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aus Israel:
Le Pen - das große "Erdbeben"
In einem Land, das
selbst so viele Nachrichten fabriziert, daß man nur selten Neuigkeiten
aus dem Ausland hört, mutet der Wahlerfolg Le Pens besonders drastisch
an, verfolgt man das israelische Mediengetöse.
Alle Zeitungen und
Fernsehnachrichten berichteten ausführlich über den historischen Erfolg
des Rechtsextremen. "Jeder sechste Franzose stimmte gestern für den
Mann, der den Holocaust ein "nebensächliches Ereignis" nannte", titelt
das Massenblatt Jedioth Achronoth. "Das Ausland befürchtet eine
Kettenreaktion in weiteren Staaten und Auftrieb für die Faschisten, die
gegen Asylanten sind", meint Maariv.
Maariv widmete dem
Wahlausgang einen Leitartikel, der von politischen, moralischen und
internationalen Auswirkungen spricht. Zu den politischen Konsequenzen
werden dringend notwendige Änderungen im politischen System aufgezählt.
"Die Vielzahl von Kandidaten in der ersten Runde muss verschwinden,
ebenso die Zusammensetzung der Parteien, besonders der großen Parteien."
Wichtiger sei aber die Schlussfolgerung betreffend der internationalen
Stellung Frankreichs. "Bis gestern glaubten wir, dass Frankreich nicht
Österreich ist. Haiders Erfolg wurde vielfach mit der Nazivergangenheit
seines Landes erklärt. Doch Frankreich ist das Land eines Voltaire,
Victor Hugo, Sartre, Camus. Wo soll dieses Land der Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit hin mit seiner Schande? Das ‘Land der Menschenrechte
sollte in Zukunft bescheidener sein, wenn es anderen Völkern Moral
predigt. Die Politiker der französischen Linken, die vor zwei Wochen
unter Plakaten marschierten, auf denen der Davidsstern dem Hakenkreuz
gleichgesetzt und Sharon mit Hitler identifiziert wurde, sollten erstmal
den Balken aus dem eigenen Auge ziehen. (..) Die Israelis, die davon
träumen, ein Jahr in der Provence zu verbringen, müssen sich jetzt
ausmalen, wie es ist, eine Woche mit Le Pen zu leben ".
In Bezug auf Le Pens
Antisemitismus schrieb Adar Primor in Haaretz, daß sich der Front
nationale Chef elegant aus der Affäre ziehen konnte. "Le Pen hat hier
zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die moslemischen Einwanderer
sind seiner Meinung nach eine "beunruhigende Erscheinung" und das
Problem Frankreichs zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Ironischerweise sind
es gerade diese Einwanderer, die hinter dem "neuen Antisemitismus" in
Frankreich stehen, die ihm zu seinem größten Erfolg verholfen haben."
Jedioth Achronoth
titelte zu den französischen Juden "Eine Gemeinde in Angst" und zitierte
eine hohe Stelle in der jüdischen Gemeinde Frankreichs: "Heute frage ich
mich, ob ich nicht allmählich die Koffer packen sollte. Von nun an haben
wir ein doppeltes Problem: Junge Araber verbrennen unsere Synagogen, und
die Partei Le Pens tritt wieder auf die Bühne." Nostalgie nach Rassismus
und Faschismus, sowie das Vergessen der Vichy-Sünden würden sich in Le
Pen wiederspiegeln. "Selbst auf einem Kontinent, auf dem Rassismus
häufig eine ansteckende Seuche war, ist Le Pen eine einmalige
Erscheinung im Herzen des heutigen demokratischen Europas. Le Pen ist
der stolze und arrogante Fahnenträger des Rassismus und Antisemitismus."
Zu der Frage, wieviele Juden Le Pen gewählt haben, um ihrer Befürchtung
gegen arabischen Terror Ausdruck zu verleihen, veröffentlichte Maariv
den Artikel "Der unsichtbare Wähler": "Und natürlich geht es auch nicht
ohne Le Pen und das jüdische Problem. Gestern spürten die Juden bereits
erste Anzeichen einer neuen öffentlichen Kampagne gegen sie, so als
hätten sie alle für den "anti-arabischen" Le Pen gestimmt. Schnelle
Untersuchungen haben ergeben, dass die Juden im allerschlimmsten Fall
0,2% zu den 17% Le Pens beigetragen haben. Eine hohe jüdische Stelle
sagte gestern verbittert: "Uns für den Erfolg Le Pens verantwortlich zu
machen, ist ja wieder reiner Antisemitismus- die Juden sind an allem
schuld.""
aue / hagalil.com / 24-04-2002 |