Auszeichnung in
München:
Ehrendoktor für Marcel Reich-Ranicki
Marcel Reich-Ranicki ist gestern zum Ehrendoktor der
Ludwig-Maximilians-Universität München ernannt worden. Die Fakultät für
Psychologie und Pädagogik zeichnete den Literaturkritiker bei einem öffentlichen
Festakt in der Aula der Hochschule aus. In seiner Dankesrede attackierte
Reich-Ranicki Martin Walser und seinen umstrittenen Roman "Tod eines Kritikers".
Walsers neuer Roman sei ein Buch, das gegen Juden hetzt, sagte Reich- Ranicki:
"Ich bin erfüllt von Trauer und Angst um dieses Land, dessen Bürger ich bin.
Solch ein Buch ist nach 1945 in deutscher Sprache noch nicht veröffentlicht
worden." Die Universität
München hatte die Ehrung bereits seit längerem geplant. Reich- Ranicki
sollte für seine Verdienste um die deutschsprachige Literatur und die
deutsche Sprache ausgezeichnet werden. In einem Interview mit der
Frankfurter Allgemeinen sagte Rektor Andreas Heldrich: "Im Verlauf der
Diskussion, die der Entscheidung vorausgegangen ist, kam am Ende als
zusätzliches Motiv die Auseinandersetzung um das neue Buch von Martin
Walser hinzu. Die Universität München freut sich, Marcel Reich-Ranicki
gerade in dieser Situation ihren großen Respekt für seine Lebensleistung
bekunden zu können." Letztlich habe sich ein Drittel aller Fakultäten
für diese Ehrung ausgesprochen, was es in der Geschichte der LMU noch
nicht gegeben hat. "Man darf wohl sagen," so Heldrich, "das ist geradezu
ein Plebiszit für Marcel Reich-Ranicki."
Prof. Dieter Frey, Dekan der Fakultät für Psychologie und Pädagogik, hob
in seiner Laudatio besonders Marcel Reich-Ranickis Autobiographie
hervor, die ein Musterbeispiel sei "für das Vollenden einer
Identitätsfindung, die durch unvorstellbar grausame und unmenschliche
äußere Einwirkungen eigentlich von Beginn an hätte zum Scheitern
verurteilt sein können." Marcel Reich-Ranicki habe "einen entscheidenden
Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte, insbesondere des
Holocaust, geleistet und vor allem durch seine Autobiographie diese
Problematik gerade den nichtjüdischen Deutschen nahe bringen können.
(...) Marcel Reich-Ranicki gehört zu den Zeitzeugen, die die Hölle
tiefster Erniedrigung und unmenschlichen Leides überlebt haben. Ihre
Botschaft ist Auftrag an uns, eine ethisch begründete Lebenskompetenz zu
vermitteln, deren sichtbare und erfahrbare Zeichen elementare Tugenden
wie Menschlichkeit und Solidarität sowie das Eintreten gegen Gewalt,
Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit sind."
Frey betonte ebenfalls, daß die Ehrenpromotion ein politischer Akt der
Hochschule sei, der einerseits eine Signalwirkung in der aktuellen
Debatte geben soll, andererseits das Bild der Universität in der
Öffentlichkeit korrigieren kann. Frey stellte die Ehrung in Zusammenhang
mit der Einführung des Lehrstuhls für jüdische Geschichte, der
Organisation der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung, der Einladung von
Herrn Reemstma zu einem Vortrag an der Universität, sowie der
Ringvorlesung zum Thema "Die dunklen Stunden der deutschen Geschichte".
aue / hagalil.com / 11-07-2002 |