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Hooligans und Muskeljuden

Im Turnhemd unterm Davidstern: Eine Münchner Tagung über Juden und Sport

Von Thomas Meyer

Seit nunmehr fünf Jahren gibt es den "Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur" an der Universität München. Fünf Jahre sind eine kurze Zeit, trotzdem ist es Michael Brenner und seinen Mitarbeitern gelungen, wichtige Akzente in der akademischen Landschaft Münchens und darüber hinaus zu setzen. Zu den Aktivitäten zählten Konferenzen zur "Jüdischen Geschichtsschreibung" oder zum "Jüdischen Kosmopolitismus", die große Beachtung in der internationalen Historikerszene fanden.

Zum Jubiläum machte sich der Hobbyfußballer Michael Brenner jetzt ein besonderes Geschenk. Gemeinsam mit Moshe Zimmermann, ebenfalls ein viel umworbener Stürmer, von der Hebrew University in Jerusalem organisierte er eine Konferenz zu "Juden und Sport. Zwischen Integration und Exklusion", unterstützt von dem Sporthistoriker Manfred Lämmer. Drei Tage lang diskutierten Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, England, Israel und den USA über die Rolle der Juden im Sport und die Bedeutung des Sports für Juden zwischen 1900 und 1950.

Ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückte der Begriff der Gleichzeitigkeit: In vielen jüdischen Sportvereinen, die sich nach antiken Helden wie Bar Kochba und (Judas) Makkabi oder kämpferischen Ausdrücken ("Hakoah" heißt "Kraft") benannten, gab es einen internen Diskurs, der die Strömungen der nichtjüdischen Umwelt aufnahm und sie neu besetzte. Aber hinter der Rede vom "Muskeljuden" gegenüber dem "Nervenjuden" verbarg sich auch ein Kampf um Anerkennung. Wie Daniel Wildmann und Gideon Reuveni nachwiesen, ging es den Vertretern der jüdischen Sportbewegung in Deutschland darum, sowohl einen "jüdischen Körpers" zu schaffen, der eine neue Identität neben Religion und Territorium anbot, als auch der zunehmenden Militarisierung der deutschen Gesellschaft ihren Tribut zu entrichten.

Ob es sich dabei um eine neue "kollektive Identität" handelte, wie Moshe Zimmermann in seinen Überlegungen vermutete, war eine Frage, die ausgiebig diskutiert wurde. In den Reflexionen von Jack Jacobs über die völlig zersplitterten Sportbewegungen von Zionisten oder Kommunisten im Zwischenkrieg- Polen oder in George Eisens eindrücklichen Bemerkungen zum Weg der ungarischen jüdischen Sportler, der letztlich nach Auschwitz-Birkenau führte, ließ sich mit dem Begriff "kollektive Identität" jedenfalls nur wenig anfangen.

Noch immer ein wichtiges Ereignis für die jüdische Sportgeschichte ist die Fußballmeisterschaft von "Hakoah Wien" in der Saison 1924/25. John Bunzl zeigte, wie sich in der Rezeption des Erfolges ein bemerkenswerter "Gegenmythos" zum antisemitisch motivierten Mythos vom unsportlichen Juden etablierte. Michael John ergänzte Bunzles Ausführungen um einen wichtigen Aspekt: Die Helden von "Hakoah" spielten in einem Umfeld, das von brutalen Auseinandersetzungen geprägt war. Interessant an der Quellenauswertung war dabei, dass die Massenschlägereien gleichzeitig antisemitischen und Konkurrenzcharakter hatten. Auch die "Hakaoh"-Fans verstanden sich zu wehren oder zu provozieren. Als Provokation gilt noch immer die Darstellung von "bad guys" in der jüdischen Gemeinschaft. Der englische Historiker Michael Berkowitz durchbrach mit seinem Beitrag das philosemitische Vorurteil vom "guten Juden", indem er auf die Verbindungen von jüdischen Boxern und der jüdischen Unterwelt im London der zwanziger Jahre verwies.

Neben "Gleichzeitigkeit" und "kollektiver Identität" geriet eine weitere Kategorie in den Fokus der Tagung: der imaginäre oder virtuelle Jude. Vor allem bei John Efrons faszinierender Erzählung über die Anhänger von "Tottenham Hotspur": Sie nennen sich "Yids", klären israelische Reporter auf, dass ein Gastspiel in Tel-Aviv die Rückkehr in die "Heimat" sei und sind oftmals – Nichtjuden. Efron präsentierte "Yid"-Trikots, "Yid"-Liedgut und schilderte die Verwirrung und Reaktionen in der jüdischen Gemeinschaft Londons, die über ihren "Zuwachs" nicht recht glücklich zu werden vermag, handelt es sich doch bei zahlreichen "Yids" um rechte "Hooligans". So favorisieren zahlreiche Londoner Juden einen anderen "Judenclub": Arsenal London. Nahezu "unwirklich" klangen auch die Geschichten, die Alfred Lichtblau über die nach Shanghai geflüchteten deutschen und österreichischen Juden berichtete. Schnell organisierte man eigene Mannschaften, stellte drei Ligen auf und knüpfte über das Spiel ein Netzwerk, das schließlich einen großen Teil der etwa 18000 Exilanten umspannte.

Eine andere Seite der deutschen Sportgeschichte schlug Rudolf Oswald auf: In vorauseilendem Gehorsam hatte der "Deutsche Fußballbund" – auch er, wie so viele wichtige Sportinstitutionen und -vereine von Juden gegründet – seine jüdischen Mitglieder ausgeschlossen. Schon in den späten Zwanzigern pfiff man hier eine deutschnationale Weise, deren Leitmotiv "Amateur gleich , gesund’ und Profi gleich ,krank’" lautete. Als "Amateur" galt die Volksgemeinschaft, während die "Profis" das jüdische Kapital symbolisierten.

Bereichert durch Kommentare von Zeitzeugen, behandelte die Tagung eine lebendige, fortwirkende Vergangenheit. Zwei Institutionen ignorierten übrigens die Einladung: der von dem Juden Walter Bensemann gegründete "Kicker" und der früher als "Judenclub" bezeichnete FC Bayern München.

Erstveröffentlichung Süddeutsche Zeitung, 07.05.2002

 hagalil.com / 09-05-2002

 


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