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Falter Kinokritik "ekelhaft, dumm":
Der Stellvertreter / Amen
Von Karl Pfeifer
Was haben wir mit der Schoa zu tun? Das fragen heute auch
durchaus anständige junge Menschen in unseren Breitengraden. Und das
Pamphlet von Norman Finkelstein, der doch ein "Linker" und ein Jude
ist, läßt das Unbehagen wachsen, dass mit der Schoa auch ein
Geschäft gemacht wird. Ich erinnere daran, wie die Rechtsextremisten
unisono und auch mancher Linker den Steven Spielberg Film Schindlers
Liste verurteilt hatte, weil doch dieser kitschig und nach einem
bewährten Hollywood-Rezept gedreht wurde und nicht zuletzt weil er
ein finanzieller Erfolg wurde. Und trotzdem hat gerade dieser Film
viele Menschen dazu gebracht diese unsere verdrängte Geschichte
wahrzunehmen.
Und nun lese ich im Kinoprogramm der Wiener Stadtzeitung "Falter"
Nr. 48, auf Seite 49: "Der Stellvertreter/Amen! (D/F 2002) R:
Constantin Costa Gavras D: Ulrich Tukur, Mathieu Kassovitz, Monica
Bleibtreu, Ulrich Mühe, Hann Zischer. Das dritte Reich, die Kirche
und der Holocaust. Film nach dem gleichnamigen Stück von Rolf
Hochhuth. 1963 ein handfester Theaterskandal, heute, im Kino, ein
anachronistischer Wiedergänger - auf Hochglanz poliert, ekelhaft,
dumm."
Da mir u.a. zwei ausgezeichnete Filme von Costa Gavras in
Erinnerung sind, nämlich "Z" über einen linken griechischen
Politiker, der von griechischen Faschisten ermordet wurde und "Das
Geständnis" über den Slansky-Prozeß und seine Hintergründe, wollte
ich doch selbst überprüfen, ob dieser Film tatsächlich "ekelhaft,
dumm" sei.
Der
Film ist einer der besten, den ich zu diesem Thema in den letzten
Jahren gesehen habe. Er handelt das Thema nuanciert ab und zeigt uns
die Geschichte zum Teil, wie sie wirklich war und zum Teil wie sie
hätte sein können. Der historische Hintergrund wird präzise
aufgezeigt. Die Geschichte des deutschen Chemikers Kurt Gerstein,
der Mitglied der bekennenden Kirche war und zur Waffen SS kam,
beruht auf Tatsachen. Gerstein hatte als Chemiker Einblick in die
industrielle Ermordung der Juden erhalten. Und er hörte auf sein
Gewissen und versuchte die Kirchen (und nicht nur "die Kirche" wie
fälschlich in der Kurzrezension angegeben) und das Ausland, darunter
auch den Vatikan zu informieren und zu alarmieren. Er geriet bei
Kriegsende in französische Gefangenschaft und ist unter mysteriösen
bis heute ungeklärten Umständen gestorben, angeblich hat er sich
aufgehängt. Seine Briefe, ja sein ganzer Akt ist verschwunden und er
wurde erst 20 Jahre nach dem Krieg rehabilitiert.
Ulrich Tukur als Kurt Gerstein
Die Stärke des Filmes, dass er uns deutsche Menschen während des
dritten Reiches so zeigt, wie sie agiert und reagiert haben. Man
kann die Alternativen nachvollziehen. Die allermeisten, die von
diesem Verbrechen wußten, unterdrückten ihr Gewissen, viele
derjenigen aber, wie der Vater von Gerstein, die Nationalsozialisten
waren, glaubten bis zum letzten Augenblick an den "Führer" und die
"Wunderwaffen". Und sehr viele, die es hätten wissen können, haben
sich geweigert es zu wissen oder zur Kenntnis zu nehmen. Es gehörte
ein entwickeltes Gewissen - laut Hitler eine "jüdische Erfindung" -
dazu, sich dieser Maschinerie entgegenzusetzen. Und das taten sehr
wenige.
Mathieu Kassovitz
als katholischer Priester
Im Theaterstück aber auch im Film spielt ein junger italienischer
Jesuit die Rolle des Priesters, der eher an das Evangelium glaubt
als an die menschliche Institution Kirche und der ein tragisches
Ende nimmt. Es ist ein zutiefst christlicher Film, der die Frage
stellt, weshalb die christlichen Kirchen, die Rolle spielten, die
sie spielten und eher um ihre Privilegien besorgt waren als um das
Leben von Millionen Juden.
Und Costa-Gavras zeigt auch, welche Rolle dabei der tief
verwurzelte Antikommunismus gespielt hat. Die katholische Kirche
will aus Pius XII einen Heiligen machen. Im Film wird auch gezeigt,
wie man von diesem Papst klärende Worte erwartete, insbesondere zu
Weihnachten 1942 als der Vatikan schon von der Schoa wußte.
Mussolini sagte darüber - und wer könnte widersprechen: "Gottes
Vikar, das ist der irdische Vertreter des Herrn des Universums. Er
sollte niemals reden und sich in den Wolken halten. Diese Rede ist
voll Gemeinplätze und könnte genauso vom Priester von Predappio
sei," (Predappio ist das Geburtsdorf Mussolinis.)
Am 28. Oktober 1943, ein paar Tage nach dem die SS und die Miliz
die Juden Roms, derer man habhaft werden konnte, bei einer
"Judenrazzia" buchstäblich unter den Fenstern des Vatikans festnahm,
schrieb Herr von Weizsäcker, Hitlers Botschafter beim Heiligen
Stuhl, ans Auswärtige Amt: "Der Papst hat sich, obwohl dem Vernehmen
nach von verschiedenen Seiten bestürmt, zu keiner demonstrativen
Äußerung gegen den Abtransport der Juden hinreißen lassen. Obgleich
er damit rechnen muß, daß ihm diese Haltung von seiten unserer
Gegner nachgetragen wird, hat er auch in dieser heiklen Frage alles
getan, um das Verhältnis zu der deutschen Regierung nicht zu
belasten. Da hier in Rom weitere Aktionen in der Judenfrage nicht
mehr durchzuführen sein dürften, kann also damit gerechnet werden,
daß diese für das deutsch-vatikanische Verhältnis unangenehme Frage
liquidiert ist.
Der Osservatore Romano hat nämlich am 25. Oktober ein offiziöses
Kommunqué über die Liebestätigkeit des Papstes veröffentlicht, in
welchem es in dem für das vatikanische Blatt bezeichnenden Stil, das
heißt reichlich gewunden und unklar, heißt, der Papst lasse seine
väterliche Fürsorge allen Menschen ohne Unterschied der Nationalität
und Rasse angedeihen. Gegen die Veröffentlichung sind Einwendungen
um so weniger zu erheben, als ihr Wortlaut von den wenigsten als
spezieller Hinweis auf die Judenfrage verstanden werden wird."
Soweit Ernst Weizsäcker.
Es ist ein Film über die Schoa, der keine Greuel zeigt. Wir sehen
die Gaskammern von draußen und wir sehen die SS-Leute, die beim
Guckloch hinein schauen. Aber wir sehen nicht den Todeskampf. Und
wir sehen wie die langen Güterzüge, mal geschlossen, dann aber leer
fahren. Wir sehen jedoch nicht die in diesen zusammengedrängten
Juden.
Der Film hat gewisse Mängel, manche Dialoge die im Vatikan oder
in Rom gesprochen werden, haben etwas schablonenhaftes. Aber die
Deutschen werden mit Präzision charakterisiert und man kann ihr
Verhalten verstehen. Im Film wird auch die Predigt vom 3. August
1941 des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen
gezeigt, die mit dazu führte, dass die "Euthanasie"-Aktion
abgebrochen wurde. Das hier freigewordene Personal wurde dann im
Rahmen der "Endlösung" eingesetzt.
Dieser Film ist gerade jungen Menschen in Deutschland und
Österreich zu empfehlen, die oft genug keine Ahnung von der
Geschichte ihres Landes haben. Dieser Film regt an, mitzudenken und
mitzufühlen und das fällt manchem Zeitgenossen schwer.
"Ekelhaft, dumm" ist dieser Film mit Sicherheit nicht.
hagalil.com
01-12-02 |
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