"Promises":
Auch ohne Oscar ein Favorit
Von Andrea Übelhack
Die Trophäen sind verliehen,
die Teppiche wieder eingerollt, der Oscar 2002 brachte viele
Überraschungen und bewegende Momente. In Israel hatte man in diesem Jahr
besonders gespannt auf den Sieger in der Kategorie Dokumentarfilm
gewartet. Leider ging der Favorit "Promises" leer aus. Trotzdem, die
Dokumentation über Kinder im Nahostkonflikt gehört zu den besten
Beiträgen, die über die palästinensisch-israelischen
Auseinandersetzungen gedreht wurden.
Das liegt vor allem an der
Ehrlichkeit und Offenheit, die im Film zu Tage kommen. Sieben
palästinensische und jüdische Kinder aus Jerusalem und Umgebung erzählen
im Film ihre Ansichten über den jeweils anderen, den Friedensprozeß und
die Möglichkeiten eines Zusammenlebens. Filmemacher B.Z. Goldberg ist
mit "Promises" gelungen, ein Stück Geschichte in bewegenden, sehr
persönlichen, aber auch alamierenden Lebensläufen festzuhalten.
Goldberg, geboren in Boston,
stammt selbst aus einer säkularen jüdischen Familie und wuchs in Neveh
Ilan, einer traditionellen Siedlungen außerhalb von Jerusalem, auf. Die
letzten 10 Jahre lebte er allerdings in den USA gelebt, studierte in new
York Film und kehrte nach Ausbruch der ersten Intifada nach Israel
zurück, um für Reuters, BBC und CNN zu arbeiten.
Die sieben porträtierten Kinder
leben alle im Umkreis weniger Kilometer, könnten dabei aber nicht
unterschiedlicher sein. Yarko und Daniel, die beiden Zwillinge aus
Rehavia, sind säkular aufgewachsen, sportbegeistert und in ihren
Ansichten sehr liberal. Shlomo, der offensichtlich amerikanische Wurzeln
hat, da er perfektes Englisch spricht, lebt im jüdischen Viertel der
Altstadt und ist streng orthodox. Moishe lebt in Beit El, einer Siedlung
in der Nähe von Ramallah. Unter den palästinensischen Kindern ist das
einzige Mädchen, Sanbal, die im Flüchtlingslager Dehaishe bei Bethlehem
lebt. Dort wohnt auch Faraj, der wie die Zwillinge sehr sportbegeistert
ist. Mahmoud kommt aus einer Familie, die im arabischen Viertel der
Altstadt Jerusalems lebt, sein Vater hat dort einen Laden.
Der erste Teil des Films zeigt
die Kinder in ihren Alltagssituationen und führt dabei Momente vor, die
der Zuschauer wohl kaum erwartet hätte. Keiner der Kinder entspricht den
gängigen Stereotypen, die trotz aller Aufgeklärtheit immer mitschwingen,
und die der Film herausschälen möchte. Mahmoud ist blond, Shlomo mit dem
amerikanischen Akzent hat eine dunklere Hautfarbe und Sanbal sieht eher
aus wie ein Mädchen aus Tel Aviv als eine traditionell erzogene
Muslimin. Goldberg
hatte anfangs sogar Sorge, daß das Projekt so nicht funktionieren würde:
"There was a point when we thought none of the kids would work since
they don't fit the stereotype of what we're trying to show. Then we had
an 'ah-ah' moment in which we realized that while we were trying to look
for stereotypes, every kid is different - no child can be a caricature.
In the end, we chose children with whom we felt we'd have a good
relationship, knowing we'd have to work with them over a long period of
time."
Im zweiten Teil des Films kann
Goldberg eine Begegnung zwischen den Zwillingen und den Kindern im
Flüchtlingslagern herbeiführen. Ein ungezwungenes Treffen, das mit einem
Gefühlsausbruch von Faraj endet, für viele der emotionale Höhepunkt der
Dokumentation. Die Kinder schaffen es tatsächlich innere und äußere
Grenzen zu überwinden und verleben einen Tag, der den Zuschauer hoffen
läßt.
Zwei Jahre später, der Film zeigt
die Kinder noch einmal, ist davon wenig geblieben. Die Zwillinge
erzählen, daß Faraj sie öfters angerufen hat, um in Kontakt zu bleiben,
aber sie aben sich nicht mehr getroffen.
Die Gemeinsamkeiten waren ganz einfach zu gering, meint Goldberg: "They
had two things in common, sports and that they had been told their whole
lives they they were enemies. But that wasn't enough - there were too
many obstacles. Freedom of movement was a problem, but checkpoints also
exist in our minds and hearts. Just like the twins say in the film, most
Israelis really, really want there to be peace, but most can't afford to
deal with it on a day-to-day basis. It's hard enough to make a living
and to form some modicum of sanity for yourself."
Wer weder hebräisch noch arabisch
spricht, verpaßt leider einen wichtigen Aspekt des Films. Durch die
Sprache werden die einzelnen Barrieren durch die Gesellschaften
besonders deutlich. Während Shlomo im Hebräischen eine sehr gewählte
Ausdrucksweise hat, ist Moishe eher schwer zu verstehen. Seine Sprache
ist schlampig, seine Wortwahl erschreckend unüberlegt. Er wiederholt,
was er von Erwachsenen hört, Palästinenser sind nichts wert und wenn aus
Versehen einer erschossen wird, ist das nicht schade. Die Zwillinge
sprechen schönes Alltags-Hebräisch.
Auch auf der palästinensischen
Seite sorgt die Sprache für Verwunderung. Vor allem bei Mahmoud, der
nicht glauben kann, daß B.Z. Goldberg Jude und Israeli ist, wo er doch
perfektes Arabisch spricht. Die beiden sitzen nebeneinander und Mahmoud
erklärt B.Z., daß er niemals mit einem Israeli sprechen würde, ihm
niemals die Hand geben würde. Die Kamera schwenkt auf seine Hand, die
ihn B.Z.s Händen ruht. Goldberg braucht wirklich alle Überzeugungskraft,
um Mahmoud zu erklären, daß er wirklich Israeli ist.
Zu den bewegensten Momenten des
Films zählt auch der Besuch von Goldberg und den Zwillingen an der
Klagemauer. Die beiden haben Angst vor den Orthodoxen dort, Daniel
weigert sich bis vor zur Mauer zu gehen. Yarko faßt sich ein Herz und
geht gemeinsam mit B.Z. nach vorne, schreibt einen Zettel mit dem
Wunsch, beim nächsten Volleyballspiel zu gewinnen und steckt ihn
zwischen die Mauerritzen. Die Zwillinge sagen selbst, daß sie mit
orthodoxen Juden weniger gemeinsam haben als mit Arabern. Goldberg
selbst war vond er tiefen Spaltung der israelischen Gesellschaft, die
sich in dieser Szene widerspiegelt, sehr überrascht.
Goldberg steht auch heute noch in
Kontakt zu den Kindern. Der Ausbruch der zweiten Intifada hat vor allem
den Palästinensern das Reisen unmöglich gemacht, der Film könnte heute
in dieser Form gar nicht mehr gedreht werden. Als die Dokumentation
letztes Jahr im Rahmen des Jerusalemer Film Festivals in der
Cinematheque gezeigt wurde, kam nur Mahmoud, obwohl gerade er die
extremsten Ansichten und Sympathien für die Hamas geäußert hatte.
Seit dem Film und seitdem er
realisiert habe, daß auch Israelis an ihm als Person interessiert sind,
sei Mahmoud aber weniger polarisiert, weniger Politik interessiert und
kümmere sich mehr um Rap und Computer, berichtet B.Z. Goldberg. Und die
anderen?
"Faraj is in despair
and would love to get out of here. Sanbal is in a lot of pain, with a
lot of hatred. The openness is not there right now. Moishe has become,
like most of the settlers, more extreme in his views. What little
modicum of openness he had is gone. The twins are very involved in
volleyball and are in training all the time. They're still open to
meeting Arab kids, and their political opinions are still typical of the
Israeli left wing."
hagalil.com / 31-03-2002 |