Boskovice 2001:
Kulturfestival in Mähren
Bereits zum 9. Mal
veranstaltete die Prager Vereinigung
Unijazz
Mitte Juli im mährischen Boskovice ein Kulturfestival, dessen Erlös der
Restaurierung jüdischer Denkmäler dieses einstigen Zentrums jüdischen
Geisteslebens gewidmet ist.
An vier Tagen wurden Ausstellungen internationaler Künstler und
Photographen, Rockgruppen aus dem In- und Ausland, Filmvorführungen mit
Schwerpunkt Neuer tschechischer
Film der 60. Jahre und Zeichentrickfilme der Filmhochschule Zlín
sowie Theateraufführungen aus ganz Europa zu sehen sein.
Daneben finden Dichterlesungen,
workshops
alternativer Kultur, aber auch normale Disco-Abende statt. Zum ersten
Mal war dieses Jahr ein Zelt am Campingplatz für Drogenberatung
reserviert.
Boskovice war eines des wichtigsten Zentren des Judentums in der
Donaumonarchie, in einer Reihe zu nennen mit Trebíc, Holesov oder
Tovacov. Es wirkten in oder stammten aus Boskovice z.B. der
Schriftsteller Hermann Ungar, der Rabbiner Abraham Placzko oder der
Augenarzt Albert Ticho, dessen für seine Kunstausstellungen, Konzerte
und Café bekanntes und beliebtes Haus
wohl jedem Jerusalem-Fahrer ein Begriff ist: seine Frau Anna war
Bezalel-Absolventin und eine der prominentesten Künstlerinnen
Israels.
Der Historiker Jaroslav Bránský beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit
der Geschichte von Boskovice. Seine verschiedenen Publikationen zum
Thema sind Standardwerke geworden; insbesondere sein 400-Seiten-Opus
Dejiny Zidu v Boskovicích (Geschichte der Juden in Boskovice, mit
deutscher und englischer Zusammenfassung) aus dem Jahre 1998 sollte
eigens hervorgehoben werden. Auch seine Verdienste um Hermann Ungar
sollten nicht unerwähnt bleiben, hat er doch das Gesamtwerk jenes auch
im deutschsprachigen Raum vernachlässigten Autors ins Tschechische
übersetzt und sukzessive veröffentlicht.
Daß in
Tschechien das Bewußtsein um die einstige kehila jetzt doch sehr
verbreitet ist, dürfte Bránskýs Werk sein. Gern führt er Besucher aus
der ganzen Welt durch das ehemalige Ghetto (Kontakt über
abras@abras.cz). Es ist ihm zu verdanken, daß die kommunistischen
Machthaber ihr Zerstörungswerk im jüdischen Viertel von Boskovice vor
der politischen Wende 1989 nicht vollständig realisieren konnten. Heute
trägt das Festival dazu bei, daß ein kleines jüdisches Museum in die
Geschichte einführt, daß immer mehr Mittel bereit stehen zur Renovierung
alter Bausubstanz und daß auch die Einheimischen sich mit der eigenen
Geschichte auseinandersetzen (können).
Eine Unzahl von Gaststätten lädt zum Verweilen ein, für Unterkünfte
aller Kategorien ist gesorgt, und auch die nähere Umgebung ist reizvoll.
Ein Schloß, fast direkt in der Stadt, und eine Burg (dort finden die
meisten Theateraufführungen statt) sind zu besichtigen, ebenso wie das
regionale Museum. Einer der besten Vinotheken von ganz Tschechien,
Alois Oujezský, zentral im Ghetto, lädt zur Verkostung ein:
einmalige Auswahl, wie sie im Land selbst nur noch die Prager
Präsidentschaftskanzlei zur Verfügung hat.
Weitere
Infos unter:
www.boskovice.cz
Boskovice liegt eine halbe Autostunde nördlich von Brünn. In Mähren
also, und da weiß keiner in Wien
so recht, wo zwischen Mosambique und der Mongolei das liegt, wiewohl so
gut wie alle wichtigen "Wiener" aus Mähren stammten, ob sie nun Freud,
Husserl, Loos oder Hofmann hießen.
Zum 10. und Jubiläums-Festival 2002 wollen sich die Veranstalter etwas
ganz Besonderes einfallen lassen. In Prag z.B. öffnen sie zweimal im
Jahr die Tore der Psychiatrischen Klinik für die Öffentlichkeit....
PV
haGalil onLine
01-08-2001 |