10 - 20. Juni 2001:
7th Berlin Jewish Film Festival
1995 fand das erste jüdische Film Festival in Zusammenarbeit mit der Jüdischen
Volkshochschule im Kino Arsenal statt. Mittlerweile ist das jüdische
Filmfestival eine Institution geworden und präsentiert vom 10.-20. Juni wiederum
ein facettenreiches Programm mit knapp zwanzig Filmen aus 11 Ländern im Kino
Arsenal– viele davon Deutschlandpremieren. Wie bereits in den letzten Jahren
können wir auch in diesem Jahr wieder viele Regisseure und Hauptakteure der
Filme in Berlin anläßlich der Aufführung ihrer Filme willkommen heißen.
Das Festival wird von Matej Minacs Spielfilm VSICHNI MOJI BLIZCI (All My
Loved Ones; Tschechien, Slowakei, Polen 1999) in Anwesenheit des Regisseurs und
Nicholas Wintons eröffnet, auf dessen Lebensgeschichte der Film beruht. Als
englischer Börsenmakler rettete Winton 1939 über 700 tschechische jüdische
Kinder. Aus der Sicht eines der geretteten Kinder beschreibt der Film das Leben
einer jüdischen Familie im von den Deutschen besetzten Prag. (10.6.)
Prag ist auch Ausgangspunkt in Amir Bar-Levs Dokumentarfilm FIGHTER (USA
2000), dem beeindruckenden Porträt zweier Holocaust-Überlebender: Arnost Lustig
und Jan Wiener. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs unternehmen sie gemeinsam
eine Reise auf den Spuren ihrer Flucht durch Europa. Während ihrer Fahrt zeigt
sich, wie unterschiedlich die Erinnerungen der engen Freunde an diese Zeit sind.
Ihre jahrzehntelange Freundschaft – die gebürtigen Prager begegneten sich 1978
zum ersten Mal – wird auf eine harte Probe gestellt. (11. & 20. 6., am 11.6. in
Anwesenheit von Arnost Lustig)
LA VÉRITÉ SI JE MENS (Die Wahrheit, wenn ich lüge; 1997) ist der Titel der
Komödie von Thomas Gilou, über den Nichtjuden Eddie, der im
nordafrikanisch-jüdischen Konfektionsviertel von Paris arbeitet und
"versehentlich" für einen Juden gehalten wird. Nachdem es zu spät ist, den
Irrtum aufzuklären, sieht sich Eddie auf einmal vollbeschäftigt: verstrickt in
"Familie" und verliebt in die Tochter seines Chefs. (11.6.)
Arnon Goldfingers HAKOMEDIANTIM (Die Komödianten, 1999) erzählt die
Geschichte des Tänzers, Sängers und Schauspielers Pesach’ke Burstein, der Anfang
des 20. Jahrhunderts im Alter von 14 Jahren von zu Hause ausriß, um sich einer
jüdischen Theatergruppe anzuschließen. 1924 zog er nach New York und wurde
zusammen mit seiner Frau Lillian Lux Mittelpunkt des jiddischen Theaters. In den
Erzählungen von Lillian Lux, sowie von Kollegen und Zeitgenossen wird die
Geschichte der "Bursteins" wieder lebendig und eröffnet einen Einblick in die
kurze, stürmische und großartige Zeit des populären jiddischen Theaters. (12. &
20.6., am 12.6. in Anwesenheit von Arnon Goldfinger, )
Henryk M. Broder und sein Ko-Regisseur Frans van der Meulen sind in ihrem Film
SOLL SEIN – JIDDISCHE KULTUR IM JÜDISCHEN STAAT
(1984–92) dem Phänomen "Jiddisch" in Israel nachgegangen. Jiddisch wird
dort noch von einer Viertelmillion Menschen als Umgangssprache benutzt, meist
älteren Einwanderern aus Osteuropa und streng religiösen Juden, den sogenannten
Haredim. Es gibt eine jiddische Tageszeitung (wahrscheinlich die letzte
überhaupt weltweit), drei Wochenzeitungen, eine erstaunlich große Anzahl von
Periodika und zahlreiche Theatergruppen (Unterhaltung heißt auf jiddisch
"Verweilung"), die rührend naive Volksstücke aus dem jiddischen Milieu
aufführen, die immer ein Happy End haben. Soll sein … (12. 6., zu Gast: Henryk
M. Broder)
Die Filme des vielfach preisgekrönten Installationskünstlers, Autors und
Regisseurs Alan Berliner sind ironische und selbstironische, nachdenkliche und
komplexe, dramatische und persönliche Porträts seiner Familie. In
NOBODY’S BUSINESS (USA 1996) versucht Berliner, seinen Vater und dessen
Lebensgeschichte zu porträtieren. Dieser jedoch hält seine Geschichte und die
seiner Familie für vollkommen belanglos und nicht weiter erwähnenswert. Nur auf
Umwegen kann der Sohn seinen Vater dazu bewegen, Einzelheiten preiszugeben.
Auch in INTIMATE STRANGER (1991), in dem es um Alan Berliners Großvater
und die Familie seiner Mutter geht, werden auf kunstvolle Weise
Familiengeheimnisse ans Tageslicht gebracht und Spuren verfolgt, die in die
Geschichte des vergangenen Jahrhunderts hineinreichen. In
THE SWEETEST SOUND (2001) erweitert Berliner seine Spurensuche auf
verblüffende Weise: nach Namensvettern forschend, gelingen ihm interessante
Funde und Einsichten. Was als Suche nach Identität beginnt, geht über in eine
Meditation über die Sterblichkeit. Am Ende läßt Berliner uns mit einem größeren
Verständnis für die Macht und die Magie zurück, die in einem Namen liegen, und
dafür, wie unsere Identität unweigerlich davon geformt wird, wie wir uns nennen.
(13.6., zu Gast: Alan Berliner)
Am Sonntag, den 17. Juni, wird der russische Filmkritiker Miron M. Chernenko
zwei sowjetische Filme vorstellen. Im Nachmittagsprogramm läuft
ISKATELI SCHTSCHASTJA (1936) von Wladimir Korsch-Sablin, in dem der
berühmte jüdische Schauspieler Viniamin Süskin einen Mann spielt, der sich auf
der Suche nach dem Glück in die jüdisch-russische Republik Birobidjan begibt.
Doch seine Träume gehen nicht in Erfüllung. Michail Romms
METSCHTA (Der Traum, 1943) spielt in Ostpolen, kurz vor dem Einmarsch
der Roten Armee. Schauplatz ist ein heruntergekommenes Hotel, in dem Polen,
Ukrainer und Juden leben. Armut und Antisemitismus beherrschen die Atmosphäre.
Das Schicksal der Hotelgäste und der Besitzerin ist ungewiß.
Molly Picon, der große Star des jiddischen Theaters und Films spielt in Sidney
M. Goldins
OST UND WEST (Österreich 1923) die Tochter eines aus Galizien stammenden
und nach Amerika ausgewanderten Geschäftsmannes. Anläßlich einer Hochzeit kehrt
er in sein Heimatdorf zurück. Dieser Gang in die umgekehrte Richtung – von West
nach Ost – ist für das ‚all american girl‘ Molly Picon mit Komplikationen
verbunden. Sie stört die Hochzeit ihres Cousins, nur um später selbst – aus
ihrer Sicht spaßeshalber – unter den Baldachin zu treten. Doch die Hochzeit ist
rechtskräftig … Der Film wird von Jossif Gofenberg am Klavier und Semen
Vinogradov (Flöte) begleitet. (17.6.)
Publikumserfolg des diesjährigen Panoramas der Berliner Filmfestspiele war der
argentinische Kurzfilm
EL SEPTIMO DIA von Gabriel Lichtmann: In einer Synagoge in Buenos Aires
soll eine Bar Mitzwah stattfinden. Alles ist vorbereitet und langsam treffen die
ersten Gäste ein. Doch die alltäglichen Probleme der Stadt fordern ihren Tribut:
die Großeltern stecken im Stau, die Stromversorgung bricht zusammen, und die
Sicherheitskräfte nehmen ihren Job etwas zu ernst …
Auch der argentinische Spielfilm ESPERANDO AL MESIAS (Warten auf den
Messias, 2000) von Daniel Burman spielt vor dem Hintergrund des jüdischen Lebens
in Buenos Aires. Nachdem eine Bank zahlungsunfähig wird, muß der junge Ariel
sein Leben radikal ändern, und auch für einen Bankangestellten ist der Bankrott
der Bank eine Katastrophe. Zwei Menschen, die ihre desolate Situation überwinden
möchten, aber nur zu kleinen Schritten der Veränderung in der Lage sind, und
eigentlich nur hoffen, daß das im Titel angekündigte Wunder geschieht. (18.6.)
Seit Jahren bemühen wir uns um diesen Film! 1998 forderte der Produzent Unsummen
an Leihgebühren, 1999 war die Kopie nicht mehr frei. In diesem Jahr können wir
dem Berliner Publikum endlich die turbulente Komödie
L’HOMME EST UNE FEMME COMME LES AUTRES (Man is Woman / Der Mann ist
eine Frau wie die anderen, F 1998) von Jean-Jacques Zilbermann präsentieren. Im
Mittelpunkt stehen der zynische Pariser Jazzmusiker Simon und die schöne
Sängerin jiddischer Lieder Rosalie, die sich für den Mann ihrer Träume aufspart.
Als Rosalie Simon zum ersten Mal sieht, ist ihre Wahl getroffen. Doch Simon
interessiert sich eher für seinen Cousin. Plötzlich jedoch scheint für Simon die
Ehe mit Rosalie nicht mehr ausgeschlossen, schließlich müssen die Eltern
beruhigt werden. Das Desaster zeichnet sich ab. (18. & 21.6.)
ANIKO (Hannah Senesh: The Mission Home, Ungarn 2000) von Gábor Dénes erzählt
die Geschichte der in Ungarn geborenen jüdischen Dichterin Hannah Senesh, die
1944 im Alter von 23 Jahren im Zuge einer heimlichen Rettungsaktion mit dem
Fallschirm über Jugoslawien absprang, dann jedoch aufgegriffen und ermordet
wurde. Im heutigen Israel genießt sie einen geradezu legendären Ruf. Der Film
stützt sich auf bisher unbekanntes Archivmaterial und Interviews mit Freunden.
Es ist das persönliche Porträt einer jungen Frau, von ihrer Studienzeit in
Ungarn bis zu ihrem Übertritt zum Zionismus. (19.6.)
Im Anschluß läuft EMMA GOLDMAN: THE ANARCHIST GUEST (Kanada 2000) von
Coleman Romalis, in dessen Mittelpunkt die berühmte jüdische Feministin und
Anarchistin Emma Goldman steht, deren Abneigung gegen Autoritätsgläubigkeit sie
am liebsten mit dem Satz ausdrückte: "Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht
meine Revolution.". Der amerikanische Präsident Hoover sah in ihr die
"gefährlichste Anarchistin Amerikas". 1926 wurde sie des Landes verwiesen und
verbrachte ihr weiteres stürmisches Leben in Rußland, Spanien und
Großbritannien, bevor sie sich schließlich in Kanada niederließ. (19.6.)
Miriam Chaya und Judith Montells beschreiben in ihrem Film TIMBRELS AND
TORAHS (USA 2000) die Tendenz mehr und mehr jüdischer Frauen, dazu
überzugehen, Rituale zu finden oder wiederzuentdecken, die ihren Bedürfnissen
entgegenkommen. Eines davon ist die Feier des 60. Geburtstages, als "Simchat
Chochma" (Weisheitsfeier), ein Anlaß, auch Frauen mit dem Kontext jüdischer
Spiritualität und der Sehnsucht nach einer Gemeinschaft zu verbinden, in der sie
voll anerkannte Mitglieder sind.
WOMEN OF THE WALL schildert die Situation der Frauenrechte und des
religiösen Pluralismus in Israel. Bis vor kurzem war es Frauen untersagt, an der
Klagemauer in Jerusalem die Thora zu öffnen oder laut zu singen. Erst im Mai
2000 erlaubte dies der Oberste Gerichtshof. Regisseurin Lederman liefert in
ihrem Film Einblicke in die Auseinandersetzung jüdischer Frauen und geht der
Frage nach, was es in Israel bedeutet, ein progressiver religiöser Jude zu sein.
(19.6.)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tel: 269 55 100
Termine des Filmfestivals
Jüdisches Leben in Berlin
haGalil onLine
07-07-2001 |