sind, ist eine Grenzziehung praktisch unmöglich.

Die Vorstellungen darüber, wie viele der Siedler ihre Sachen packen müssten, um den Plan zu verwirklichen, gehen auseinander. Einig sind sich aber alle über das Risiko, dass ein solcher Schritt - wenn er nicht richtig eingefädelt wird - falsch interpretiert werden könnte. Denn selbst wenn nur isolierte Siedlungen geräumt werden sollten, würde Israel in den Augen jener Palästinenser, die nur an Gewaltlösungen glauben, Schwäche signalisieren. Ähnlich wie die Hizbullah im Südlibanon könnten die Palästinenser dies als Erfolg ihres Aufstands feiern und sich zum Weitermachen ermutigt fühlen - ohne irgendeinen politischen Preis für den Rückzug bezahlt zu haben. Zudem berge die Räumung von Siedlungen, vor allem wenn dies ohne ein Abkommen mit den Palästinensern geschähe, die Gefahr innerisraelischer Spannungen. 

Dem halten Befürworter des Plans entgegen, dass die Kriegsbereitschaft der Palästinenser nachlassen könnte, wenn sie auf einem größeren zusammenhängenden Territorium ohne Besatzungsmacht lebten. Das würde einerseits die Spannungen mindern, zugleich aber auch bei Attentaten israelischen Vergeltungsschlägen mehr Legitimität verleihen. "Wenn die Palästinenser dann einen Siedlungsblock angreifen, wird die Welt sagen, wie kann man das bloß tun, wenn sich doch Israel gerade zurückgezogen hat", glaubt Ehud Barak. 

Martin Indyk bezweifelt das. In seiner Abschiedsrede im Sommer hatte Washingtons Botschafter in Tel Aviv vor einer einseitigen Trennung gewarnt. Ein solcher Rückzug genösse keine internationale Legitimität, es sei denn, er ginge bis an die Grenzen vor Ausbruch des Sechstagekrieges im Juni 1967. Das steht allerdings nicht zur Debatte: Diese Option empfände Israel als nationalen Selbstmord. "Weil der Abzug somit umstritten wäre", meinte Indyk, würde die letzte Linie des Rückzugs zur vordersten Angriffslinie. 

In seinem kürzlich erschienenen Buch Does America need a foreign policy? empfiehlt Henry Kissinger allerdings einen anderen Weg. In Gebietsfragen dürften amerikanische Politiker von Israel keine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 fordern. Denn das würde israelische Städte Angriffen und sogar dem Beschuss von Mörserraketen aussetzen. Doch er rät, den Palästinensern ein zusammenhängendes Territorium zu geben, das ihnen eine respektable Existenz und eine funktionierende Wirtschaft verschaffen würde. Auch ohne ein Abkommen, schreibt er, müsse Israel isolierte Siedlungen jenseits der Grenzen von 1967 räumen. Und die Araber müssten ihren Anteil in der Stadtverwaltung Jerusalems bekommen. 

Bisher schweigt Scharon 

Was aber bei einer einseitigen Scheidung mit Jerusalem geschehen soll, darauf hat bisher kein Israeli eine Antwort. Wenn um die Stadt ein Zaun gebaut würde, wären 200 000 Palästinenser vom Westjordanland abgeschnitten. Damit könnte Jerusalem Hauptziel künftiger Angriffe werden. Oder soll die Stadt von Mauern durchzogen werden? 

Die Palästinenser haben sich bisher kaum an der Debatte beteiligt. Als der Tanzim-Führer Marwan Barguti in einem Interview für die israelische Presse auf die einseitige Trennung angesprochen wurde, antwortete er: "Die Israelis sollen sagen, was sie damit meinen. Wenn sie einen Rückzug meinen, sich aber nur nicht trauen, das Wort auszusprechen, dann bin ich dafür. Sie sollten sich so weit wie möglich zurückziehen, sie sollten gehen, so wie sie den Südlibanon verlassen haben." 

Bisher zeigen weder Regierungschef Scharon noch sein Außenminister Peres Sympathien für einen Plan, der - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - ihren Ideologien zuwiderläuft. Ariel Scharon, der Architekt der jüdischen Präsenz im Westjordanland, zieht eine Räumung selbst der entlegensten Siedlungen nicht in Betracht. Schimon Peres, der Architekt von Oslo, hat seine Hoffnung auf ein ausgehandeltes Abkommen und seinen Traum vom neuen Nahen Osten ohne Grenzen noch nicht aufgegeben. 

Als Ariel Scharon dieser Tage auf Staatsbesuch in Moskau weilte, wollte die Armee ohne seine Billigung Gebiete östlich der unmarkierten Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel zu einer geschlossenen Militärzone erklären. Scharon empörte sich nicht nur darüber, dass die Generäle sich politische Entscheidungen anmaßten. Der Streit über die geplanten "Pufferzonen" entzündete sich auch an der Frage, ob diese Sicherungsmaßnahme nicht de facto eine "politische und juristische Grenze" mit weitreichenden Implikationen schaffen würde.

Argumente gegen eine einseitige Trennung gibt es genug. Nicht zuletzt, weil sich nun erstmals auch ein Palästinenser mit israelischem Pass, also ein Bürger, der im eigenen Land lebte, in die Luft gesprengt hat. Dennoch kann es schon bald zu der immer lauter geforderten Abschottung kommen. Nicht, weil sie unbedingt eine gute Lösung wäre, sondern, wie es ein Sicherheitsexperte formuliert, "weil keiner eine andere Lösung hat".

haGalil onLine 16-09-2001

 


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