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"Mi gesa rabbanim":
Leo Baeck-Ausstellung im Münchner Stadtmuseum

Leo Baeck ist ohne Zweifel eine der wichtigsten Persönlichkeiten des deutschen Judentums im 20. Jahrhundert. Erstmals wurde ihm eine eigene Ausstellung gewidmet. "Mi gesa rabbanim", "Aus dem Stamm von Rabbinern", heißt die von den Kuratoren des Frankfurter Jüdischen Museums, Fritz Backhaus und Daniela Eisenstein, konzipierte Schau, die noch bis zum 3. März im Münchner Stadtmuseum zu sehen ist.

Jüdischer Verlag

Leben und Werk des großen jüdischen Denkers wird vor allem durch schriftliche Quellen dargestellt. Darunter sind Briefe, Publikationen und Urkunden des Rabbiners. Unterstützt werden die Schriftstücke durch zahlreiche Fotographien. Die meisten der Ausstellungsstücke waren bisher unveröffentlicht und wurden von Baecks Enkelin Mariane Dreyfus erstmals zur Verfügung gestellt.

Besonders sind auch die beiden Filmdokumente, die in einem kleinen Nebenraum ständig gezeigt werden: Ein Stummfilm, der Baeck bei der Einweihung einer jüdischen Siedlung zeigt und ein Ausschnitt aus dem Nazi-Propagandafilm "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt", der Baeck im Ältestenrat von Theresienstadt zeigt.

Leo Baeck wurde 1873 in Lissa in der Provinz Posen geboren. Als liberaler Rabbiner arbeitete er zunächst in Oppeln, Düsseldorf und schließlich in Berlin, wo er auch an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums unterrichtete. Bekannt wurde Baeck vor allem durch seine Reaktion auf Adolf von Harnack.

Der Kirchengeschichtler Harnack hielt im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin eine Vorlesung über die liberale Konzeption des Christentums, die kurz darauf unter dem Titel „Das Wesen des Christentums“ veröffentlicht wurde. Das Werk hatte enormen Erfolg und wurde bis 1927 in 15 Sprachen übersetzt. Nicht nur Juden, auch Katholiken mussten die Darstellung als Angriff auffassen, die den Protestantismus als den richtigen Weg beschreibt. Das Judentum wird als spirituell vertrocknete Religion gezeichnet. Baeck, damals noch relativ unbekannt, publizierte eine Rezension in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 1905 dann eine Zusammenfassung unter dem Titel "Das Wesen des Judentums".

Im Ersten Weltkrieg meldete Baeck sich freiwillig als Feldrabbiner und trug zur Etablierung jüdischer Geistlicher an der Front bei. In der Weimarer Republik setzte er sich stets für Verständigung und Toleranz ein, wehrte sich jedoch vehement gegen antisemitische Vorurteile und Hetze. Seit 1933 hätte er vielfach die Möglichkeit gehabt, das Land zu verlassen, seine Familie war bereits seit 1939 in England. Aus Pflichtgefühl blieb er jedoch bis zum Ende bei seiner Gemeinde in Berlin und wurde 1943 nach Theresienstadt deportiert.

Er überlebte trotz des hohen Alters und harrte nach Kriegsende weitere zwei Monate im Getto, um die Typhuskranken in der Quarantäne moralisch zu unterstützen. Danach ging er nach England, da für ihn jüdisches Leben in Deutschland nach dem Nationalsozialismus undenkbar wurde. 1955 wurde das erste nach ihm benannte Institut zur Erforschung des deutschsprachigen Judentums in Jerusalem gegründet, weitere folgten in New York und London.

Seine ambivalente Stellung zu Deutschland nach Kriegsende revidierte Baeck zwar in sofern, dass er der Meinung war, dass "so lange Juden in Deutschland seien, sie eine Gemeinde haben müssten, in der sie jüdisch leben und wirken könnten". Die Geschichte des deutschen Judentums war für ihn jedoch definitiv zu Ende. Leo Baeck starb 1956.

Die Ausstellung bietet interessantes Material, das vor allem die Widersprüche deutsch-jüdischen Lebens in der Moderne verdeutlicht. Liberalismus und Orthodoxie, Zionismus und Assimilation bilden ständige Gegenpole des Gemeindelebens. Andererseits ist die Präsentation der Dokumente und Fotographien extrem konservativ und einfallslos. Die Quellen werden einfach nur in langen Schaukästen gezeigt. Auflockerung bringen nur die Filmsequenzen im Nebenzimmer.

Besonders irritierend der Ansatz in Bezug auf die Debatte um das Wesen des Christentums. Zwei Büsten, eine von Baeck und eine von Harnack stehen sich gegenüber. Unter der von Baeck liegt "Das Wesen des Judentums", unter der von Harnack "Das Wesen des Christentum". Die beiden Büsten scheinen sich anzublicken, erst wenn man genau darauf achtet, bemerkt man, dass sie aneinander vorbei schauen.

Leo Baeck 1873-1956
Aus dem Stamme von Rabbinern

von Georg Heuberger, Fritz Backhaus

Für alle, denen derartige "Konzeptionen" wenig geben, mag der Katalog zur Ausstellung interessant sein: Ein reich illustrierter Ausstellungskatalog mit bislang unveröffentlichten Bildzeugnissen und Beiträgen von Autoren aus Deutschland, Israel und den U.S.A. ist im Jüdischen Verlag im Verlag Suhrkamp erschienen.

Kurzbeschreibung: Der reich illustrierte Band, mit vielen bislang unveröffentlichten Bildzeugnissen, würdigt erstmals umfassend das Leben und Wirken Leo Baecks – des Mannes, der zur Symbolfigur des deutschen Judentums im 20. Jahrhundert wurde. Leo Baecks Lebensweg führte vom Kaiserreich über das NS-Regime bis in die Nachkriegszeit. 1933 wurde der Rabbiner zum Präsidenten der neugebildeten »Reichsvertretung der Deutschen Juden« gewählt. In dieser Position stellte er sich den nationalsozialistischen Machthabern trotz wachsender Ohnmacht entgegen und versuchte selbst noch in Theresienstadt den Überlebenswillen der Deportierten zu stärken. Von vielen als Lehrer in dunklen Zeiten verehrt, wurde er im Zusammenhang mit der Kritik an der erzwungenen Kooperation jüdischer Repräsentanten mit dem NS-Regime später auch angegriffen. Wissenschaftler aus Deutschland, den USA und Israel gehen in ihren Beiträgen zu Leo Baeck charakteristischen Widersprüchen deutsch-jüdischer Existenz in der Moderne nach: Orthodoxie und Reform, Zionismus und Assimilation, Patriotismus und antisemitische Ausgrenzung, Apologie und Kritik in der christlich-jüdischen Auseinandersetzung – die Persönlichkeit Leo Baecks steht paradigmatisch für ein deutsch-jüdisches Leben im 20. Jahrhundert.

aue / hagalil.com / 04-02-2002


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