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Heinrich Richard Brinn:
Weniger wäre mehr gewesen

Von Jael Geis

Heinrich Richard Brinn (1874-1944). Fabrikant - Kunstsammler - Frontkämpfer, so der Titel des von Nea Weissberg-Bob und Thomas Irmer vorgelegten Buches, dokumentiert die Lebensgeschichte Heinrich Richard Brinns und die "Arisierung" der Lackfabrik Warnecke & Böhm, deren Leiter und Mitinhaber Brinn gewesen war. 

Denn Brinn war ein Fabrikant, Kunstsammler und Frontkämpfer jüdischer Herkunft. Er war als 21jähriger zum Protestantismus konvertiert und wurde von den Nationalsozialisten als Kind jüdischer Eltern wieder zum "Volljuden" erklärt. Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er als "Nichtarier" von seinem Kompagnon aus der gemeinsamen Firma gedrängt, zur Zwangsarbeit bei der Firma Stiebel Eltron gezwungen und schließlich nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz deportiert. Er kehrte nicht zurück.

Die Geschichte endet jedoch nicht mit Brinns letztem Lebenszeichen, einer Postkarte an seine Schwester aus dem "Arbeitslager Birkenau b. Neu-Berun in Oberschlesien" vom Januar 1944. Bei der Suche nach Bildern jüdischer KünstlerInnen der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts war die Autorin auf die ehemalige Haushälterin im Hause Brinn gestoßen, die im Besitz von Gebrauchs- und Kunstgegenständen der Brinns ist. Wie waren sie dorthin gekommen? Was wurde aus Restitutions- und Entschädigungsansprüchen der im März 1939 geschiedenen Witwe, die die Scheidung nach dem Krieg rückgängig machen ließ?

Eine Stärke des Buches besteht darin, die Geschichte beteiligter Personen und ihrer Beziehungen sowie die Geschichte des ehemaligen Eigentums von Heinrich und Eva Brinn, der zweiten Ehefrau von Heinrich Brinn, auch nach Kriegsende weiterverfolgt und so einen Einblick in die "Gegenwart von Vergangenheit" und die vielen Verbindungslinien zwischen persönlicher, politischer und Kunstgeschichte gegeben zu haben. Sie werden auch durch den Beitrag des israelischen Historikers Jacov Tsur, der mit dem selben Transport wie Brinn nach Auschwitz deportiert wurde, und den Hermann Simons zur Zwangsarbeit bei Warnecke & Böhm erhellt.

Das Buch schildert nicht nur das Leben des Protagonisten, seiner beiden Ehefrauen und seines Kompagnons, sondern auch das der Personen, mit denen Brinn zusammentraf, unter ihnen viele Künstler der Zeit. Ihre Kurzbiographien lesen sich zum großen Teil wie aneinander gereihte Lexikonartikel und stören oft den Erzählfluss. Wenn sie denn alle für notwendig befunden worden sind, wären sie besser im Anmerkungsapparat aufgehoben. Und bei so mancher Erläuterung habe ich mich gefragt, worin ihre Notwendigkeit besteht.

Die Leser finden Dokumente im Zitat und Wiedergabe dessen, was die Autoren in erster Linie von der ehemaligen Haushälterin erfahren oder selbst recherchiert haben. Zusätzlich sind zwei Erzählfiguren eingeführt, welche die Leser durch das Geschehen begleiten sollen. Diese "Erzählfiguren" sind deshalb so ärgerlich, weil sie ihre Funktion nicht erfüllen, d. h. kaum etwas Inhaltliches zum Buch beizutragen haben, der jüdischen wird wenig, der nicht-jüdischen wird schlicht nichts "in den Mund gelegt".

Und das, obgleich sie von den Autoren mit einem großen Anspruch eingeführt werden, nämlich beispielhaft für die "nach der Schoah" geborenen Nachkommen der Opfer und Überlebenden "des Mordes am jüdischen Volk" und für diejenigen Nachkommen der Täter und Zuschauer zu stehen, die sich mit dem Nationalsozialismus und der Massenvernichtung der europäischen Juden auseinandersetzen. Die Durchführung ist weniger als halbherzig. Ein allgemeiner Satz zur nachträglichen Wirkung der Massenvernichtung der Juden auf die Nachkommen der Opfer, zu der auf die Nachkommen der Täter und Mitläufer wird - bezeichnenderweise? - nichts gesagt, kann nicht ersetzen, sich als Autor in Beziehung zu der Geschichte zu setzen, die man erzählen will.

Ich hatte den Eindruck, dass die Erzählfiguren Deborah Mandelbaum und Karl Klein eingeführt wurden, damit die beiden Autoren, die sich hinter ihnen verbergen, nicht "ich" sagen und Stellung beziehen müssen. In diesem Eindruck sehe ich mich dadurch bestätigt, dass die Autoren sich jedes Urteils im Sinne von Erkenntnisergebnis enthalten. Hätten die Autoren den Schritt der Interpretation getan, so hätten sie sich wirklich als Nachkommen der Opfer und der Täter einbringen müssen, statt mit Belanglosigkeiten wie z. B. dem ersten Treffen von Deborah und Karl "bei einer Tasse Tee mit Honig" zu langweilen. Auch bei der Durchführung der guten Idee, die LeserInnen am Fortgang und an den Problemen der Recherche teilhaben zu lassen, bewegen sich die Autoren strikt an der Oberfläche und vergeben so einen spannenden Gegenstand. Trotz dieser Kritik: Die Geschichte ist bewegend genug, um ein großenteils spannendes Buch zu ergeben.

 hagalil.com / 08-05-2002

 


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