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Umstrittener Sinneswandel:
Benny Morris und der "kosmische Pessimismus"

Von Andrea Übelhack

Benny Morris, Historiker an der Ben Gurion Universität in Beer Sheva, glaubt nicht mehr an den Friedensprozeß. Auch wenn er nach wie vor ein Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern unterstützen würde, glaubt er nicht daran, daß es überhaupt zu einer Lösung kommen wird. Diese Aussage erscheint zunächst wenig spektakulär, spiegelt sie doch die Meinung vieler Israelis wieder. Morris ist jedoch nicht irgendein Professor, sondern Begründer der sog. "neuen" Historiker in Israel.

1988 mußte Benny Morris für einige Zeit ins Gefängnis, nachdem er sich geweigert hatte, in Nablus seinen Reserve-Militärdienst abzuleisten. Nur wenige Monate zuvor war sein Buch erschienen, daß den Anstoß zu einer grundlegenden Neuorientierung innerhalb der israelischen Geschichtsschreibung geben sollte: "The Birth of the Palestinian Refugee Problem, 1947-1949". Darin hatte Morris mit der allgemeinen Überzeugung gebrochen, daß die arabische Bevölkerung nach der Staatsgründung Israels dem Aufruf von arabischer Seite folgte und floh. Die Öffnung von neuen Archiven ermöglichte es Morris zu zeigen, daß die Palästinenser von Israel vertrieben wurden.

In der Folge wurde ein völlig neuer Ansatz bei Historikern und Soziologen entwickelt. Morris selbst begründete auch den Ausdruck der "neuen" Historiker, den er in einem Artikel in der Zeitschrift "Tikkun" benutzte. Die Mythen, die Israels Gründung umwoben, wurden seitdem systematisch aufgearbeitet. Erstreckte sich die Forschung zunächst auf die Geschichte Israels in den Jahren der Staatsgründung, wurden bald weitere Themenfelder integriert, die Integration orientalischer Juden, Holocaust-Geschichte, Israel als Militärgesellschaft und anderes.

Mittlerweile gehören die von den "neuen" Historikern gesetzten Trends zum akademischen Kanon, nicht nur Morris, auch andere Historiker und Soziologen sind an den israelischen Hochschulen präsent. Benny Morris wurde zu einem wichtigen Sprecher der Linken im Land. Umso schockierender ist es für viele, daß er nun seine Meinung geändert hat und dies noch dazu laut kundtut.

Tom Segev berichtete über den Sinneswandel von Morris in einer Wochenendausgabe, zuvor konnte man davon bereits im "New Yorker" lesen, Botschafter und Auslandskorrespondenten erkundigten sich danach, Morris selbst veröffentlichte eine Stellungsnahme in der britischen Zeitung "The Guardian". Darin schrieb er, er sei zwar niemals ein richtiger Optimist gewesen, was den Friedensprozeß angeht, aber jetzt fühle er einen "kosmischen Pessimismus".

Früher hätten Israelis und Palästinenser zumindest noch miteinander gesprochen und Zugeständnisse gemacht. Der Hauptgrund für die auswegslose Situation liegt für Morris in der Person Arafats, den er mit dem Großmufti von Jerusalem der 30er und 40er Jahre vergleicht: "Arafat (is) another implacable nationalist and inveterate liar, trusted by no Arab, Israeli or American leader (though there appear to be many Europeans who are taken in)."

Sein größtes "Verbrechen" sei die Ablehnung des "großzügigen" Angebotes von Ehud Barak gewesen, was für Morris eindeutig zeigt, daß die Palästinenser Israel nicht anerkennen wollen. Stattdessen habe er eine neue Intifada herbeigeführt: "The intifada is a strange, sad sort of war, with the underdog, who rejected peace, simultaneously in the role of aggressor and, when the western TV cameras are on, victim." Arafat habe es sich mittlerweile angewohnt, den eigenen palästinensischen Zuhörern anderes als dem westlichem Publikum zu erzählen. In letzter Zeit nutze er außerdem den Ausdruck der "zionistischen Armee", ein Rückfall in die Agitation der 50er und 60er Jahre. Die palästinensische Führung erkenne Israel weiterhin nicht als legitimen Staat an. Arafat habe in den vergangenen Monaten mehrfach jede Verbindung zwischen dem jüdischem Volk und dem Tempelberg geleugnet und stelle damit die 3000-jährige Geschichte der Juden im Land in Frage.

In Bezug auf seine einst bahnbrechende Forschung schrieb Morris: "But whatever my findings, we are now 50 years on - and Israel exists. Like every people, the Jews deserve a state, and justice will not be served by throwing them into the sea. And if the refugees are allowed back, there will be godawful chaos and, in the end, no Israel. (…) If the refugees return, an unviable binational entity will emerge and, given the Arabs' far higher birth rates, Israel will quickly cease to be a Jewish state. Add to that the Arabs in the West Bank and Gaza Strip and you have, almost instantly, an Arab state between the Mediterranean and the Jordan river with a Jewish minority."

Einen Tag später wurde im "Guardian" eine Antwort von Avi Shlaim veröffentlicht. Shlaim gehört ebenfalls zu den "neuen" Historikern der ersten Stunde und lehrt derzeit in Oxford. Sein Urteil: Morris sei ein Scharlatan, seine Ansichten simplifizierend, selektiv und einseitig: "'A nation," wrote the French philosopher Ernest Renan, "is a group of people united by a mistaken view about the past and a hatred of their neighbours." By this definition, Benny Morris may now be counted as a true member of the Israeli nation."

"The Birth of the Palestinian Refugee Problem" habe sich durch objektive Forschung ausgezeichnet, die niemals von den Aussagen der Quellen abgewichen sei: "Sadly, the article in the Guardian does not display any of Benny's former scholarly objectivity or rigorous use of evidence." Benny Morris scheint die offizielle israelische Version der Geschichte geschluckt zu haben, so Shlaim.

Für Shlaim liegt die Hauptursache im Scheitern des Friedensprozesses nicht in der Person Arafats, sondern in Israels Expansionismus. Der Bau von Siedlungen in den besetzten Gebieten sei nach internationalem Recht immer illegal gewesen und verhindere die Umsetzung des "Geists" von Oslo. Das Existenzrecht Israels werde von allen seinen arabischen Nachbarn und auch von den Palästinensern anerkannt: "None of them recognises the legitimacy of the Jewish colonial project beyond the green line. Nor do I."

Die beiden Positionen verdeutlichen in extremer Weise die Differenzen innerhalb Israels, die sich nicht nur in den veränderten Narrativen der Wissenschaft, sondern vor allem im Konflikt um den "Postzionismus" zeigen. Dieser Konflikt ist unter anderem ein Konflikt über nationale Erinnerung. Das kollektive Gedächtnis Israels wurde durch die Forschung von Benny Morris wesentlich erschüttert. 14 Jahr später scheint er an einer Art "historischen Amnesie" zu leiden und gießt alten Wein in neue Schläuche. Oder, wie Avi Shlaim abschließend urteilt: "His post-conversion interpretation of history is old history with a vengeance. It is indistinguishable from the propaganda of the victors. He used to have the courage of his convictions. He now has the courage of his prejudices."

 

 hagalil.com / 18-03-2002

 


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