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NICE JEWISH GIRLS
Interview mit Evelyn Torton Beck

Evelyn Torton war sechs Jahre alt als sie 1939 mit ihrer Familie aus Österreich flüchten mußte weil sie Jüdin war. Ihre Großmutter die in Wien zurückblieb, wurde von den NationalsozialistInnen deportiert und ermordet. Evelyn Torton Beck wuchs in New York auf und ist heute Professorin an der University of Maryland, wo sie das Institut für Women's Studies mit aufgebaut hat. In der internationalen feministisch-lesbischen Szene ist sie vor allem als Herausgeberin der ersten Anthologie über jüdische Lesben in den USA bekannt. Ende Oktober war sie im Rahmen einer Buchpräsentation in Wien.

Du bist 1933 in Wien geboren, 1939 mit deinen Eltern und deinem Bruder nach Italien und dann in die USA geflüchtet. Kannst du dich an die Zeit hier in Wien noch erinnern?
Evelyn Torton Beck: Ja, ich war ja sechs Jahre hier. Weil die Zeit ziemlich traumatisch war, kann ich mich an Manches sehr stark erinnern.

Das heißt du erinnerst dich auch an Gewalt, an den Nationalsozialismus und an Ausschlußerfahrungen?
Ja, das letzte Jahr, 1938 bis 1939 waren ja die Nazis da. Mein Vater ist verhaftet worden und nach Dachau und dann nach Buchenwald gekommen. Wir sind aus der Wohnung rausgeschmissen worden und mussten im Ghetto wohnen, in einer großen Wohnung mit mehreren Familien. Ich durfte nicht mehr in den Kindergarten gehen. Diese Erinnerungen sind sehr stark. Ich kann mich ganz genau an den Tag erinnern, an dem mein Vater verhaftet wurde, wie die Nazis kamen und ihn mitnahmen.

"Men came and took my father away.
I am told that while the men waited for my father to get his coat,
I walked right up to one of them, put my foot next to his, and said,
'See, we have the same shoes, only yours are much bigger.' "

Du schreibst auch, daß dich deine Mutter mitgenommen hat, als sie versucht hat, deinen Vater wieder aus dem KZ rauszukriegen. Erinnerst du dich daran?
Oh ja, ich erinnere mich an die Männer dort. Ich muß innerlich gezittert haben, aber äußerlich hab ich ausgesehen, wie ein nettes kleines Mädchen. - Woran ich mich nicht erinnern kann, sind die großen Hakenkreuze, die damals überall gewesen sein müssen. Das muß ich aus meinem Gedächtnis ausgelöscht haben. Ich glaube ich hab erst mit dem Buch "Nice Jewish Girls" die Vergangenheit zu mir kommen lassen.

Haben deine Eltern über die Zeit geredet?
E.B. Nein, nie.

Und du hast sie auch nicht danach gefragt?
Nein. Wir hatten das Gefühl - meine Mutter war ein Einzelkind, ihre Mutter hat ein ganzes Leben mit ihr und mit uns gelebt. Wir durften die Großmutter nicht mitnehmen, wir hatten nur vier Visas. Das war sehr schwer für meine Mutter. Als wir dann in den Vereinigten Staaten erfahren haben, daß die Großmutter vernichtet worden ist, erlitt meine Mutter einen Nervenzusammen- bruch. Ich wußte mein ganzes Leben lang: Über die Oma sprechen wir nicht. Sehr selten hat sie etwas gesagt, aber im Allgemeinen war das Gefühl da - darüber sprechen wir nicht, wenn wir darüber sprechen, fängt sie sofort an zu weinen. So haben wir nicht gesprochen. Das ist ziemlich übel. Ich hab unlängst eine Geschichte von Martin Goldsmith gelesen, in der er dieses Schweigen beschreibt. Er schreibt, das war so, wie wenn ein großer Baum mitten in der Wohnung steht über den niemand spricht.

Deine Großmutter - das weißt du wahrscheinlich, daß die größte Gruppe von Menschen, die deportiert und vernichtet worden sind in Wien, Menschen über 60 waren.
Nein, ich weiß, daß sie die Ersten waren, die deportiert wurden ...

Ich hab das auch nicht gewußt. Die größte Gruppe der Deportierten waren Frauen über 60. Glaubst du daß deine Großmutter aus Wien hätte flüchten wollen? Es gibt viele Erzählungen, in denen beschrieben wird - die Mutter, die Eltern wollten nicht weg, sie wollten dableiben.
Ich glaube, wenn wir noch ein Visa bekommen hätten, wäre sie mitgekommen. Als meine Mutter sie gefragt hat, was mit ihr sein wird, hat meine Großmutter gesagt: 'Mit mir wird geschehen, was mit allen anderen alten Leuten geschieht.' Deswegen - wenn du das jetzt sagst - ich glaube nicht, daß sie gewußt hat, daß man sie vernichten wird, aber sie hat geglaubt, was immer sein wird, wird mit mir auch geschehen. Sie sagte zwar sie will dableiben, aber ich glaube, wenn wir ein Visum gekriegt hätten, wäre sie mitgekommen. Wir waren ihr ganzes Leben, sie war auch ein Einzelkind.

Kannst du dich an Italien, an Mailand, erinnern?
Ja, ich erinnere mich. Wir haben in einer Dachwohnung gewohnt. Ich ging in die erste Klasse. Einmal am Tag haben wir in einer Ausspeisung gegessen. Ich weiß nicht, wovon wir gelebt haben, ob wir selber etwas Geld hatten, oder ob wir von der Unterstützung einer jüdischen Organisation lebten.

Wie alt warst du, als ihr in die USA gefahren seid?
Sieben. Es war kurz vor dem Krieg, im Juni 1940. Mein Vater hat gesagt es war das allerletzte Schiff, das von Italien wegdurfte, mit dem wir gefahren sind.

Evelyn Beck wuchs in Brooklyn, einer ArbeiterInnengegend in New York auf. Ihr Vater der in Wien ein kleines Geschäft besessen hatte, war jetzt Arbeiter in der Fabrik eines Verwandten. Im Gegensatz zum Vater, der dort mit jiddisch-sprechenden Landsleuten aus Osteuropa - er war aus Polen - zusammentraf, hat sich die Mutter, eine Wienerin, sehr schlecht an die neue Umgebung gewöhnt.

Wie ist es für dich in Amerika weitergegangen? Wie bist du mit deiner Vergangenheit zur Frauenbewegung, zur Lesbenbewegung gekommen?
Ich hab mich als Amerkianerin eingelebt, aber ein Punkt in der Bewegung zum Feminismus war erstens, daß ich mich immer als Außenseiter gefühlt hab - das ist wichtig, da hat man eine andere Aussicht. Zweitens, daß ich mit 9,10,11 Jahren zur Haschomer Ha'zair, einer zionistischen, marxistischen Jugendbewegung, gekommen bin. Dort hatten wir das Ziel, ein jüdisches Land aufzubauen. Es war eine Vorbereitung für die Jugendalijah, die Auswanderung nach Palästina. Das wichtige war die Kollektivität in diesen Camps, da war ich sehr, sehr drin, dort fühlte ich mich dazugehörig. Dort haben die Frauen die gleichen Arbeiten gemacht, wie die Männer. Man hat sich nicht geschminkt, das war damals nicht lesbisch, sondern so ein Pioniergeist. Das hat mich sehr geprägt. Ein erster Hinweis auf's lesbisch-sein war, daß ich mich dort in eine Leiterin verliebt habe. Als sie nach drei Jahren weggegangen ist, bin ich auch weggegangen. Aber die Erfahrung der Zugehörigkeit und der Gemeinsamkeit, ein gemeinsames Ziel zu haben, die ich dort gemacht habe, war sehr wichtig. Als junge Frau kam mir dieses dating-game mit den Jungen immer so scheußlich vor, aber ich hatte das Gefühl, daß ich das machen muß. Öfters hab ich dann kurzfristig abgesagt und Kopfweh vorgetäuscht. Ich bin ganz sicher, wenn es so gewesen wäre wie heute in Amerika, [mit der Sichtbarkeit der schwul- lesbischen Kultur] dann hätte ich schon damals, als ganz junges Mädchen, mein Coming out gehabt.

Und so hast du geheiratet -
Ja. Lesbisch-sein ist, wie man weiß, ein Spektrum. Es gibt Lesben, die können überhaupt nicht mit Männern und andere schon. Ich hab dann gleich zwei Kinder gekriegt, die nicht geplant waren, aber das war damals ziemlich üblich. Ich habe meinem Mann schon vor der Heirat gesagt, daß ich nicht nur zuhause bleiben will, aber dann kamen die Kinder ... Ich hab dann weiterstudiert, was in den 50er Jahren für eine Ehefrau und Mutter nicht so üblich war. Der Feminismus war in mir, ich war Feminstin schon bevor es die Bewegung gegeben hat. Als dann die Frauenbewegung aufgekommen ist, hab ich in dem Moment, in dem ich das erste Mal davon gelesen hab, gewußt: Da gehör ich hin, das und das hab ich erlebt und so will ich leben. Das Ende meiner Doktorarbeit im Jahr 1969 fiel mit dem Aufkommen der Frauenbewegung zusammen. Mit meinem Mann kriselte es schon, er hat mich unterstützt, aber er fürchtete, wenn ich ökonomisch selbständig werde, würde ich ihn verlassen. Er konnte mich unterstützen, solange ich unsicher war, aber dann, als ich stark geworden bin, hat er Angst bekommen. Ungefähr zur gleichen Zeit als die ersten feministischen Theorien in Umlauf gekommen sind, gab es auch die ersten Texte zu Lesben. Ich hab sie neugierig gelesen, aber ich würde nicht sagen, daß ich mich da schon als Lesbe erkannt habe. Dazu ist zu sagen: meine Tochter ist lesbisch. Als sie ihr Coming out hatte war das für mich ein großer Schock.

Deine Tochter hatte vor dir ihr Coming out?
Ja, sie war mein Modell. (lacht) Ich hatte damals die "liberale" Einstellung - ich hab nichts gegen Schwule und Lesben, aber mein Kind das noch so jung war, nein ... Das war für mich ziemlich schwer, aber es hat mir auch geholfen, denn wir sind dann zu einer Familienberatung gegangen, mit den Kindern. Wir haben geklagt, daß unsere Tochter lesbisch ist. Der Therapeut, es war ein Mann, hat mit der Tochter gesprochen und hat dann gesagt: 'Ihr geht es gut, aber was ist mit euch?' Und da hab ich angefangen selber nachzuschauen. Das war einige Jahre vor unserer Scheidung, danach dauerte es noch einige Zeit bis ich mein Coming out hatte. Die Möglichkeit, daß ich mich in eine Frau verliebe, hat sich mir langsam aufgetan und auf einmal hat sich mir die Welt geöffnet und kurz danach habe ich dann eine Frau gefunden, in die ich mich verliebt habe. Wir waren elf Jahre zusammen und in dieser Zeit hat sich die lesbische Bewegung sehr stark entwickelt und ich hab mich innerhalb der feministischen Bewegung als Lesbe entwickelt.

Und dein nächster Schritt war dann, daß du dich mit jüdischen Lesben zusammengeschlossen hast.
Zu meinem jüdischen Bewußtsein bin ich mit meiner Kafka-Arbeit zurückgekommen. In der lesbischen Bewegung hab ich dann beobachtet, daß es Antisemitismus gibt. Das war für mich ein großer Schock. Es war auch der Zeitpunkt, in der sich viele Minderheiten angefangen haben zu organisieren.

Es hat dann ja eine Gruppe gegeben - ich weiß jetzt nicht, ob du davon schreibst oder Irena Klepfisz - die hat "Vilde Chajes" geheißen.
Ja, wir waren sechs Frauen. Irena Klepfisz war dabei, Adrienne Rich und andere. "Vilde Chayes" heißt "wildes Tier" und unsere Mütter, die nicht viel jiddisch gesprochen haben, haben den Begriff als Schimpfwort benutzt, wenn eine Frau sich nicht die Haare gekämmt hat oder sich sonst nicht so benahm, wie es von ihr erwartet wurde. Wir haben ungefähr zur gleichen Zeit angefangen, als "Nice Jewish Girls" herausgekommen ist. Wir waren damals über die ganzen USA zerstreut, trafen uns an verschiedenen Orten und haben gemeinsam politisch gearbeitet.

Jüdische lesbische Feministinnen in den USA haben sich ja auch schon früh zusam- mengeschlossen um zum israelisch/palästinensischen Konflikt Stellung zu nehmen. 1987 im Dezember hat die Intifada begonnen und im April 1988 wurde bereits das "Jewish Women's Committe to End the Occupation of the West Bank und Gaza" gegründet. Warst du dort dabei?
Nein, ich lebte damals noch in Washington D.C. Die Gruppe war in New York, Irena Klepfisz war dort sehr aktiv. Ich hab damals hauptsächlich innerhalb der Universität politisch gearbeitet.

Was hast du anfangs unterrichtet?
In den 70-er Jahren war es Vergleichende Literaturwissenschaft. Damals hab ich noch die "Meisterwerke der Literatur" gelehrt, langsam hab ich dann angefangen Scholem Alechem mit hineinzunehmen und dann Frauen. In Wisconsin hab ich die Women's Studies mitaufgebaut. Der Druck ist von untern gekommen, von den Studierenden, es gab Sit-Ins und Streiks. Es wurde dann eine Kommission eingesetzt, die fragte, wer dazu was machen will und da hab ich mich gemeldet. Ich war damals Teaching Professor. Für meinen Posten hab ich kämpfen müssen. Nach meiner Doktorarbeit, die gleich als Buch herausgekommen ist, konnte ich keine Arbeitsstelle kriegen. Ich war schon fast vierzig, ich war jüdisch. Ich hab mich an vielen Orten beworben. Ich hab mir dann selber einen Posten als Gastprofessor in der Vergleichenden Literaturwissenschaft geschaffen. In der Zwischenzeit hatte ich Isaac Bashevis Singer kennengelernt und seine Sachen aus dem Jiddischen ins Englische übersetzt.

Hast du bei deiner Arbeitsplatzsuche Unterstützung von anderen Feministinnen an den Universitäten bekommen?
Das war damals noch nicht so, es gab viele Frauen, die einen Arbeitsplatz suchten. Als ich mich in Madison an der Uni an der ich studiert hatte, auf eine ausgeschriebene Stelle zu Literatur im 20. Jahrhundert beworben habe, haben sie nicht mich genommen, sondern einen jungen Mann, der seine Doktorarbeit noch gar nicht abgeschlossen hatte. Meine Doktormutter hat mich unterstützt, sie war in einer Kommission und hat gesagt "Du darfst das nicht so hinnehmen." Eine nur aus Männern bestehende Untersuchungskommission befand dann, daß ich Recht hatte und so bekam ich die Stelle. Ich hab die Geschichte jahrelang nicht erzählt, ich war so verletzt. Erst in den letzten Jahren erzähle ich sie meinen StudentInnen und sie sagen, daß es für sie sehr wichtig ist. Der Kampf hat mich auch gestärkt. Die Leute an dem Institut haben sich vor mir gefürchtet weil sie wußten daß ich kämpfe, aber sie mussten dann nur eine Hälfte von mir nehmen, die andere Hälfte der Stelle hat das Institut für deutsche Literatur bekommen. Und nach der Gründung von Women's Studies hab ich mich dann in drei Teile geteilt. In den Women's Studies hab ich dann hauptsächlich zu den Themen Frauen und Kunst und Minderheiten unterrichtet. Danach wurde ich als Leiterin der Women's Studies nach Maryland berufen. Das war damals ein kleines, unselbständiges Institut mit zwei Stellen, jetzt haben wir zehn und es gibt mehrere Möglichkeiten in Women's Studies einen Abschluß zu machen, und zwar auch im Hauptfach und als Doktorat. Mittlerweile hab ich selbst wieder ein Studium angefangen - Psychologie.

Woran arbeitest du aktuell?
An einem Buch zu Frieda Kahlo und Franz Kafka. Ich hab mir auch überlegt, die Dissertation in Psychologie zum Thema lesbische Mütter und lesbische Töchter zu machen, aber man weiß nie, wozu so eine Arbeit dann benutzt wird.

Würde es dich nach deinen ganzen Erfahrungen reizen, auch einmal an einer Universität in Österreich zu lehren?
Das bin ich in den letzten Tagen oft gefragt worden. Ja, ich denke ich könnte etwas mitbringen.

Vor allem diese Offenheit und Interdisziplinarität. Hier sind die Fächergrenzen teilweise sehr starr.
Von der Gastvorlesung, die ich an der Universität gehalten habe, habe ich den Eindruck, daß die Studentinnen sehr offen und interessiert sind.

Das Gespräch führte Elisabeth Malleier. Sie ist Italienerin deutscher Muttersprache (Südtirol) und Historikerin. Sie schrieb ihre Dissertation an der Universität Wien zum Thema: Jüdische Frauen in Wien (1816-1938). Wohlfahrt - Mädchenbildung - Frauenarbeit.

Eine gekürzte Fassung dieses Interviews ist erschienen in: Stimme von und für Minderheiten. Zeitschrift der Initiative Minderheiten. Innsbruck/Wien, Nr. 37/ IV 2000.

Sarahs Töchter

haGalil onLine 13-06-2001


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