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Interview mit Shantel:
Melancholie in Frankfurt am Meer

Von Max Dax

SPIEGEL ONLINE - 03. Mai 2001

Der Frankfurter DJ Stefan Hantel alias Shantel reiste nach Tel Aviv, um sein neues Album aufzunehmen. Mit SPIEGEL ONLINE sprach der Elektroniker über die Kriegsatmosphäre in Israel und die Suche nach einem puristischen Club-Sound.

SPIEGEL ONLINE: Herr Hantel, Sie haben Ihr neues Album "Greatdelay" just zu dem Zeitpunkt in Israel aufgenommen, als die zweite Intifada ausbrach. Was für einen Eindruck hat dieser Umstand bei Ihnen hinterlassen?

Stefan Hantel: Ich habe es im wahrsten Sinne des Wortes als "shocking" empfunden. Es gab eine physisch spürbare Stimmung der Unsicherheit, der Ungewissheit, dass jeden Moment ein Krieg ausbrechen konnte. Die Situation in Tel Aviv, der Nightlife-Metropole Israels, ähnelte dem sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie trotz des drohenden Krieges auch als DJ Platten aufgelegt, so, wie Sie eigentlich immer auch dort auflegen, wo Sie aufnehmen?

Shantel: Ja, habe ich. Sehr viel sogar. Ich bin durch fast alle Clubs gereicht worden und habe Partys organisiert? Als sich die Ereignisse im letzten Oktober zu überschlagen begannen, da musste ich als Gast feststellen, wie vereinnahmend das Ganze sein kann. Im Angesicht eines möglichen Krieges festzustellen, wie sich das Bedürfnis nach extremer Vergnügung potenzierte - und selber einer derjenigen zu sein, die für das Vergnügen sorgten, war schon eine seltsame Situation, die es mir auch schwer machte, einfach weiterzuarbeiten. Ich empfand es daher als beruhigend, dass ich jederzeit sagen konnte: Morgen könnte ich das Land verlassen.

SPIEGEL ONLINE: Trotz der extremen äußeren Umstände vermeiden Sie auf Ihrem neuen Album politische Aussagen. Versuchen Sie Politik bewusst aus der künstlerischen Arbeit auszuschließen?

Shantel: Total. Ich habe immer versucht, meine Arbeit als Musiker und meine politische Haltung voneinander zu trennen. Hey, ich hätte mein Album auch in New York statt in Tel Aviv aufgenommen haben können, und dann hätte keiner großartig gefragt.

SPIEGEL ONLINE: Wäre "Greatdelay" Ihnen auch in Amerika so entspannt und flott zugleich geraten? Oder kommt der neue Schwung nicht doch vom Tel Aviver Strand?

Shantel: Mit Strand hat das wenig zu tun. Als ich meine vorangegangenen Alben in Frankfurt produzierte, hatte ich mir die Dinge, die ich nicht hatte, erfunden. So hatte ich beispielsweise irgendwann begonnen, Frankfurt, wann immer ich es niederschrieb, auf Plattenhüllen etwa, als "Frankfurt am Meer" zu bezeichnen. Das klang viel schöner als "Frankfurt am Main" und füllte eine klaffende Leerstelle. Aber ich teile Ihren Eindruck nicht ganz: Ich habe das Gefühl, dass mir mein neues Album zwar entspannt und flott, vor allem aber viel melancholischer geraten ist als alles, was ich vorher gemacht habe. Mit anderen Worten: In Frankfurt suchte und erfand ich den Sommer, in Tel Aviv suchte ich die tiefe Form der Melancholie, die man gemeinhin Deutschland zuspricht.

SPIEGEL ONLINE: Mussten Sie suchen, oder fühlten Sie so etwas wie Verlust oder Heimweh?

Shantel: Dadurch, dass ich da unten eine Menge zu tun hatte, fand ich recht schnell zu meiner Mitte, um es einmal spirituell zu formulieren. Und da habe ich festgestellt, dass es eine melancholische Seite, ein Moment, das nach Erlösung sucht, in mir gibt, das ich zuvor in Frankfurt nie bemerkt hatte.

SPIEGEL ONLINE: Auf "Greatdelay" kann man Einflüsse von Talk Talk bis hin zu den Stereo MC's hören. Das ist weitgefächert für ein Dance-Album.

Shantel: Ja, ich habe zitiert, aber ich glaube eher, dass ich auf der Suche war nach einem Club-Sound, bei dem auch akustische Instrumente im Raum stehen. Im übrigen habe ich schon als DJ immer versucht, Welten zu vereinen, hatte zu diesem Zwecke meinen eigenen Club in Frankfurt, das "Lissania", eröffnet. Als ich damit anfing, hatte ich einen Ort geschaffen, an welchem ich über den Zusammenhang Party Leute zusammenbrachte, die ein gemeinsames Lebensgefühl teilen. Ein solcher Ort kann sehr identitätsstiftend sein - und letztlich bis heute nachwirken, obwohl es den Club schon seit zwei Jahren nicht mehr gibt.

SPIEGEL ONLINE: Und wie kam es zu dem Titel des Albums, "Greatdelay"?

Shantel: Ich war schon immer sehr vom jamaikanischen Dub beeinflusst und habe das Delay, also den verzögerten Hall, immer schon benutzt, um Klangräume zu füllen. Für mich geht es immer darum, das Maximale aus einem Entwurf, in diesem Falle: Club-Musik, herauszuholen, mit immer wenigen Mitteln und immer so subtil wie möglich. Man könnte auch sagen: Großes Kino mit kleiner Kamera. 
Shantel:
"Greatdelay" (Studio !K7)

haGalil onLine 06-05-2001

 


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