Rudi Weissenstein:
Tsalmania in Tel Aviv
Von Andrea
Übelhack
Am
Unabhängigkeitstag wurde in Israel eine ganz besondere Ausstellung
eröffnet, bei der schon alleine der Ort die Besichtigung wert ist. "Ein
Studio in Tel Aviv- Tel Aviv der 1930-1960er Jahre" ist noch bis 10. Mai
in der Turbinenhalle der Redding-Power-Station zu sehen. Die Ausstellung
ist die erste umfassende Schau der Fotographien Rudi Weissensteins
(1910-1992) und zeigt insgesamt 180 Fotos aus Weissensteins Archiv, das
über eine viertel Million Negative enthält.

Das bekannteste Foto Weissensteins ist 54 Jahre alt und zeigt den Moment
der Unabhängigkeitserklärung: Ben Gurion - unter dem Porträt von Theodor
Herzl stehend - proklamiert den Staat Israel. Weissenstein war der
einzige Fotograph, der eingeladen wurde, ansonsten wurde ausschließlich
gefilmt. So ging das Foto um die Welt und ist heute im Gedächtnis der
Menschen verankert.

Blick in den Ausstellungsraum - die
Turbinenhalle der
Redding Power Station
Shimon Rudolph
Weissenstein wurde 1910 in Iglau in Mähren geboren. Sein Vater besaß
eine Firma, widmete aber jede freie Minute seinem Hobby, Fotographie.
Die Mutter war Amateur-Pianistin. Die Familie war zionistisch, Rudi
Mitglied der Blau-Weiss Jugendbewegung. Nach der Schule studierte er in
Wien an der Kunsthochschule und arbeitete nach seinem Abschluß als
Fotograph für das Tschechische Außenministerium in Prag. In Israel
arbeitete er zunächst für einige Zeitungen, um sich dann kommerziellen
Aufträgen zu widmen.
Weissenstein
kam 1936 nach Israel. Anfang der 40er eröffnete er das "Pri-Or Studio"
in der Allenby Straße, wo das Geschäft und das daran angeschlossene
Archiv auch heute noch sind. Miriam Weissenstein, Rudis Witwe, ist dort
auch heute mit ihren 89 Jahren noch anzutreffen. Dem gepflegten Archiv
wurde bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, meint Hana Kofler,
Kuratorin der Ausstellung. Trotz dem wachsenden Interesse an Bilder aus
der Zeit des Jischuws (der jüdischen Siedlung in Palästina),
interessieren sich Historiker und andere Forscher eher wenig für
Weissensteins Arbeit.
Das liegt
sicher an dem Umstand, daß er selbst sich niemals als Künstler
betrachtet hat. Er sah sich als die Quintessenz eines
Zeitungsfotographen, war darauf bedacht, von seinen Bildern leben zu
können und ein umfangreiches Archiv aufzubauen.
Unter seinen
Fotos wird man keine Kriegsbilder finden, Weissenstein hielt sich von
politischen Momenten der Geschichte fern, mit Ausnahme der
Unabhängigkeitserklärung. Stattdessen porträtierte er die bestehende
Koexistenz zwischen Arabern und Juden und nach dem Sechs-Tage-Krieg
fotografierte er Landschaften um Bethlehem, Beit Jala, Nablus, Hebron
and Jericho.
Unter denen, die sich für
Weissensteins Archiv begeisterten, war auch der Künstler
Yigal Shtayim, der sich um den Erhalt und die Digitalisierung des
Foto-Schatzes bemühte. Dazu konnte er den Geschäftsmann Danny Fruchter
gewinnen, der jedoch 1999 unerwartet verstarb. Seine Familie ermöglichte
in Erinnerung an ihn die Ausstellung in der Redding Power Station. Die
Israel Electric Corp., für die Weissenstein viele Fotos gemacht hatte,
stellte dafür die Turbinenhalle als ideale Kulisse zur Verfügung.

Die Redding Power Station
einst, auf einem Foto von Rudi Weissenstein aus dem Jahr 1938.. |

.. und heute. |
Ergebnis ist
eine Ausstellung mit ganz außergewöhnlichem Flair. Gerade dadurch, daß
Weissenstein keine Kriege und großen Momente, sondern den Alltag, das
Leben festgehalten hat, entsteht eine enorme Gelöstheit und Leichtigkeit
zwischen den Bildern. Selten erlebt man in Israel so viele Menschen auf
einem Haufen in so entspannter Stimmung. Viele ältere Menschen sehen die
Bilder und schwelgen in Jugenderinnerungen, erzählen den Umstehenden
davon, erklären den Enkeln.

Modenshow vor Herzls Augen - 1951;
das Arbeitsamt in Tel Aviv 1950

Noch nicht ganz so cool wie
heute, Lifeguards am Strand, 1949 |

Dizengoff Platz 1964 |
Und am Ende stellt man fest, daß sich nicht so viel verändert hat in Tel
Aviv. Der Busbahnhof ist heute natürlich wesentlich größer als der erste
Egged-Bushalt mit zwei Automobilen, es gibt wesentlich mehr Nachtclubs
und Cafes und der Shalom-Tower ist längst nicht mehr das höchste Gebäude
im Nahen Osten. Aber die
Grundstimmung ist noch immer dieselbe in Tel Aviv. Man lebt in einer
Stadt, die völlig neu geplant und gebaut wurde, zwischen Bauhaus und
Kamelpfad, geht an den Strand, um zu sehen und gesehen zu werden,
genießt das Nachtleben. Diese ganz besondere Mischung Tel Avivs erwacht
in Rudi Weissensteins Bildern zu einem charmant-melancholischem
Spiegelbild.
hagalil.com / 01-05-2002 |