Die Frau im Tallit:
Judentum feministisch gelesen
Sich in den Tallit zu hüllen, den Gebetsmantel des betenden jüdischen
Menschen, war Frauen im Religionsgesetz zwar nie verboten. Aber das
Gewohnheitsrecht, oft härter und dauerhafter als die schriftlich fixierte
Norm, hatte ihn dennoch über weit mehr als tausend Jahre Männern
vorbehalten.
Den Titel des Buches, den die
Herausgeberinnen gewählt haben, verstehe ich darum als Ausdruck für das zentrale
Thema des jüdischen Feminismus: beide, Männer wie Frauen, standen einst
gleichrangig und gleichberechtigt am Sinai, beiden gehört darum die Würde der
Berufung zum Dienst, der den Daseinssinn des jüdischen Volkes ausmacht, und der
Gebet, Arbeit, Lehre und Leitung gleichermaßen einschließt. Nur in dieser
Einheit ist das jüdische Volk ganz.
Die Zürcherin Marianne Wallach- Faller,
ursprünglich Mediävistin, geboren 1942, hat sich seit den achtziger Jahren immer
intensiver der Reflexion und Diskussion dieser Erkenntnis gewidmet, im
innerjüdischen Bereich wie in der Diskussion insbesondere mit christlichen
Feministinnen und deren oft unreflektierten antijüdischen Tendenzen. Als
Mitglied der reformjüdischen Gemeinde Or Chadasch (Neues Licht) in Zürich hat
sie mit anderen Frauen auch Liturgien, Bibelauslegungen und Gebete erprobt. Als
sie 1997 plötzlich starb, hinterließ sie keinen systematisch ausgeführten
Beitrag zum jüdisch - feministischen Diskurs, jedoch eine große Zahl von
Aufsätzen, Referaten und Exegesen von Abschnitten der biblischen Tora. Aus der
Fülle haben Doris Brodbeck und Yvonne Domhardt eine Auswahl von 34 kostbaren
Texten zusammengestellt und herausgegeben, auf die ich nicht nachdrücklich genug
aufmerksam machen kann. Einführende Geleitworte und bibliographische Anhänge
kommen hinzu.
Die Herausgeberinnen haben das Buch in
sechs Abschnitte gegliedert:
1. Jüdisch - christlicher Dialog und
Antijudaismus - Diskussion
2. Stellung der Frau im Judentum
3. Jüdisch - feministische Liturgien
4. Allgemeine biblische Themen aus Frauensicht
5. Referate zu biblischen Frauengestalten
6. Auslegungen zu Wochenabschnitten der Tora.
Schon die Nennung dieser Überschriften
zeigt, daß die Lektüre dieses Buches für jedes Bemühen um ein tieferes
Verständnis des Judentums und insbesondere für die Belebung des
jüdisch-christlichen Dialog unverzichtbar ist. Es lehrt nicht nur, Judentum
feministisch zu lesen. Weit mehr: es kann, in seiner zugleich klaren und warmen
Sprache, Frauen wie Männer, jüdische und andere, tiefer an jene Quellen des
Lebens heranführen, die im jüdischen Erbe noch zu erschließen sind.
Prof. Dr.
Felice-Judith Ansohn, Berlin
Leseproben:
Ein jüdisch-feministischer Midrasch zu
den Jamim Noraim:
Für eine Versöhnung
mit Lilith
Channa - über einen vergessenen Midrasch zu Chanukka
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Marianne Wallach-Faller, Die Frau im Tallit. Judentum feministisch
gelesen. Herausgegeben von Doris Brodbeck und Yvonne Domhardt.
Chronos-Verlag Zürich 2000
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haGalil onLine 27-04-2001 |