Der Öffentliche Jude:
Diskussion im Rahmen der Jüdischen Kulturtage
Von Gudrun Wilhelmy
Nicht nur einer, sondern gleich mehrere
"Öffentliche Juden" in der BRD fanden sich zu einer öffentlichen
Diskussion über "öffentliche Juden" mit. Esther Schapiro als
kompetenter und souveräner Moderatorin in die Blaue Kugel in
Berlin ein.
Eingeladen waren Michael Wolfssohn, Historiker,
Michel Friedman, Journalist und Rechtsanwalt, Daniel
Cohn-Bendit, Politiker und Anetta Kahane, Geschäftsführerin der
Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA) und Mitglied
der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Alle vier stehen im Blickfeld der Öffentlichkeit nicht allein
aufgrund ihrer exponierten beruflichen und politischen Stellung,
sondern auch, weil sie Juden sind. Dieser Konsens war nicht
schwer zu erreichen und reichte von "ich bin Jude" bis "ich
werde zum Juden durch die Umwelt gemacht". Die ganz
unterschiedliche Umgangsweise mit dieser Zuordnung durch andere
zu einer Gruppe, ist geprägt von Herkunft, religiöser Erziehung
und Anbindung in jüdische Zusammenhänge, politischer
Sozialisation und der Stellung der eigenen Person im Kontext der
Minderheit "Juden" in Deutschland und Europa anzugehören.
Friedman schiebt - scheinbar leicht - das
Problem "Jude zu sein" an diejenigen weiter, die es ihm
aufzudrängen versuchen. Nur wenn er als Repräsentant und
Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland spricht,
ist für ihn diese Kategorisierung annehmbar. Wolffsohn, einziger
Israeli in dieser Runde, beschreibt seine Ausgrenzung als Jude
deutscher Herkunft in Israel und sieht sich selbst als Teil
einer Minderheit, die ein Teil innerhalb der Vielfalt aller
Menschen. Für Anetta Kahane war der Sprung als Tochter von
Sozialisten in der DDR aufgewachsen zu sein zur aktiven
Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wichtig:
Zugehörigkeit und damit Übernahme von Verantwortung. Daniel
Cohn-Bendit hingegen sieht sich als Jude nur durch andere
definiert. Doch warum er sich aufregt, wenn Antisemitismus
überdeutlich und laut formuliert wird, beruht auf einer
Identifikation mit Juden auch als Teil der eigenen
geschichtlichen verstandenen Zugehörigkeit.
Für die eigene Lebensplanung ist nur für
Friedman eine Familie mit jüdischen Kindern denkbar. Wolfssohn
und Cohn-Bendit sind jeweils mit nicht jüdischen Partnerinnen
verheiratet. Die Umgangsweise mit dieser schwierigen Situation
wird ganz unterschiedlich gelöst. Bei Wolfssohn, werden jüdische
Bräuche gelebt, weil es in der Tora heißt, dass man diese mit
allen, die mit einem leben, auch halten soll. Cohn-Bendit lehnt
alles Religiöse ab und bezeichnet sich als Atheist. Anetta
Kahane ist Jüdin, aber die Frage nach einer aktiven religiösen
Lebensweise wird interessanterweise hier nicht gestellt. Die
Frage der beiden Frauen an Cohn-Bendit, dass es sein Sohn
aufgrund dieser Situation vielleicht noch schwieriger haben
werde, scheint diesem eher absurd.
Öffentlicher Jude sein bedeutet wohl vor allem
eines: Mit antisemitischer Post Tag für Tag konfrontiert zu
werden. Dass sich die Inhalte der Schreiben sowohl an Friedman
wie auch an Cohn-Bendit nach Aussagen beider nicht
unterscheiden, überrascht zunächst dann doch. Friedman
beschreibt, dass 25 % seiner Zuschriften zu seinen Sendungen,
nicht auf Inhalt oder Form seiner Sendungen beziehen, sondern
auf darauf, Jude zu sein.
Wolfssohn sieht in der kollektiven Zuordnung
eine Normalität, die jeder Minderheit geschieht und sieht darin
allein zunächst keinen besonderen Grund einer Empörung. Allen
ist natürlich klar, dass sie mit Erscheinen in der
Öffentlichkeit auch immer für andere als Repräsentanten von
Juden wahrgenommen werden. Aus dieser Wahrnehmung scheint es
kein Entrinnen zu geben.
Dem Wunsche Friedmans, nicht mehr über Möllemann
zu sprechen, konnte nicht ganz nachgegeben werden. Die
unterschiedlichen Reaktionszeiten auf Möllemanns Äußerungen,
aber auch die ausbleibende Empörung, der ausbleibende Aufstand
der Anständigen, die ausbleibende Solidarisierung, blieb von
keinem der Diskussionsteilnehmer unkommentiert. Doch die Folgen
sind deutlich und Anetta Kahane führte Zahlen einer Untersuchung
an: 33 % der Gesamtbevölkerung sehen es ungern, dass wieder mehr
Juden in der Bundesrepublik leben, 20 % halten den Einfluß von
Juden hierzulande für zu hoch und 52 % ist der Ansicht, dass
Juden Vorteile aus der Vergangenheit ziehen. Das tut weh.
Für Anetta Kahane wurde die Vorfälle in Jenin
zum privaten und beruflichen Prüfstein. Sie sah sich plötzlich
Positionen von Freunden und langjährigen Mitstreitern in
Projekten gegen Rassismus und Antisemitismus ausgesetzt, die bis
zur Übernahme von Positionen der Hisbollah reichten.
Wenn Friedman im Verlauf des Gespräches
unwidersprochen danach immer wieder von einer "gefährlichen
Verschiebung des Koordinatensystems" unserer Warnsysteme sprach,
der zunehmenden Hinnahme von Übergriffen, Anwürfen und
Drohungen, und damit einhergehend einer schleichenden Haltung,
sich damit auch abzufinden – und zwar betont nicht nur was Juden
betrifft – griff hier niemand den Faden auf: Wie kommt es, dass
sich jeder dieser öffentlichen Juden – und ich denke dass trifft
auch für alle nicht-öffentlichen Juden zu – seine Illusionsecke
bewahrt und es unmöglich scheint, sich einmal ein Gesamtbild
aller desillusionierten Blicke auf die aktuelle Lage zu machen.
Diese Chance hat Schapira leider nicht ergriffen.
Im Notfall könnten alle vier nach Israel.
Schapira versucht über diesen Weg die individuelle Beziehung zu
diesem Staat zu thematisieren. Kahane und Cohn-Bendit würden
sich auf diese Alternative gar nicht einlassen. Sie möchten dann
nach New York. Für Wolffsohn und Friedman wäre der Weg nach
Israel klar. Nur Cohn-Bendit scheint diese Frage in ihrem vollen
Ernst zu begreifen und spricht von einem Kampf bis in den Tod
hinein, denn, sollte Israel der einzige Staat sein, in dem Juden
noch überlebten könnten, könnten sie letztlich auch dort nicht
überleben. Er sähe dann auch die gesamte Menschheit bedroht.
Und hier versuchte Schapira geschickt zu
insistieren: Wenn denn auch diese Option nicht mehr offen
stünde, was dann. Aber diesen Gedanken griff nur Cohn-Bendit auf
konsequent zu Ende zu denken: Dann ist die gesamte Menschheit
bedroht und er würde dann bis zum Tode kämpfen. Hier in Europa.
Die anderen äußerten sich nicht direkt, zu dieser letzten
gedanklichen Konsequenz, wenn nur noch Israel auf dieser großen
weiten Welt als letzter Zufluchtsort für Juden bliebe.
Die große Einigkeit zwischen allen bestand in
einer Jüdischen Maxime: Persönlicher Einsatz dafür, dass diese
Welt für alle Menschen eine bessere wird und jeder darin seine
individuelle Chance bekommt (tikkun olam).
hagalil.com
13-11-02 |