Frauen im
Nationalsozialismus (I):
"Der Mut zum Überleben"
Von Andrea
Übelhack
"Ich packe,
weil sie dir sonst die Oberarztstelle wegnehmen. Und weil sie dich schon
nicht mehr grüßen in deiner Klinik, und weil du nachts schon nicht mehr
schlafen kannst. Ich will nicht, daß du mir sagst, ich soll nicht gehen.
Ich beeile mich, weil ich dich nicht noch sagen hören will, ich soll
gehen. Das ist eine Frage der Zeit. Charakter, das ist eine Zeitfrage."
Worte des
Abschieds einer jüdischen Frau an ihren "arischen" Mann. Auch wenn es
sich dabei um eine Szene aus Berthold Brechts Theaterstück "Die jüdische
Frau" handelt, beschreiben sie treffend eine typische Entscheidungs- und
Gewissensfrage in der Zeit des Nationalsozialismus.
Anders als in
Brechts Stück, standen jüdische Frauen jedoch bisher nicht im
Mittelpunkt der Holocaust-Geschichte. Gender Studies haben seit langem
Konjunktur, nur im Bereich der Forschung zum Nationalsozialismus haben
sie erst spät,und verstärkt in den letzten Jahren, Einzug gehalten.
Seitdem gibt es eine wachsende Zahl von Studien zu
geschlechterspezifischen Fragen, die das Schicksal von Frauen im
Nationalsozialismus untersuchen.
Darunter ist
auch Marion Kaplans "Mut zum Überleben", aus dem das Brecht-Zitat
stammt. Die Autorin, die an der City University of New York lehrt, ist
durch ihr Werk
"Jüdisches Bürgertum. Frau, Familie und Identität im Kaiserreich",
das 1991 im Original und 1997 in deutscher Übersetzung erschien, bekannt
geworden.
In ihrem
Vorwort schreibt Marion Kaplan, daß es für sie die schwerste aller
Arbeiten war, über die Zeit des Nationalsozialismus zu forschen, was mit
der eigenen Familiengeschichte zusammenhängt. Sie selbst wurde erst nach
Ende des Krieges, im Januar 1946 geboren. Ihre Eltern waren Flüchtlinge
aus Nazideutschland; die Mutter hatte Deutschland bereits 1936
verlassen, der Vater floh 1939 über Holland in die USA. Auch die
Großeltern konnten das Land rechtzeitig verlassen, die anderen
Verwandten, alle Onkels und Tanten, kamen jedoch um. Ein sehr
persönliches Statement zu Beginn einer Forschungsarbeit, ein
persönliches Motiv, das die Autorin nicht verheimlichen möchte, der
objektiven Forschung jedoch keinen Abbruch tut.
Marion Kaplan
siedelt ihr Buch methodisch an einer Schnittstelle zwischen
Frauengeschichte, jüdischer Geschichte und allgemeiner deutscher
Geschichte an. Dabei stellt sich die Frage, in wie weit alle diese
Aspekte ausreichend berücksichtigt werden können. Tatsächlich bildet die
Frauengeschichte den überwiegenden Teil. Sie ermöglicht den Blick auf
die private Seite, auf die Alltagsgeschichte und zeigt besonders
deutlich den "sozialen Tod" der deutschen Juden.
Der soziale Tod
bildet für Kaplan die entscheidende Voraussetzung für die physische
Vernichtung der Juden. Sie schildert daher eindrucksvoll
Alltagssituation von Juden in Nazideutschland, die von Gefühlen der
Angst und Hoffnung bestimmt sind. Dementsprechend lauten die
Grundfragen: "Was war es für ein Gefühl, Jüdin oder Jude in
Nazideutschland zu sein? Wie gestaltet sich das jüdische Leben in
Deutschland nach 1933? Warum haben die Juden Deutschland nicht eher
verlassen? Wie verhielten sich die nichtjüdischen Deutschen, und was
wussten sie von dem, was sich in ihrer Mitte abspielte?" (S. 11)
Marion Kaplan
schreibt aus Perspektive der jüdischen Opfer, was bisher eher selten
geschehen ist. Bis heute gibt es keine allgemeine Geschichte der
Alltagserfahrungen von Juden im Dritten Reich. Das liegt jedoch auch an
der problematischen Quellensituation, denn nur persönliche Erinnerungen
können Auskunft über Alltagssituationen geben.
Auch Marion
Kaplans Arbeit basiert auf Memoiren, Interviews, Tagebucheinträgen und
Briefen, wobei die Problematik dieser Quellengattung nur am Rande
erwähnt wird. Kaplan gibt beispielsweise zu bedenken, daß die Jahre vor
1938 im Rückblick und mit dem Wissen, was später noch kam, oft
unverhältnismäßig positiv dargestellt sind. Weiter geht sie jedoch nicht
auf die Probleme der Quellengattung ein. Sie enthält dem Leser in diesem
Zusammenhang auch die nötigen Informationen zurück, um die Memoiren
richtig einordnen zu können. Welche Frauen schrieben die Erinnerungen?
Welcher sozialen Schicht gehörten sie an? Weshalb wurden die
Erinnerungen aufgezeichnet? Kaplan selbst spricht ein anderes Problem
der Quellengattung an: "Erinnerungen sind selektiv. Nur solche Frauen,
die ein hinreichendes Selbst- oder Geschichtsbewußtsein entwickelt
hatten, verfassten Memoiren." (S. 20)
Der Leser muß
auf eine Sensibilisierung für den Umgang mit Erinnerungen und einen
entsprechend veränderten Forschungsansatz verzichten, wie bereits bei
Kaplans "Jüdisches Bürgertum". Die Vorteile der auf Memoiren basierenden
Frauen- und Alltagsgeschichte liegen dagegen klar auf der Hand. Sie
ermöglichen eine besonders gute Darstellung des Unterschiedes und der
Spannungen zwischen Normalem und Anormalem in Nazideutschland. Das
Netzwerk sozialen Lebens wird in den Memoiren dabei als lebenswichtiger
Schutz geschildert.
"Das Buch wird
dann seine Aufgabe erfüllt haben, wenn seine Leserinnen und Leser sich
vorstellen können, wie verwirrend die sogenannten deutlichen Anzeichen
vor 1938 waren, und wenn sie die vielfältige - und auch
geschlechtspezifische - Art und Weise erkennen, in der die Opfer
versuchten, ihre Familien, ihre Gemeinschaft und letztlich - häufig ohne
Erfolg - ihr Leben zu retten." (S. 31) Und das schafft das Buch
tatsächlich, anhand zahlreicher Beispiele.
Marion Kaplan
teilt ihre Arbeit sowohl thematisch wie auch chronologisch ein. Einem
ersten großen Abschnitt über Juden in der Öffentlichkeit und das
Ausgestoßenwerden bis zum Novemberpogrom schließt sich das Pendant über
das alltägliche Leben jüdischer Frauen und ihrer Familien bis 1938 an.
Vor dem eigenen Kapitel zur "Reichskristallnacht" 1938 werden jüdische
und "gemischte" Familien, sowie das Alltagsleben von Kindern und
Jugendlichen ausführlich untersucht. Das Novemberpogrom stellt eine
deutliche Zäsur in der Alltagsgeschichte der deutschen Juden dar. Das
folgende Kapitel über die Kriegsjahre kann daher nur von einer steten
Verschlechterung der Situation berichten. Zwangsarbeit und Deportation
finden ebenso Erwähnung wie das im letzten Kapitel behandelte Schicksal
von Juden, die sich im Untergrund versteckten.
Die Forschung
von Marion Kaplan hat ergeben, daß Frauen in den Memoiren weitaus
häufiger vom Verlust der sozialen Kontakte sprechen, was auch daran
liegen könnte, daß sie konkret davon mehr betroffen waren, da sie nicht
arbeiteten. Die Familie wurde dadurch zum Zufluchtsort. Doch bald
änderte sich auch dieser Alltag. Frauen mußten fortan nicht nur ihre
traditionelle Rolle weiter tragen, sondern auch neue, zusätzlich
Aufgaben übernehmen. Nachdem die Männer ihre Arbeit verloren hatten,
gingen jüdische Frauen auf Arbeitssuche. Sie hielten die Familien
zusammen und kümmerten sich gleichzeitig um Ausreisepapiere,
Lebensmittel und die Kindererziehung. Dabei kam es zu einer radikalen
Umkehrung der Geschlechterrollen.
Interessanterweise kam es unter den Nationalsozialisten zu einem
regelrechten Rollentausch. Während deutsche/"arische" Frauen in ein
Hausfrauen/Mutter-Schema gedrängt wurden, waren jüdische Frauen
gezwungen, das patriachalische System zu durchbrechen, da sie die
Aufgaben ihrer Männer übernehmen mußten.
Dabei drängt
sich die Frage auf, ob Marion Kaplans Beispiele aus den Memoiren
tatsächlich als allgemein gelten können. Ob Frauen tatsächlich die
Familie zusammenhielten, ob Frauen tatsächlich die Bürde einer niederen
Arbeit im Exil besser trugen? Ob Frauen tatsächlich bei Deportationen
weniger selbstloser handelten und die Kinder oder die kranke Mutter
wohlwissend ins Gas begleiteten?
In ihrem
Schlußwort geht Marion Kaplan auf die Frage nach den Tätern ein. Es
gebe, so Kaplan, die verschiedensten Erklärungsansätze zur
Massenvernichtung der Juden: "Einige Historiker haben das Verhalten der
Deutschen angesichts der Verfolgungen und Ermordungen ihrer jüdischen
Mitbürger weniger als Folge antisemitischer Vorurteile, sondern als eine
Kombination von autoritärer Mentalität und moralischer Apathie
gedeutet." (S.332) Andererseits gebe es die These Daniel Goldhagens vom
"eliminatorischen Antisemitismus", der allen Deutschen ureigen sein
soll. Kaplan widerspricht beiden Thesen.
Sie läßt keinen
Zweifel daran, dass viele Deutsche eine aktive und eben keine passive
Rolle in der Judenverfolgung spielten. Andererseits müsse man
unterscheiden: "Der Wunsch, die Juden mögen "verschwinden", ist mithin
nicht das gleiche wie die Billigung des Völkermordes." (S.332) Kaplan
sieht den Weg keineswegs vorbestimmt, Hinweise auf den Völkermord sucht
man in den 30er Jahren vergeblich: " Was die dreißiger Jahre uns zeigen,
ist, wie gefährlich Rassismus ist, wie er die Täter ebenso herabsetzt
wie die Opfer zerstört, und wie der soziale Tod letztlich zum physischen
Tod führen kann." (S. 333)
Als Fazit ihrer
Arbeit läßt sich zusammenfassen, daß dieser Rassismus bei den
Geschlechtern unterschiedlich zum Tragen kommt. Von Beginn an hatten es
die Nazis auf jüdische Männer abgesehen. Allerdings wurden auch Frauen,
wenn auch selten, in der Öffentlichkeit mißhandelt. Nach 1941 erfuhren
beide Geschlechter die gleiche schonungslos brutale Behandlung. Ein
wesentlicher Unterschied zeigt sich in den Reaktionen und
Überlebensstrategien der deutschen Juden. Frauen reagierten früher auf
die Bedrohung, drängten auf Auswanderung und fügten sich in ihre neue
Rolle ein. Frauen mußten zudem die größere Last tragen und die Familien
zusammenhalten.
Als letztes sei
auf eine Bemerkung im Vorwort hingewiesen. Marion Kaplan schreibt, daß
eine ihrer Freundinnen zu bedenken gab, ob sie die Frauen nicht als zu
tapfer darstellen würde. Kaplan weist das zurück, denn die Würde und
Tapferkeit spreche nicht aus der Darstellung in den Memoiren, sondern
aus den Handlungen der jüdischen Frauen selbst: "Auch wenn jüdische
Frauen mit ihrer Überlebensarbeit nur sehr begrenzt Erfolg hatten, weil
viel zu viele Juden Opfer des Nazivölkermordes wurden, gelang es ihnen
doch zumeist, trotz ihrer eigenen Verzweiflung jene "heldenhaften und
tapferen" Frauen zu bleiben, die die jüdische Mythologie feiert." (S. 9)
Kaplan könnte die Quellen für sich sprechen lassen, wenn sie das in
ausreichendem Maß bestätigen, wäre dieser Satz unnötig. So drängt sich
dem Leser, wie auch der Freundin der Autorin, das Gefühl auf, Marion
Kaplan mystifiziert das Andenken jener Frauen.
haGalil onLine 25-09-2001 |