Zuhause in der
Muttersprache:
Der Brückenbauer Schalom
Ben-Chorin
Von Uwe Sauerwein
Sind die Juden Gottes
auserwähltes Volk? "Am segula", heißt es auf hebräisch in der Bibel,
sein "eigenes Volk" - was vor allem Pflichten nach sich zieht.
Mißverständnisse, die das Verhältnis zwischen Christen und Juden mit oft
tragischen Folgen belasteten, hat sich Schalom Ben-Chorin zum Thema
seiner Bücher gewählt. Der israelische Theologe füllt Wissenslücken auf
beiden Seiten; nicht nur deshalb gilt er als Protagonist der
christlich-jüdischen Verständigung.
Der Autor verfaßte alle seine
Werke in deutscher Sprache: "Aus einem Land kann man auswandern, aus
einer Muttersprache nicht." Als Ben-Chorin in
München zur
Welt kam, hieß er Fritz Rosenthal und war Sohn einer hochgebildeten und
wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Wo andere jüdische
Intellektuelle ihrer strenggläubigen Umgebung entflohen, ging der
15jährige den umgekehrten Weg: Er verließ sein aufgeklärtes Elternhaus,
um in einer orthodoxen Familie zu den Wurzeln des Judentums zu finden.
Dieses Wiederannähern an den eigenen Glauben mag eine Voraussetzung für
den Erkenntnisreichtum gewesen sein, den er in Veröffentlichungen wie
"Der unbekannte Gott" (1963) oder seinem jüngsten Werk "Die Erwählung
Israels" (1993) so einleuchtend zu vermitteln versteht.
Fritz Rosenthal studierte in
München Germanistik und Religionswissenschaft. Nachdem er von den Nazis
mehrmals verhaftet wurde, entschloß er sich 1935, Deutschland zu
verlassen. Als illegaler Einwanderer übersiedelte er nach Jerusalem und
nahm einen hebräischen Namen an: Ben-Chorin bedeutet "Sohn der
Freiheit". Er arbeitete als Journalist und Schriftsteller und gründete
1958 in Jerusalem eine reformierte Gemeinden und wurde Rabbiner der
El-Har-Synagoge. Viele seiner
Publikationen
thematisieren das Verhältnis zwischen Orthodoxie und liberalem Judentum.
Bereits 1956, lange bevor die
offiziellen Kontakte zwischen Deutschland und Israel hergestellt wurden,
kehrte Ben-Chorin auf Einladung der Münchner Israelitischen
Kultusgemeinde erstmals wieder in seine alte Heimat zurück. Es war der
Beginn unzähliger Deutschlandbesuche. In den sechziger Jahren
organisierte er mit seiner Frau Avital die ersten Austauschfahrten
deutscher und israelischer Jugendlicher, er lehrte nicht nur an der
Universität in Jerusalem, sondern auch an der dortigen deutschsprachigen
Hochschule sowie in Tübingen und München. 1961 war Ben-Chorin, der immer
wieder auf die jüdischen Wurzeln des Christentums hinwies, Mitbegründer
der "Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen" beim Evangelischen
Kirchentag.
Genießt der Brückenbauer zwischen
den Kulturen aufgrund seines Einsatzes für die Verständigung in
Deutschland hohes Ansehen, so ist er in Israel fast unbekannt. Hier
sieht man Schalom Ben-Chorin eher als Repräsentanten einer für immer
vergangenen Epoche.
Siehe auch:
Erinnerungen an
Schalom Ben-Chorin
haGalil onLine
23-08-2001 |