
Jüdische Gedenkstätten:
Museum in der Mikwe
In der fast vergessenen Geschichte der deutschen Hofjuden spielte Halberstadt
eine bedeutende Rolle, die dort seit kurzem erforscht und dokumentiert wird. Nun
steht das Projekt vor dem Aus.
Von Karen Andresen
Erschienen in Spiegel online, 10.11.2002
Es ist das letzte Foto, das Lillyan Rosenberg, geborene Cohn, von ihren Eltern
besitzt. Zusammen mit Sohn Werner haben sich Ernst und Margarethe Cohn auf dem
Bahnhof von Halberstadt eingefunden, um die 11-Jährige zu verabschieden. Gefasst
gucken die vier in die Kamera. Niemand lächelt, niemand winkt. Man schreibt Juli
1939. Lillyan ist auf dem Weg nach England. Auch den vier Jahre älteren Werner
können die Eltern noch mit einem der Kindertransporte auf die Insel in
Sicherheit bringen. Sie selbst finden keinen Zufluchtsort mehr und werden 1942
von den Nazis nach Polen deportiert und ermordet.
Das Abschiedsbild der Cohns hängt heute im Jüdischen Museum von Halberstadt.
Lillyan Rosenberg hat es dem Museum ihrer Geburtsstadt zusammen mit anderen
Familienfotos zur Verfügung gestellt. Demnächst könnten die Erinnerungsstücke
der New Yorkerin auf peinliche Art retour gehen: Dem Jüdischen Museum und der
dazugehörigen Moses Mendelssohn Akademie drohen die Schließung. Weder die Stadt
noch das Land Sachsen-Anhalt wollen die fixen Kosten für die Einrichtungen -
etwa 200.000 Euro jährlich - übernehmen.
Geschäftsführerin Jutta Dick und eine weitere Mitarbeiterin sind schon gekündigt
worden. Damit könnte ein Projekt scheitern, das weit mehr ist als eine
Gedenkstätte für eine von den Nazis zerstörte jüdische Gemeinde. In Halberstadt
wird auch ein außerhalb der historischen Fachwelt weithin unbekanntes Kapitel
der Geschichte des Absolutismus und der preußischen Toleranzpolitik
eindrucksvoll dokumentiert - personifiziert vor allem durch den Finanzberater
und Hofjuden Berend Lehmann, dessen diplomatischem und finanziellem Geschick es
der sächsische Kurfürst August der Starke zu verdanken hatte, dass er den
polnischen Thron beisteigen konnte.
Immer neue Sondersteuern für die Juden
Lehmann, nach dem das Museum auch benannt ist, wurde 1661 in Halberstadt
geboren. In der Ortschaft am Harz genossen die Juden seit dem 13. Jahrhundert
Siedlungsrecht, vor allem weil Bischöfe, Stadtväter und Kurfürsten ihre klammen
Kassen gerne mit dem Verkauf von Schutzbriefen und immer neuen Sondersteuern für
die jüdischen Bewohner aufbesserten. Im Museum wird das mit dem kurfürstlichen
"Generalgeleit" für die Halberstädter Juden dokumentiert.
Sicher ist das Leben der jüdischen Bewohner der Domstadt dennoch nicht. Immer
wieder werden sie vertrieben. Behrend Lehmann ist acht Jahre alt, als wieder
einmal die Synagoge von den Ständen der Stadt zerstört wird. Stolz prägen die
Vandalen das Datum ihrer Tat - den 18. März 1669 - in den von ihnen benutzten
Hammer. Das corpus delicti ist erhalten und im Museum ausgestellt, nebst dem
Beschwerdebrief der Jüdischen Gemeinde an den Großen Kurfürsten. Der preußische
Landesherr gibt der Gemeinde Recht und verurteilt die Stadt zu Schadenersatz.
Als Finanzberater an den Fürstenhöfen von Preußen, Dresden und Hannover bringt
es Rabbinersohn Lehmann zu Ansehen und Reichtum. Gleichzeitig wird er für Juden
und Christen zu einem der bedeutendsten Mäzene seiner Heimatstadt - bekannt auch
weit über die Stadtgrenzen hinaus. So lässt er den Talmud drucken und kostenlos
an jüdische Gemeinden in ganz Deutschland verteilen. Unter den Halberstädter
Ausstellungsstücken sind die erhaltenen Talmud-Bände ein besonderes Kleinod.
Als Lehmann 1730 stirbt, ist die Jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt mit 192
Familien - das sind etwa 1000 Personen - größer als die in Berlin. Doch anders
als ihr Wohltäter sind die meisten Juden arme Leute. Oftmals sind sie sogar so
mittellos, dass Lehmann das Geld für die Schutzbriefe übernehmen muss. Ihre
Wohnungen haben sie im Schatten des gotischen Doms in der Halberstädter
Unterstadt.
Einblicke in die deutsch-jüdische Geschichte
Gerade dieses Armenquartier hat Krieg, Zerstörung und die Kahlschlagspolitik der
DDR-Oberen einigermaßen überstanden. Zwar wurde das Wohnhaus Berend Lehmanns
1985 abgerissen - nur das Portal und ein Foto sind noch vorhanden; die prächtige
Barocksynagoge war schon in der Nazi-Zeit geschleift worden. Dennoch ist im
ehemals jüdischen Quartier noch so viel Authentisches erhalten und restauriert,
dass hier deutsch-jüdische Geschichte eindrucksvoll erwandert und besichtigt
werden kann.
In der von Berend Lehmann gestifteten Klaussynagoge hält heute die Moses
Mendelssohn Akademie Seminare und Vortragsveranstaltungen ab. Das Jüdische
Museum hat seinen Sitz im ehemaligen rituellen Frauenbad, der Mikwe. Im Hof
davor stehen Reste der zerstörten Synagoge. Von den beiden nahe gelegenen
Friedhöfen hat einer den Nationalsozialismus unversehrt überstanden.
Schon zu DDR-Zeiten hatten sich Halberstädter Bürger um das jüdische Erbe ihrer
Stadt gekümmert, hatten mit Emigranten wie dem letzten Rabbiner Hirsch Benjamin
Auerbauch korrespondiert und die Friedhöfe gepflegt. Nach der Wende bemühten sie
sich um eine den historischen Stätten angemessene Nutzung, nachdem Friedhof,
Synagoge und Mikwe an die Jewish Claims Conference (JCC) zurückgegeben worden
waren.
Es gelang ihnen, Raphael Nussbaum, einen ehemaligen Halberstädter, als
finanziellen Mitstreiter zu gewinnen. Gebäude und Grundstücke wurden der JCC
abgekauft und in eine Stiftung eingebracht. Für die Restaurierung der Gebäude
gab es öffentliche Fördermittel. Als Gründungsdirektor gewannen Stadtverwaltung
und Stifter Julius Schoeps, der in Potsdam an der Universität Neuere Geschichte
unterrichtet und dort auch das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische
Studien leitet. Der Historiker hatte in den neunziger Jahren bereits das
Jüdische Museum in Wien konzipiert.
Hoffnungspunkt gegen rechte Gewalt
Mit einer Vortragsreihe über deutsch-jüdische Geschichte wurde 1995 die
Halberstädter Moses Mendelssohn Akademie eröffnet. Im September 2001 folgte -
als eine Art Zweigstelle - das Berend Lehmann Museum. Inzwischen gehören das
Fachwerkhaus an der Judenstraße und die nahe gelegene Akademie zu den
meistfrequentierten Attraktionen der Harz-Stadt. Vor allem Schulklassen aus der
näheren und weiteren Umgebung machen von dem Angebot regen Gebrauch - kein
geringer Erfolg in einem Land, das immer wieder durch kahlköpfige Schläger und
rechtsextreme Wähler von sich reden macht. Halberstadt sei ein Hoffnungspunkt
gegen die Gewalt von rechts, lobte denn auch vor vier Jahren der damalige
Ministerpräsident Reinhard Höppner.
Dennoch führen die politisch Verantwortlichen in Halberstadt und Magdeburg ihre
Mittel in den letzten Jahren kontinuierlich herunter. Haben Stadt und Land 1999
noch 92.500 Euro beigetragen, so waren es ein Jahr später nur noch 76.250 Euro.
Für April 2002 bis Ende März 2004 stellt das Kultusministerium 110.000 Euro in
Aussicht - zweckgebunden an ein Projekt über Tagebücher von
Holocaustüberlebenden. Woher aber die Kosten für den regulären Betrieb kommen
sollen, ist unklar. Sie zu gewährleisten, sei Sache der Stiftung, argumentiert
das Magdeburger Kultusministerium. In der Praxis hieße das, Museum und Akademie
müssten ihre Kosten selbst einspielen. Für Gründungsdirektor Schoeps eine
absurde Idee: "Sollen Schüler künftig 25 Euro Eintritt zahlen?"
Dass die Forschungs- und Gedenkstätten überhaupt so lange ohne gesicherte
finanzielle Grundlage über die Runden kamen, verdanken sie Manfred Wolff. Der
Vermögensverwalter des inzwischen verstorbenen Raphael Nussbaum war immer wieder
eingesprungen, wenn das Geld knapp wurde. Inzwischen jedoch fühlt Wolff sich
ausgenutzt. Statt ein eigenes Konzept zu entwickeln, um Museum und Akademie
dauerhaft zu sichern, hätten Stadt und Land sich immer nur auf ihn verlassen,
sagt er enttäuscht. "Wenn die gar nichts tun wollen, dann kann es ihnen auch
nicht so viel wert sein."
hagalil.com
12-11-02 |