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Sein Name war Frieden:
Zum Tode von Schalom Ben-Chorin

Von Inka Bohl
Erstveröffentlichung: Der Literat/ Fachzeitschrift für Literatur und Kunst 6/1999, D-65812 Bad Soden

In der geistigen Welt hinterlässt der Tod des Rabbiners, Religionsphilosophen, Dichters und Essayisten Schalom Ben-Chorin eine nicht ausfüllbare Lücke. Er war die überragende Persönlichkeit, die in mehr als sechzig Jahren unermüdlicher Tätigkeit das Zentrum des jüdisch-christlichen und deutsch-israelischen Dialogs bildete, und er war die Instanz, auf die Verlass war in ihrem Glauben an Brüderlichkeit bei allem Erlittenen und Trennenden.

Beharrlich, hingebungsvoll, kritisch und vielseitig schuf er sein geniales Oeuvre aus mehr als dreißig Büchern, hunderten von Artikeln (auch für diese Zeitschrift; zuletzt erschien von Schalom Ben-Chorin zum 50. Gedenktag der Staatsgründung Israels im Juni-Heft 1998 Hundert Jahre Judenstaat, eine Würdigung von Theodor Herzls Schrift), Gedichten, Erzählungen, dramatischen Texten, gar Illustrationen zu einigen seiner Werke und, wie er selbst sagte, "geistigen Sprüngen von der Satire bis zur Theologie". Weite Verbreitung fand die Trilogie Die Heimkehr über Jesus, Paulus und Maria aus jüdischer Sicht und die zwei­bändige Autobiographie Jugend an der Isar und Ich lebe in Jerusalem.

Geboren wurde Schalom Ben­Chorin (Friede Sohn der Freiheit) als Fritz Rosenthal am 20. Juli 1913 in München. Dort studierte er Germanistik, Theaterwissenschaften und Vergleichende Religionswissenschaft. Als Zwanzigjähriger erfährt er, wie die Lichter der Zivilisation erlöschen, erfährt die Brutalität der SA, die schlagartige Veränderung im täglichen Leben und Umgang in Nazi-Deutschland. Er wird verhaftet und misshandelt. Überlegungen zur Emigration nehmen konkrete Formen an. 1935 entschließt sich der junge Mann zur Flucht nach Palästina.

Mit angesichts der Situation wie leicht einherkommenden Worten beschreibt er seine Ankunft:

"Im Herbst 1935 kam ich aus meiner Geburtsstadt nach Jerusalem. Es war an einem regnerischen Abend, und ich beschloss, am nächsten Morgen, vor Tau und Tag, die Sonne über den Zinnen Zions aufgehen zu sehen. Ich trat auf den Balkon meines Hotelzimmers am Zionsplatz, im Zentrum der Stadt. Mein Blick fiel auf das Gebäude gegenüber: Cinema Zion, Zionskino. Und was wurde gegeben? Marlene Dietrich in Der Blaue Engel. Alle Engel hatte ich eher in Jerusalem erwartet, ganz im Sinne der Dichtern Else Lasker­Schüler Ich suche aller Landen eine Stadt, / Die einen Engel vor der Pforte hat. Nun aber war es der blaue Engel vor der Pforte Jerusalems... und am Abend ging ich ins Cinema Zion und erfreute mich wieder an der feschen Lola."

Später wird er das berühmt gewordene Etikett Jerusalems "als Herz der Welt" ergänzen durch seine von hier ausgegangene Entwicklung zum "Herzspezialisten": "Die Wandlungen dieser ewigen Staat bilden den Hintergrund meines Lebens und Schaffens."

In der ersten Zeit des Exils versuchte er noch, die wenigen ver­bliebenen Reste jüdischer Publikationen in Deutschland zu stützen. So schrieb er von Jerusalem aus als Schalom Ben­Chorin noch 1937 regelmäßig in jüdischen Zeitungen wie dem Israelischen Familienblatt oder der Jüdischen Rundschau in Deutschland. Doch wählte er, wie er viel später erst aufdeckte, für seine Verfasserschaft der Novelle Begegnung mit dem Golem, "die ganz scharfe Züge gegen das Nazi-Regime trägt und einerseits meine Mitarbeit beeinträchtigt und auch einen Freund in München belastet hätte, der in der Erzählung unter dem Namen Medardus erscheint", das Pseudonym Tony Brook - "aus Verehrung für Thomas Mann: Tony erinnert an Tonio Kröger, und Brook an Buddenbrooks".

1945 schreibt er

...
Wenn wir die Heimat erreichten,
erreichte die Heimat uns nicht,
All ihre Winde, die leichten,
Spielen nur durch mein Gedicht.
...

Auch in den kommenden Schaffensjahren blieb die literarische und publizistische Sprache Schalom Ben-Chorins wie bei den meisten der nach Israel eingewanderten deutschsprachigen Autoren in der Muttersprache deutsch: "Sie lebt mit uns, so lange wir leben, und - das ist meine Hoffnung - vielleicht noch ein Weilchen darüber hinaus."

Er hat viele ebenfalls Große seiner Zeit gekannt, war mit ihnen befreundet. Er stand mit den Trauernden bei Else Lasker-Schülers Beisetzung zusammen, "an einem nieseligen Januartag auf dem wolkenerhangenen Ölberg", - mit Leopold Krakauer und seiner Frau Grete, der Malerin, mit Gerson Stern.... Er war Schüler von Martin Buber (1878-1965), den er "den Weisenden" nannte und dem er sein erstes Buch Die seltsame Gemeinde (1931) gewidmet hatte, führte mit Heinz Politzer Gespräche über Franz Werfel, begegnete Max Brod, der Kafkas Werk gerettet hatte.

1936 eröffnete er die Buchhandlung Zukunft. Ein Name, der Programm werden sollte - und dies weniger im Sinne eines säkularen Fortschritts, sondern in einem transzendentalen Sinne. Nachdem Menschen und Bücher im barbarischen Reich zu Asche gemacht worden waren, vergingen die Jahre, bis Schalom Ben­Chorin 1956 erstmals Deutsch­land besuchte. Und dann kam er wieder, suchte den Dialog Weil wir Brüder sind, wie ein späteres Buch von ihm heißen wird, gründet zusammen mit dem Theologen Heinz Gollwitzer die "Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen", wirkt in Tübingen und München als Gastdozent. Hohe Ehrungen haben sein Schaffen gewürdigt: Leo­Baeck-Preis, Bundesverdienstkreuz, Buber-Rosenzweig-Medaille, Ehrendoktortitel, Es ist das Verdienst des Bleicher-Verlages, einen Strauß seiner Gedichte aus einer Zeitspanne von 1945 bis 1993 in der Anthologie Spurenlese. Deutschsprachige Autoren in Israel (Hg. Margarita Pazi) bewahrt zu haben.

In dem Essay Vorlass (Der Literat 7/8/1994) gibt Schalom Ben-Chorin in Bescheidenheit seiner Genugtuung darüber Ausdruck, dass eines seiner Gedichte "gleichsam ein Volkslied geworden ist und in der Vertonung von F. Baitruweit sogar in das Gesangbuch der Württembergischen Landeskirche aufgenommen wurde und mir aus tausend Kehlen im Laufe meiner Vortragsabende entgegenklang"

Freunde, dass der Mandelzweig
Wieder blüht und treibt,
Ist das nicht ein Fingerzeig,
Dass die Liebe bleibt.

"Was wird bleiben?", fragt er dann, "Ich habe das Gefühl, fast die Gewissheit: ein Buch und ein Gedicht. Das Buch heißt 'Bruder Jesus' und das Gedicht 'Das Zeichen' (Der Mandelzweig)."

Zur Erinnerung an Schalom Ben Chorin

hagalil.com 05-05-03


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